Kickls Faschismuskeule gegen Bablers Liste blauer Verurteilungen
TV-Tagebuch
Schaukampf Rot gegen Blau: In der ORF-Wahlkonfrontation warfen die Chefs von SPÖ und FPÖ einander Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaat vor
Ganz unvorbereitet konnte SPÖ-Chef Andreas Babler dieser Angriff von Herbert Kickl nicht treffen. Der FPÖ-Obmann hatte die Strategie schon in der ORF-Konfrontation mit Werner Kogler erprobt. “Extremist” und “Antidemokrat” mit dem Ziel eines “totalitären Ausnahmezustands” nannte der Blaue den Grünen. Kickls Repertoire für Babler reichte dann Freitagabend bis zum “Faschisten”.
Selbst das schon recht drastische Bild vom “Duell” geht für diese Zweierkonfrontation nicht weit genug. Beim Boxen gibt es bei aller Brutalität noch Regeln und Gürtellinien. Es war eher ein schriller Schaukampf wie das Ringen auf dem Heumarkt, wie eine verbale Wrestlingshow. Nur dass die beiden einander wirklich ernsthaft weh tun wollten.
Intellektuelle Fähigkeiten sprachen Kickl und Babler einander ab, und das war nur die persönliche Rahmenhandlung für politisch schwerere Vorwürfe.
Bablers Liste blauer “Einzelfälle”
Wenn Babler Kickl eine 1,80 Meter lange Liste von “Einzelfällen” vorhält, in denen der Freiheitliche etwa wegen “Wiederbetätigung” oder “Verhetzung” verurteilt worden seien: Da erinnert Kickl an die Ermittlungen gegen den früheren Kanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann und seinen Kabinettchef und späteren Medienminister Josef Ostermayer wegen des Verdachts von Inseratenkorruption, und er bezichtigt die damalige Regierung von ÖVP und SPÖ, die fertige Anklage verhindert zu haben.
Wenn Babler Kickl ein Schild zeigt, das Asyl als einzige Antwort der FPÖ auf vielerlei Sachfragen illustriert, hält Kickl Babler Daten über Asylwerber in der Mindestsicherung in Wien vor.
Als Susanne Schnabl Bablers “Mitmachdemokratie” und Kickls verpflichtende Volksabstimmungen ab 250.000 Unterstützern nebeneinanderstellt, warnt Babler rasch: “Wachsam” gelte es da zu sein. Denn orientiert an “Vorbildern” wie der früheren PIS-Regierung in Polen, an Viktor Orban in Ungarn und nun der Rechts-Regierung der Niederlande gehe es da in Richtung “Notstandspolitik”, “Eingriffe in die freien Medien” und womöglich “gar keine Wahlen mehr”. Bablers Befund: “Die FPÖ ist gesamt eine Gefährdung dieser Demokratie, wenn sie diese Logik übernimmt.”
“Was jetzt, Faschist oder Antifaschist?”
Da reichen Kickl “Extremist” und “Antidemokrat” nicht mehr. Er schmeißt dem “marxistisch-leninistisch indoktrinierten” Gegenüber noch drastischere Begriffe samt dialektischer Denkübung zurück. Das klingt dann so: “Herr Babler, Sie sind der Antidemokrat, den Sie angeblich bekämpfen. Sie sind der Gefährder, den sie angeblich bekämpfen. Und Sie sind der Faschist, nämlich der Antifaschist, den Sie angeblich bekämpfen.”
“Was jetzt, Faschist oder Antifaschist?”, fragt sich nicht nur Babler. “Welcher Faschist, ah, genau, der Antifaschist, ja, genau”, sagt ihm Kickl darauf und stellt fest: “Na, Sie verstehen es nicht.” Könnte sein, dass es da mehr Menschen gibt als Babler.
“Lassen Sie mich kurz die Diskussionsführung übernehmen!”
Der Schaukampf ist schwer zu bremsen, die Sendezeit längst überzogen, da erinnert Moderatorin Susanne Schnabl die beiden mit gelassener Selbstironie und Realismus: “Lassen Sie mich kurz die Diskussionsführung übernehmen!”
Wie hat dieser Abend doch gleich begonnen? Mit zwei Herren, die einander bei allen Meinungsverschiedenheiten sichtlich nicht wehtun wollten. Mitgefühl für die Hochwasseropfer platziert Karl Nehammer, Kanzler und ÖVP-Chef, gleich zum Beginn.
Sein Vizekanzler und Grünen-Chef und Fußballer Werner Kogler überdribbelt Boxsportler Nehammer überraschend mit dem Vorschlag, die Republik doch die Spenden aus “Österreich hilft Österreich” zu verdoppeln. Da kann der Kanzler beim raschen Beipflichten nur noch daran erinnern, dass das ja nicht das Geld der Regierung, sondern der brav arbeitenden Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ist.
Wieso Selbstkritik?
Eines zeigte sich bei dieser Konfrontation gleich sehr deutlich: Karl Nehammers Wahlkampfrhetorikmodul läuft auf Knopfdruck und Hochtouren – aber auf eine Frage nach einem selbstkritischen Befund seines Wirkens war der ÖVP-Chef ganz und gar nicht eingestellt.
“Wenn Sie jetzt selbstkritisch sind”, fragt ORF-Journalistin Alexandra Maritza Wachter nicht nur einmal, “was hätten Sie besser machen können?” Dazu fällt Nehammer eine seiner stolzen Leistungsschauen ein. Das ausgebliebene Klimaschutzgesetz ist für ihn kein Anlass zu Selbstkritik. Und auch aus der Hochwasserkatastrophe dürfe man “kein politisches Kleingeld machen”. Eine Woche vor der Nationalratswahl muss die Richtung einfach stimmen.
Am Montag geht es in der ORF-Dramaturgie in die letzten zwei Runden: Babler gegen Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und Nehammer gegen Kickl. (fid, 21.9.2024)
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