Sicherheitsbehörden ermitteln gegen FPÖ-Spitzenleute wegen SS-Treuelieds auf Begräbnis
Ein Begräbnis am Freitag in Wien, auf dem das “Treuelied” der SS gesungen wird, und unter den Trauernden befanden sich FPÖ-Spitzenleute: Diese Szenen zeigt ein dem STANDARD zugespieltes Video. Die Sache hat nun ein juristisches Nachspiel: Am Samstag teilte die Jüdische HochschülerInnenschaft mit, dass sie die beteiligten FPÖ-Politiker wie etwa die FPÖ-Nationalräte Martin Graf, Harald Stefan und Norbert Nemeth wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung angezeigt hat.
SPÖ, Grüne und Neos übten indes scharfe Kritik an der FPÖ, die ÖVP bezog ihre Kritik speziell auf die “Kickl-FPÖ”. Die Freiheitlichen befanden es für pietätlos, dass ein Begräbnis politisch missbraucht werde.
Zwei Tage vor der Nationalratswahl wurde am Freitagnachmittag der einstige FPÖ-Politiker Walter Sucher, “Alter Herr” der deutschnationalen Burschenschaft Olympia, zu Grabe getragen. In den dem STANDARD zugespielten Aufnahmen ist zu hören, dass die Trauergäste zu Ehren des im Alter von 90 Jahren Verstorbenen das Lied “Und wenn alle untreu werden” anstimmen und “das heil’ge deutsche Reiche” besingen.
Niemand verließ Begräbnis
Unter den Trauergästen auf dem Hernalser Friedhof in Wien befanden sich auch mehrere Spitzenleute der FPÖ: der Abgeordnete und Wiener Landeslisten-Erste Stefan, Klubdirektor Nemeth, der auf der Bundesliste auf Platz neun kandidiert sowie der Nationalratsabgeordnete Graf, der auf der Landesliste Wien auf Platz drei kandidiert. Auf dem Begräbnis war auch der über das Ibiza-Video gestolperte Ex-Klubobmann Johann Gudenus. Ob die Genannten selbst mitsangen, können die Aufnahmen nicht bezeugen. Doch das SS-Lied bewog offenbar auch keinen dazu, die Trauerfeierlichkeit zu verlassen.
Das Begräbnis bringt jedenfalls ein juristisches Nachspiel: Es wurde Anzeige wegen Wiederbetätigung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht, heißt es in einer Aussendung der Jüdischen HochschülerInnen vom Samstag. Sie erstattete Anzeige gegen die genannten FPÖ-Spitzenleute, einen anwesenden Führungskader der Identitären Bewegung sowie gegen unbekannt.
Ermittlungen
Wie der STANDARD am Sonntag bestätigt bekam, ermitteln bereits die Sicherheitsbehörden gegen die Teilnehmer des Begräbnisses anhand des ungekürzten Videos, das auch dem STANDARD vorliegt.
Auch die Plattform Autonome Antifa org berichtete über den Bericht des STANDARD und wies daraufhin, dass Sucher bis zuletzt mit rechtsextremen Aussagen auffiel. Noch 2023 hielt er als 89 jähriger eine revisionistische Rede am “Burschentag” in Eisenach, wo er meinte burschenschaftliche Ziele blieben aktuell: “Die kleine Wiedervereinigung nach dem Mauerfall und die bleibende Trennung von den deutschen Ostgebieten verschafften dem Streben nach der vollständigen Einigkeit des Deutschen Volkes auch heute noch Relevanz”, so der Mann, dem FPÖ-Spitzen die letzte Ehre erwiesen. Das singen des SS-Treueliedes war Suchers letzter Wille.
“Alarmsignal für Österreich”
Alon Ishay, Präsident der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen, spricht von einem “Alarmsignal für Österreich”. Und: “Dass Spitzenfunktionäre der FPÖ derart schamlos den Nationalsozialismus glorifizieren, zeigt, wie tief NS-Ideologien innerhalb der FPÖ verwurzelt sind. Solche Personen gehören nicht ins Parlament, sondern vor Gericht.”
Das Singen des SS-Liedes stelle nicht nur “eine beispiellose Respektlosigkeit gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus dar, sondern ist auch ein juristischer Lehrbuchfall von nationalsozialistischer Wiederbetätigung”, ergänzt Bini Guttmann, Exekutivrat im Jüdischen Weltkongress und Jurist, der die Anzeige im Namen der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen eingebracht hat. Es sei “unerträglich, dass diese Personen weiterhin politische Ämter bekleiden, statt sich vor Gericht zu verantworten”.
In einer Stellungnahme hielt der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft und IKG Wien, Oskar Deutsch, fest: “Wer vergessen hat, warum die FPÖ als Partei der Kellernazis bezeichnet werden kann, den erinnern FPÖ-Kandidaten mit SS-Lied-Hintergrund daran.” Außerdem sagte er: “Bei Sonnenschein geben sie sich als Demokraten, in ihren Kellern packen sie die Naziliederbücher aus.”
FPÖ: “Pietätlos und schäbig”
Die Genannten waren bislang nicht für eine Stellungnahme für den STANDARD erreichbar, über die APA ließ die FPÖ ausrichten: “Das Begräbnis einer Privatperson, auf dessen Planung und Gestaltung die FPÖ keinerlei Einfluss hatte, nun politisch missbrauchen zu wollen, ist pietätlos und schäbig.”
Anders sahen das SPÖ, Grüne, Neos und die KPÖ: “Die FPÖ beweist einmal mehr, dass sie rechtsextrem ist. Demokratie zerstören, Geschichte leugnen, Menschen verachten – das ist nicht nur Kickl, das ist in der ganzen FPÖ weitverbreitet”, sagt Justizministerin und Wiener Spitzenkandidatin Alma Zadić von den Grünen. Ein Beweis dafür seien die nun publikgewordenen Videoaufnahmen, in denen “FPÖ-Granden dabei sind, wenn ein SS-Lied angestimmt wird”. In Richtung ÖVP und SPÖ appelliert Zadić, “sich politisch zu distanzieren und endlich klare Kante zu zeigen”. Dies gelte vor allem für die ÖVP, “die immer noch meint, innerhalb der FPÖ gebe es vernünftige Stimmen und so tut, als wäre Herbert Kickl alleine das Problem, um sich Koalitionsoptionen offenzuhalten”. Und jene roten Vertreter aus den Bundesländern, “die mit Blau liebäugeln, sollten sich lieber der Meinung ihres Parteichefs Andreas Babler anschließen”.
SPÖ: “Untragbarer Skandal”
SPÖ-Chef Andreas Babler rief auf X dazu auf, zum Schutz der Demokratie die SPÖ zu wählen: “Sorgen wir dafür, dass unser Land nicht in die Hände dieser Personen gerät.” Die SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz spricht von einem “untragbaren Skandal”, der “ein weiteres Beispiel für das problematische Verhältnis der FPÖ zu ihrer NS-Vergangenheit” sei. Hier werde “deutlich, dass hochrangige FPÖ-Funktionäre nicht nur die historische Verantwortung ignorieren, sondern bewusst Signale an rechtsextreme und ewiggestrige Kreise senden”. Für die SPÖ-Abgeordnete zeigt der Vorfall einmal mehr, dass die FPÖ keine Regierungsverantwortung bekommen darf. Wer in diesem Land Verantwortung trage, “braucht eine unmissverständlich ablehnende Haltung zur NS-Vergangenheit”.
Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos hofft mit Blick auf die am Sonntag anstehende Nationalratswahl, “dass allen Parteien – insbesondere der ÖVP – diese rechtsextremen Umtriebe der FPÖ bei Koalitionsverhandlungen bewusst sind”.
ÖVP kritisiert “Kickl-FPÖ”
“Wer die Hymne der Waffen-SS anstimmt, stellt sich in die Gesinnungsgemeinschaft von Hitler, Himmler und Heydrich”, sagt KPÖ-Spitzenkandidat Tobias Schweiger. Und: “Die FPÖ verherrlicht den Nationalsozialismus bewusst einen Tag vor der Wahl.” Schweiger erinnert außerdem daran, dass “gegen die Verbrechen der Waffen-SS” einst “tausende Mitglieder der KPÖ im Widerstand gekämpft” haben.
Die Volkspartei bezog ihre Kritik indes einmal mehr speziell auf die “Kickl-FPÖ” unter Obmann Herbert Kickl. Dass dieser solche Vorkommnisse dulde, beweise, “dass er keine Berührungsängste mit Rechtsextremen hat”, schrieb die Partei auf X und wiederholte einmal mehr, dass es mit diesem keine Zusammenarbeit geben werde.
Die SS, die für Hitler als Leibwache geschaffene Schutzstaffel, war eine verbrecherische Organisation, die unter anderem für die Verwaltung und Bewachung der Konzentrationslager und die systematische Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden zuständig war. Ihre Symbole sind heute verboten. FPÖ-Parteichef Herbert Kickl relativierte die historisch außer Zweifel stehende Schuld der SS 2010 in einer Fernsehdiskussion. Kickl, damals noch FPÖ-Generalsekretär, meinte zum damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, eine kollektive Verurteilung der Mitglieder der Waffen-SS sei “Unsinn”. (lalo, schi, cms, APA, 28.9.2024)
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