Demos und Streiks legen Israel lahm

Die Arbeiter im Handelshafen Haifa traten ebenfalls in Streik. Krankenhäuser waren nur teilweise in Betrieb, Banken öffneten nicht. Auch Arbeitgeberverbände unterstützten den Streik und erlaubten es ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sich ihm anzuschließen.

Der rechtsextreme Finanzminister Besalel Smotritsch beantragte ein Verbot des Streiks, zu dem Israels größte Gewerkschaft Histadrut aufgerufen hatte. Das Arbeitsgericht gab zu Mittag dem Antrag der Regierung statt und erklärte den Streik für nicht rechtmäßig. Es handle sich um einen politischen Streik, so das Argument. Die Richterin hatte laut einem israelischen Reporter bei der Verhandlung Tränen in den Augen, da sich im Saal auch Angehörige von Geiseln befanden.

Trotz deren Aufrufen, beide Seiten sollten einen Kompromiss finden, einigten sich Regierung und Gewerkschaft nicht. Diese hatte zuvor angeboten, den Streik eintägig abzuhalten und am Abend zu beenden.

Erfolg für Regierung vor Arbeitsgericht

Im Raum stand damit auch ein unbefristeter Ausstand, der – wenn weitflächig umgesetzt – den Druck auf die Regierung um ein Vielfaches erhöhen würde. Es ist davon auszugehen, dass damit auch die Ausstände im Privatsektor enden werden. Hier hatten Arbeitgeberverbände vielfach den Angestellten die Teilnahme am Streik erlaubt. Das Urteil könnte auch für künftige Proteste bedeutsam sein – und ist jedenfalls ein Erfolg für die Regierung. In der Koalition wurden laut der Tageszeitung „Maariv“ unmittelbar nach der Gerichtsenscheidung Stimmen von Abgeordneten laut, die eine Beschränkung der Befugnisse der Gewerkschaft per Gesetz fordern.

Von Likud regierte Städte machen nicht mit

Laut Berichten des öffentlich-rechtlichen Radiosenders Reschet Bet wurde der breitflächige Streik nicht umfassend umgesetzt. Mehrere – etwa von der Regierungspartei Likud regierte – Städte und Gemeinden und deren Mitarbeiter nahmen nicht teil.

Parallel gingen die Demos auch am Montag weiter. Bei den größten Massenprotesten seit Beginn des Gaza-Krieges hatten Medienberichten zufolge Hunderttausende Sonntagabend ein sofortiges Abkommen mit der islamistischen Hamas gefordert. Montagmittag gingen wieder Tausende Menschen in Tel Aviv auf die Straße, um den Druck auf die Regierung möglichst weiter zu erhöhen. Auch zahlreiche Straßenkreuzungen im ganzen Land wurden besetzt.

Kritik auch an Oppositionschef

Bei den Demos gab es neben der seit Monaten bekannten scharfen Kritik an Netanjahu, dem die Kritiker vorwerfen, die Geiseln ganz bewusst zum eigenen Machterhalt dem Tod auszuliefern, auch deutliche Worte gegen Oppositionsführer Jair Lapid. Als dieser am Montag auftrat, warfen ihm die Demonstranten vor, ebenfalls nicht genug für die Befreiung der Geiseln zu tun.

Zgleich machte der rechtsextreme Innenminister Itamar Ben-Gvir öffentlich vor rechten Unterstützern klar, dass er in der Regierung alles dafür tue, dass es keinen Deal mit der Hamas geben werde. Die Folgen für die Geiseln erwähnte er mit keinem Wort.

Demonstranten in Tel Aviv (Israel)

Reuters/Florion Goga
Im Zentrum Tel Avivs versammelten sich am Montag wieder Tausende Demonstrantinnen und Demonstranten

Proteste neu angefacht

Die Proteste gegen die Regierung Netanjahu hatten sich am Sonntag nach Wochen relativer Ruhe wieder deutlich verstärkt. Zuvor hatte das Militär die Leichen von sechs Geiseln in einem Tunnel im südlichen Gazastreifen gefunden.

In Jerusalem und Tel Aviv zogen mindestens eine halbe Million Menschen auf die Straße, um ein Abkommen mit der Hamas für eine Geiselfreilassung und eine Waffenruhe zu fordern. Netanjahu warf der Hamas am Sonntag vor, entgegen den monatelangen Bemühungen gar keine Abmachung zur Geiselfreilassung zu wollen.

Seit Monaten hat sich der Druck auf Netanjahu stetig erhöht, für eine Rückkehr der Geiseln zu sorgen. Indirekte Verhandlungen über die Vermittler Katar und Ägypten sowie die USA in dem seit fast elf Monaten andauernden Krieg mit der Hamas kommen nicht voran.

Aktueller Streitpunkt: Philadelphi-Korridor

Netanjahu beharrt darauf, israelische Truppen im Philadelphi-Korridor im Süden des Gazastreifens zu belassen, um so Waffenschmuggel aus Ägypten zu verhindern. Diese Truppenpräsenz gilt weithin als wichtigster Streitpunkt in den Verhandlungen mit der Hamas. Nach dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober sollen sich nun noch 101 Geiseln in der Gewalt der Islamisten im Gazastreifen befinden. Rund ein Drittel von ihnen gilt als tot, das Schicksal der anderen ist ungewiss.

wartende Passagiere am Ben Gurion Flughafen in Tel Aviv (Israel)

APA/AFP/Gil Cohen-Magen
Im Flughafen Ben-Gurion kam es wegen des Streiks zu Störungen

Angehörige: Verurteilt Geiseln wissentlich zum Tode

Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen ist derzeit die Frage, wie lange israelische Truppen im Philadelphi-Korridor stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett entschied kürzlich, an der Kontrolle des Korridors festzuhalten. In einer Erklärung der Angehörigen der Entführten hieß es, Netanjahu und seine Koalitionspartner hätten beschlossen, das Abkommen über eine Waffenruhe für den Korridor „zu torpedieren, und verurteilen die Geiseln damit wissentlich zum Tode“.

Luftaufnahme zeigt Zehntausende Demonstranten in Tel Aviv

APA/AFP/Jack Guez
In vielen Städten gingen Sonntagabend laut Berichten Hunderttausende auf die Straße

Angehörige: Netanjahu „führt nicht, er herrscht über uns“

Der Vater der getöteten Geisel Karmel Gat brachte im Interview mit Reschet Bet die Kritik an Netanjahu folgendermaßen auf den Punkt: Die grundsätzliche Frage, die sich stelle, sei: Ist Netanjahu bereit, seinen Job zugunsten des Lebens der Geiseln zu opfern? Er wisse es nicht, aber dass sich die israelische Öffentlichkeit bei der Antwort nicht sicher sei, zeige die ganze Dimension des Problems auf. Netanjahu „führt uns nicht, er herrscht über uns“.

Die Mutter der weiter entführten Geisel Lir Elbag betonte, ihnen sei gesagt worden, wenn die Regierung dem nun verhandelten Geiseldeal zustimme, würde die Koalition zerfallen. Und sie fügte die rhetorische Frage hinzu: Und deshalb lasse man die Geiseln sterben?

Letzter Vermittlungsversuch?

Nach Informationen der „Washington Post“ wollen die Vermittler den Konfliktparteien in den kommenden Wochen ein letztes Mal einen Vorschlag für ein Abkommen vorlegen. Sollten beide Seiten auch diesen wieder nicht akzeptieren, könnte es das Ende der Verhandlungen bedeuten, wurde ein ranghoher Beamter der Regierung von US-Präsident Joe Biden zitiert.

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