Duell um „Augenmaß“

Kickl startete gleich zu Beginn eine Attacke auf Nehammer, und das mit einem wichtigen Thema für seine Basis: mit dem Umgang mit der CoV-Pandemie. Da habe die ÖVP-Grünen-Koalition versucht, das Land in einen „totalitären Ausnahmezustand zu überführen“, behauptete Kickl und nannten den Lockdown für Ungeimpfte eine „reine Schikane“.

Nehammer, der sich das ganze Duell über betont staatstragend gab, mehrmals den „Hausverstand“ bemühte und Untergriffe bewusst vermied, sprach von einer der größten Herausforderungen in der Zweiten Republik.

Streit über CoV-Maßnahmen

Für einen kontroversiellen Einstieg sorgte FPÖ-Chef Herbert Kickl, als er das Thema auf die CoV-Maßnahmen lenkte.

Nehammer wirft Kickl Angstmache vor

Kickl habe damals gleich zu Beginn einen Shutdown der Republik gefordert, erinnerte Nehammer. Er räumte ein, dass die Regierung Fehler gemacht habe – aber man habe Entscheidungen getroffen und sei nicht untätig gewesen. Grundlage aller Entscheidungen sei immer gewesen, Menschenleben zu retten. Und Nehammer brachte hier eine Positionierung an, die er im Lauf des Duells auch bei anderer Gelegenheit wiederholen sollte: Die FPÖ habe die Angst verstärkt, um daraus Kapital zu schlagen, während er, Nehammer, und die ÖVP gehandelt hätten.

Kickl hänge Verschwörungstheorien an, wenn er behaupte, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei die kommende Weltregierung, begründete Nehammer unter anderem seine Ablehnung einer Koalition mit Kickl. Dieser warf Nehammer vor, Scheuklappen angelegt zu haben.

Unterschiede bei Eindämmen von Bodenversiegelung

Beim Thema Bodenversiegelung plädierte Nehammer für ein Vorgehen „mit Augenmaß und Vernunft“ und wollte sich auf keine tägliche Obergrenze festlegen. Den Klimaschutz gelte es hier mit anderen Zielen, etwa leistbarem Wohnraum und der Ansiedlung von Betrieben sowie der Lebensmittelversorgungssicherheit abzuwägen.

Kickl betonte, er sei für eine tägliche Obergrenze, er sei aber vor allem gegen eine EU-weite Vorgabe. Es brauche überregionale Planung, es dürfe nicht in Händen der Gemeinden allein liegen. Hier wies Nehammer Kickl darauf hin, dass ohnehin die Länder den Rahmen für die Gemeinden vorgäben.

Der Umgang mit Klimazielen und russischem Gas

Deutliche Unterschiede gab es beim Thema Klimaziele zwischen ÖVP-Kanzler Karl Nehammer und FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Hausverstand vs. Augenmaß bei CO2-Neutralität

Die Frage, ob er die Klimaschutzziele – CO2-neutral bis 2040 – auch in einer künftigen Koalition unterstützen werde, beantwortete Nehammer nicht direkt. Er betonte, hier gehe es auch darum, wie man „mit Hausverstand“ von der Abhängigkeit von fossiler Energie wegkomme. Hier seien Photovoltaik, Windkraft, aber auch der dichte Waldbestand wichtig.

Kickl nutzte das Thema, um erneut seine kritische bis ablehnende Haltung zur EU zu signalisieren. Bei den Klimazielen dürfte man sich nicht „im politischen Herdentrieb“ den Ideen der EU unterwerfen. Kickl reklamierte hier das „Augenmaß“ für sich – im Bereich Unabhängigkeit etwa von russischem Gas.

Breite Übereinstimmung bei Wirtschaftspolitik

Breite Übereinstimmung gab es beim Thema Wirtschaftspolitik und wie Österreich aus der Rezession geführt werden soll. Nehammer „freute“ sich, dass Kickl hier so viel von seinem eigenen Programm, dem „Österreich-Plan“, übernommen habe. Kickl konzedierte viel Gemeinsames, warf Nehammer aber vor, sich beim zentralen Faktor Energie den Grünen ausgeliefert zu haben.

Warum Koalition mit FPÖ ohne Herbert Kickl?

ÖVP-Kanzler Nehammer begründete abermals, warum er Kickl als Partner in der Regierung ausschließt.

Streit über „Sky Shield“

Kontroverser wurde das Duell beim Thema Sicherheitspolitik und Neutralität. Das Luftabwehrschild „Sky Shield“ – gemeinsam mit anderen europäischen Staaten – verteidigte Nehammer vehement. Österreich müsse die Landesverteidigung ernst nehmen, und dazu gehöre, zumindest eine Zeit lang einem angreifenden Staat Paroli zu bieten. Die Kooperation mit anderen Staaten stellte Nehammer als „Einkaufsgemeinschaft“ hin.

Kickl betonte, es sei eine Illusion, dass Österreich eine Großmacht wie etwa Russland selbst abwehren könne. „Sky Shield“ sei „natürlich“ ein Bruch der Neutralität, da man sich in eine Allianz begebe, die sich – nach Kickls Darstellung – bereits im Krieg mit Russland befindet. Es sei der NATO-Beitritt durch die Hintertür. Nehammer warf Kickl erneut Angstmache vor. Es gehe darum, die eigene Bevölkerung besser zu schützen.

FPÖ will als stärkerer Partner in Koalition mit ÖVP

FPÖ-Chef Herbert Kickl erklärt, warum er die Nummer eins werden will.

Die Frage, ob er, Kickl, in einer Regierung die für Russland-Sanktionen nötige Einstimmigkeit im EU-Rat boykottieren würde, beantwortete der FPÖ-Chef nicht. Er legte stattdessen die FPÖ-Position dar: Die Sanktionen seien eine andere Form der Kriegsführung, man müsse endlich aus der Eskalationsspirale herauskommen, so Kickl, der dafür eine Anlehnung beim ehemaligen demokratischen US-Präsidenten John F. Kennedy und dessen „Friedensrede“ 1963 nahm, die damals eine Entspannung im Kalten Krieg einleitete.

Umgekehrt ging Nehammer auf die Frage, ob eine Zustimmung zu Russland-Sanktionen für ihn Bedingung für eine Koalition mit den Freiheitlichen sei, nicht ein. Er erzählte von seinen eigenen Vermittlungsbemühungen und verwies darauf, dass Kreml-Chef Wladimir Putin auf jedes Zeichen von Schwäche reagiere. Die Sanktionen gründeten in der zentralen europäischen Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg, dass es nie wieder Krieg in Europa geben solle und nie mehr versucht werden solle, Grenzen mit kriegerischen Mitteln zu verschieben.

Analyse der ORF-TV-Duelle mit Politologin Stainer-Hämmerle

Nach den letzten TV-Duellen im ORF zwischen Andreas Babler (SPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS) und danach zwischen Karl Nehammer (ÖVP) und Herbert Kickl (FPÖ) analysiert in der ZIB2 die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle (FH Kärnten).

Letztes Thema des TV-Duells waren Asyl und Migration. Hier wiederholten beide ihre bekannten Positionen. Die FPÖ-Forderungen seien typisch: Sie würden im ersten Moment plausibel klingen, führten aber zu nichts, weil sie nicht umsetzbar seien. Kickl nannte den EU-Migrationspakt dagegen eine „Mogelpackung“, es brauche die Festung Österreich und andere nationale Lösungen – dann werde irgendwann vielleicht der Druck auf die EU so stark, dass es eine „Festung Europa“ geben werde, so Kickl.

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