FPÖ-Kandidaten am Freitag bei Begräbnis, wo SS-Treuelied gesungen wird
BRISANTE VIDEOAUFNAHMEN
Zwei Tage vor der Nationalratswahl trugen FPÖ-Politiker, darunter Wiens Listenerster Harald Stefan, Norbert Nemeth und Martin Graf “Olympen” zu Grabe
Ein verregneter Herbsttag in Wien-Hernals. Es ist zwei Tage vor der österreichischen Nationalratswahl. Während die meisten Parteien schon tagsüber ihre Wahlkampfschlussveranstaltungen abwickeln, hat die FPÖ ihre Abschlussshow samt großer Bühne am Stephansplatz für den Abend aufgebaut.
Doch einige FPÖ-Kandidaten, die mit Herbert Kickl ins Hohe Haus ziehen wollen, kommen schon am frühen Nachmittag zu einem wichtigen Termin zusammen. Es ist das Begräbnis eines “Alten Herrn” der deutschnationalen Burschenschaft Olympia, der 90-jährig verstarb.
Tod eines Olympen
Walter Sucher war vor rund 40 Jahren FPÖ-Bezirksrat in Wien, Vorsitzender des in den letzten Jahren nicht mehr besonders aktiven rechtsextremen „Ringes volkstreuer Verbände“ und ein Teil des Rechtsaußenflügels der Freiheitlichen Partei.
2006 machte Sucher von sich reden, weil er bei einer Rede auf einem FPÖ-Parteitag ins Publikum rief: “Ich grüße euch alle mit einem kräftigen Heil!” – und das auch noch verteidigte, denn „Heil” sei ein Gruß, “der wirklich unser alter Gruß ist”. Zudem meinte der damals 72-jährige Sucher, man solle es sich nicht nehmen lassen, die SS-Hymne “Wenn alle untreu werden” auch heute noch zu singen.
Seine Gleichgesinnten, viele selbst aus der Olympia, eine der rechtsradikalsten Burschenschaften überhaupt, nahmen ihn beim Wort. 22 Jahre später wurde genau dieses Lied auf Suchers Begräbnis gesungen, wie Videoaufnahmen, die dem STANDARD am Freitag zugespielt wurden, belegen. Auf den Aufnahmen kann man unter anderem den Nationalratsabgeordneten und Notar Harald Stefan erkennen, der auf Platz eins der Wiener Landesliste der FPÖ kandidiert.
Klubdirektor und Abgeordenter
Ebenso den Klubdirektor des Freiheitlichen Parlamentsklubs und Präsidenten des freiheitlichen Think Tanks “Atterseekreis”, Norbert Nemeth, der auf der Bundesliste auf Platz neun kandidiert. Auch der Nationalratsabgeordnete und bis 2013 Nationalratspräsident Martin Graf erwies Sucher die letzte Ehre. Graf kandidiert auch aktuell auf dem aussichtsreichen Platz 3 auf der Wiener Landesliste.
Das SS-Lied bewegte offenbar keinen von ihnen dazu, die Feier zu verlassen. Mit dabei waren auch der ehemalige Klubobmann des FPÖ-Parlamentsklubs Johann Gudenus, der schon vor fünf Jahren keine guten Erfahrungen mit Videos machte.
Identitärer mit “Prunktönnchen”
In erster Reihe hinter dem Sarg mit so genanntem “Prunktönnchen” am Kopf und mit Säbel ein ehemaliger Funktionär der FPÖ-Jugend und Führungskader der Identitären Bewegung, der wie Graf, Nemeth und früher auch Stefan Bundesbruder in der Olympia ist.
Der junge Mann war auch bei der Identitären-Feier, wo ein Genozid an Muslimen gefordert und der Holocaust als “geil” bezeichnet wurde.
Ebenso war er in der Gruppe, aus der einzelne bei der FPÖ-Demo im März ein Team des TV-Senders Puls 24 angriffen.
Puls 24 erneut attackiert
Ein Team von Puls 24 samt Moderator Christoph Isaac Krammer wurde auch am Freitag auf der Wahlkampfabschlussveranstaltung der FPÖ am Stephansplatz während einer Live-Schaltung vom Stephansplatz wild beschimpft und brachial angepöbelt und letztlich an der Arbeit gehindert.
Auf der Bühne war bei diesem Event auch Harald Stefan, der wenige Stunden zuvor am Begräbnis in Hernals teilgenommen hatte. Dort sprach er als einer von mehreren Einpeitschern, bevor “Volkskanzler” Kickl auf die Bühne trat von “einer wahrlichen dunklen Zeit”. Er meinte damit nicht etwa die NS-Diktatur, sondern die Corona-Pandemie. Damals habe man gemeinsam auf Demos die Maßnahmen “zu Grabe getragen”, so Stefan.
Aus den Reihen der Olympia, eine der rechtsextremen Burschenschaften überhaupt, kam auch immer wieder Kritik am NS-Verbotsgesetz, auch von Martin Graf. Aber zurück zum “Treuelied” der SS:
“Das Lied stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert, wurde aber von der SS als ihr “Treue-” bzw. “Staffellied” übernommen“, sagt der Extremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, „zumal es deren Wahlspruch ,Meine Ehre heisst Treue‘ gut ergänzte. In der Liederpflege der SS nahm es neben dem Deutschland- und dem Horst-Wessel-Lied eine zentrale Stellung ein, wie sich auch aus seiner hervorgehobenen Positionierung im SS-Liederbuch ersehen lässt.
SS-Liederbuch
Es handle sich also nicht um eines der vielen Lieder, die Nazis eben auch gesungen haben, so Weidinger weiter, “sondern um eines, das für die fanatischsten und mörderischsten unter ihnen eine besondere Bedeutung hatte”.
Wer dennoch Wert darauf lege, dieses Lied nicht den Nazis zu überlassen, wäre gut beraten, es zumindest nicht in der Version abzusingen, die sich im SS-Liederbuch findet – und die, anders als die Urversion von Max von Schenkendorf, das “heil’ge deutsche Reich” besingt.
Doch genau die Version der Nationalsozialisten mit der Strophe “Vom heil’gen deutschen Reich” sang man auch am Freitag am offenen Grab von Sucher – und zwar sicherheitshalber gleich zweimal. Der Rechtsextremismusexperte Andreas Peham meint, dass “das Absingen dieser Strophe nach dem Verbotsgesetz verfolgt werden sollte und kann”. Weidinger weist im Gespräch mit dem STANDARD auch darauf hin, dass auch die Schenkendorf-Version “historisch nicht unbelastet ist, galt Schenkendorfs Treueschwur doch dem fanatischen Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn, dem er das Lied 1814 widmete”. Dass ein “deutsches Reich” zu besingen heute eine andere Konnotation aufweist als 1814, sollte selbsterklärend sein, so Weidinger.
Hitlers Leibwache
Die SS, die für Hitler als Leibwache geschaffene Schutzstaffel, war eine verbrecherische Organisation, die unter anderem für die Verwaltung und Bewachung der Konzentrationslager und die systematische Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden zuständig war. Ihre Symbole sind heute verboten. FPÖ-Parteichef Herbert Kickl relativierte die historisch außer Zweifel stehende Schuld der SS 2010 in einer Fernsehdiskussion. Damals noch FPÖ-Generalsekretär meinte Kickl zum damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant, eine kollektive Verurteilung der Mitglieder der Waffen-SS sei “Unsinn”.
Die FPÖ wurde 1955 gegründet, als Nachfolgeorganisation des VdU, in dem sich von den Wahlen in der Zweiten Republik vorerst ausgeschlossene ehemalige NSDAP-Mitglieder versammelt hatten. Der erste Partei Chef der Blauen war mit Anton Reinthaller ein ehemaliger SS-Brigadeführer.
Ob die genannten FPÖ-Spitzenleute an dieser Stelle selbst mitsingen, kann nicht bezeugt werden. Doch das SS-Lied bewegt offenbar auch keinen von ihnen dazu, die Feier eher zu verlassen.
Der STANDARD ersuchte am Freitagabend die genannten prominenten FPÖ-Funktionäre, die am Begräbnis teilnahmen, um eine Stellungnahme – bisher blieben diese aus. (Colette M. Schmidt, 28.9.2024)
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