Strafrechtsexperte ortet in von Kickl unterzeichneter “Wiener Erklärung” Amtsanmaßung
Kooperation mit Ungarn
Der FPÖ-Chef unterzeichnete im Namen Österreichs ein Schriftstück. Strafrechtsexperte Birklbauer sieht darin das Delikt der Amtsanmaßung verwirklicht. Von den anderen Parteien kommt harsche Kritik
Seit nunmehr einer Woche ist Walter Rosenkranz von der FPÖ als Nationalratspräsident im Amt – und sorgte im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Funktion in nur wenigen Tagen mehrfach für Verärgerung und Irritation. Für Verärgerung etwa bei anderen Parteien, die es als fatale Symbolik sehen, dass Rosenkranz just den in der EU höchst umstrittenen ungarischen Regierungschef Viktor Orbán als ersten Staatsgast im Parlament empfängt. Für Irritation wiederum bei seinen Präsidiumskollegen von ÖVP und SPÖ, die darüber vorab nicht informiert wurden. Dass im Zuge des Besuchs am Donnerstag im Empfangssalon des Parlaments die europäische Fahne abgehängt wurde und beim Arbeitsgespräch die gesamte blaue Parteispitze zugegen war, lässt die Wogen weiter hochgehen.
Doch für den größten Unmut sorgt, dass Orbán und FPÖ-Chef Herbert Kickl im Anschluss im Rahmen eines bilateralen Gesprächs eine “Wiener Erklärung” unterzeichnet hatten. Darin bekräftigen Ungarn und Österreich “ihre nachbarschaftliche Freundschaft sowie ihre geschichtlich und kulturell bedingte unerschütterliche Verbundenheit”. In dem Text wird “die besondere Verantwortung des abendländischen Charakters unseres Kontinentes” betont. Dieser Charakter Europas und seine autochthonen Völker seien allerdings durch “das Ausmaß illegaler Migration” und den “organisierten Missbrauch des Asylrechtes” bedroht.
In dem Dokument steht auch, dass Brüssel an “politischer Bedeutung verlieren” solle und “dafür direkte Demokratie und Parlamentarismus in den Heimatstaaten gestärkt werden” sollen. Die Erklärung spricht sich außerdem für Friedensbemühungen durch den Kontinent und gegen Bemühungen aus, “dass es neben Frau und Mann noch eine absurde Vielzahl anderer Geschlechter geben soll und dass Kinder schon in jüngsten Jahren ihrer geschlechtlichen Identität durch linke Erziehungsexperimente verlustig gehen könnten”.
“Keine offizielle Funktion”
Überraschend kommt so ein Schriftstück nicht, sind doch die FPÖ und Orbáns Fidesz eng miteinander verbunden und gehören beide der neuen Rechts-außen-Europafraktion “Patrioten für Europa” an. Dennoch wird am Freitag mit Kritik daran nicht gespart: Kickls Unterzeichnen einer solchen Erklärung im Namen Österreichs “kommt einer politischen Amtsanmaßung gleich”, wird ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in einer Aussendung zitiert. Schließlich vertrete dieser Österreich “in keiner offiziellen Funktion nach außen” und könne daher auch “nicht für Österreich sprechen”. Auch Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer betont auf X: “Herbert Kickl kann für Österreich gar nichts unterschreiben”, schließlich spreche dieser “nicht für unser Land”.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger distanziert sich – ebenfalls auf X – von der “Freundschaftsbekundung”. Diese sei “nicht in unserem Namen, nicht in unserem schönen Landesnamen, Herr Kickl”, sagt sie in einem Video. Man könne “schon froh sein, dass auf diese absurde ‘Wiener Erklärung’ nicht noch ein von Kickl entworfenes Fantasiewappen geklatscht wurde”, schreibt wiederum die pinke Abgeordnete Henrike Brandstötter auf dem sozialen Netzwerk. Und sie appelliert: “Diese Partei darf keine relevante Verantwortung übernehmen. Sie würde aus Österreich endgültig ein Kasperlland machen.”
Für den SPÖ-Abgeordneten Mario Lindner beweise die Erklärung, dass die FPÖ “von einem Umbau unserer Republik nach ungarischem Vorbild” träume. Kickl wolle “auch in Österreich auf Minderheiten losgehen, die Demokratie abbauen und sich vom europäischen Projekt abwenden”, wird Lindner in einer Aussendung vom Donnerstag zitiert.
“Fall von Amtsanmaßung”
Doch was ist dran am Vorwurf der “politischen Amtsanmaßung”? Strafrechtsexperte Alois Birklbauer sieht im Gespräch mit dem STANDARD das “Delikt der Amtsanmaßung verwirklicht”. Er bezeichnet Kickls Unterzeichnen einer Erklärung im Namen Österreichs gar als einen “klassischen Fall von Amtsanmaßung”. Das Delikt sei nämlich dann “erfüllt, wenn jemand eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden kann”, erklärt Birklbauer. Und Kickl sei “im Namen der Republik Österreich mit einer Handlung aufgetreten, die er so nicht setzen kann, weil er das Amt nicht hat, so etwas abschließen zu können”. Schließlich seien nur der Bundespräsident oder der Bundeskanzler dazu befugt, im Namen Österreichs Erklärungen zu unterzeichnen.
Obwohl die Staatsanwaltschaft das Delikt, auf das eine Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten steht, von sich aus verfolgen könnte, dürfte dem FPÖ-Chef aber nicht allzu viel passieren, meint der Strafrechtsexperte. Denn um gegen Kickl ermitteln zu können, müsste die Behörde zunächst einmal im Parlament die Aufhebung von dessen politischer Immunität beantragen. Abgeordnete werden in der Regel aber nur dann vom Nationalrat zur Strafverfolgung “ausgeliefert”, wenn das Delikt, das die Staatsanwaltschaft verfolgen will, nicht im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit steht. Deshalb werde Kickl “faktisch nichts passieren”, sagt Birklbauer. Das wisse der FPÖ-Chef, weshalb er “unter dem Schutz der Immunität die Grenzen der Demokratie ausloten” würde.
Als “null und nichtig” wiederum bezeichnet “diese Erklärung” Verfassungsjurist Peter Bußjäger im Ö1-Feiertagsjournal. Diese sei “eine bloße Äußerung”, schließlich könne Kickl “Österreich nicht nach außen vertreten”. Rechtliche Konsequenzen sieht Bußjäger keine, wohl aber politische: Orbán werde die Erklärung “für seine Zwecke nutzen”, prognostiziert der Verfassungsjurist.
Umstrittene blaue Erklärungen
Bei der “Wiener Erklärung” handelt es sich jedenfalls nicht um das erste seitens der FPÖ unterzeichnete Papier, das für Aufregung sorgte. Prominentestes Beispiel ist wohl der im Dezember 2016 von der damaligen blauen Parteispitze unterschriebene “Freundschaftsvertrag” mit Putins Einiges Russland. Vereinbart wurden darin Beratungen und Informationsaustausch, etwa zur Situation in der Russischen Föderation und der Republik Österreich, aber auch der Austausch von Erfahrungen, etwa im Bereich Parteiaufbau. Ferner wurde beschlossen, dass sich “regelmäßig” Parteidelegationen auf verschiedenen Ebenen austauschen, Expertentreffen veranstaltet und Kontakte auf regionaler Ebene “aktiv entwickelt” werden sollen. Auch die Beziehungen zwischen den Abgeordneten der beiden Parteien sollten forciert werden.
Seitens der Partei hieß es in den vergangenen Jahren mehrfach, dass der Vertrag mittlerweile gekündigt worden sei. Tatsächlich dürfte es aber so sein, dass die Freiheitlichen im Juni 2021 eine Kündigungsfrist haben verstreichen lassen, weshalb die auf fünf Jahre geschlossene Vereinbarung zumindest formal bis Ende 2026 verlängert wurde. Als “Vertrag” will die Partei das Papier aber ohnehin nicht verstanden wissen, sei dieses doch rechtlich nicht bindend. Generalsekretär Christian Hafenecker sprach daher vielmehr von einer “Absichtserklärung.”
Um die Russland-Nähe ein wenig abzustreifen, intensivierte die FPÖ in den vergangenen Jahren auch ihre Beziehungen mit den USA. Auch dort wurden Partnerschaften geschlossen: Im Mai 2022 wurde publik, dass der Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ) und der New York Young Republican Club (NYYRC) zusammenarbeiten. In einem Schriftstück wurde festgehalten, man wolle gemeinsam die westliche Kultur davor “schützen, sich anderen Werten zu unterwerfen”, illegale Migration beenden sowie künftige Lockdowns und eine “Impfpflicht” verhindern. Dabei handle es sich um “eine Grundsatzerklärung, wofür wir stehen”, erklärt der damalige RFJ-Bundesobmann Maximilian Krauss. (Sandra Schieder, 1.11.2024)
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