Das blaue Floridsdorf im roten Wien
Nationalratswahlen
In der Arbeiterhochburg und Heimat des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) hat die FPÖ bei der Nationalratswahl knapp Platz eins gemacht. Was ist hier passiert?
“Über die Wahl red’n? Na, des interessiert mi net. Gehn S’ wieder!”, faucht die einzige Frau am Stehtisch und nimmt bei all dem Ärger einen Schluck von ihrem Bier. Es ist ein Tag nach der Nationalratswahl, und im Herzen Floridsdorfs herrscht um die Mittagszeit um den Floridsdorfer Markt vor dem imposanten Gemeindebau Schlinger-Hof gähnende Leere – nur durchs Marktcafé wird der Lärmpegel ein wenig gehoben. Der Kellner bringt Schnapsstamperln an den Stehtisch, es wird einander zugeprostet – und dann doch noch politisiert.
Seit Sonntag ist Floridsdorf ein Wiener Kuriosum. Eigentlich sind Wien und Landeshauptstädte wie Innsbruck, Graz und Linz nach wie vor rote Bastionen in der blau und türkis eingefärbten Bundeswahlkarte. In der Bundeshauptstadt hat die SPÖ insgesamt 2,8 Prozentpunkte im Vergleich zur Nationalratswahl 2019 zugelegt, in den Innenbezirken sogar weit mehr. Neben den drei türkisen Bezirken Innere Stadt, Währing und Hietzing gibt es tatsächlich nur einen richtigen Ausreißer.
Und das ist Floridsdorf, ein traditioneller Arbeiterbezirk jenseits der Donau mit hoher Gemeindebaudichte und Heimat von Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig. Gerade hier wurde die FPÖ erstmalig stimmenstärkste Partei, knapp vor der SPÖ. Was ist hier passiert? Und was sagen die Menschen dazu?
Richtige Themen, aber “zu radikal”
Im Tschocherl am Tisch der zankenden Frau und ihrer drei Freunde sind dafür schnell Erklärungen gefunden. Die Republik sei am “Zerfallen”, meint der 55-jährige Peter und greift dafür Türkis-Grün an: Die Postenschacherei und Korruption unter der aktuellen Regierung hätten geblüht, “schlimmer kann es die FPÖ auch nicht mehr machen”. Die türkis-blaue Ära wischt er dabei weg, “das hat’s eh immer schon gegeben in Österreich”. Enttäuscht zeigt er sich aber vor allem über den Wiener Bürgermeister, der “80 Meter von mir entfernt wohnt” und nicht mehr für die einfachen Bürger da sei.
Auch sein Freund Gerhard, der 70 Jahre alt ist, ist grundsätzlich von der FPÖ und deren Themen angetan. Gewählt hat er sie trotzdem nicht: “Sie sind mir zu radikal.” Bei welchem Thema genau, murmelt sein Freund gegenüber die Antwort: “Beim Hitler.” Dass etwa eine SS-Hymnen-Version von führenden FPÖ-Funktionären bei einem Begräbnis angestimmt wurde, wie vom STANDARD aufgedeckt, das sei ihm zu weit gegangen. Beide haben nicht gewählt. Bei welchen Themen Kickl in seinen Augen dennoch recht hat: “In den Schulen, dass Kinder kein Deutsch mehr sprechen” oder wenn er hört, dass syrische Familien in der Grundversorgung üppig Geld bekommen.
Das Zuwanderungsthema ist wenig überraschend jenes, das im Gespräch mit der Gruppe dominiert – immerhin ist es auch jenes Pferd, auf das die FPÖ mit brachial-ausländerfeindlicher Rhetorik von jeher setzt; und das bei Wählern und Wählerinnen, vor allem in ländlichen Raum, auch gezogen hat. Selbst bei einem Paar um die 50 Jahre, das gerade über den Markt schlendert, Neos gewählt hat und für das “die FPÖ ein No-Go” ist, kommt es auf. “Fahren S’ einfach einmal mit dem 31er, man fühlt sich nicht mehr, als wär man in Österreich.”
Die Zahlen der Statistik Austria geben diese subjektive Realität allerdings nicht wieder. Floridsdorf ist demnach einer jener Bezirke, der einen überdurchschnittlichen Anteil von in Wien geborenen Einwohnerinnen und Einwohnern aufweist. Während etwa in Rudolfsheim-Fünfhaus die Hälfte im Laufe ihres Lebens nach Wien gekommen ist, sind es in Floridsdorf 33 Prozent. Auch gibt es neben der Donaustadt und Floridsdorf keinen anderen Bezirk, der so viele Katholiken beheimatet.
Doch was sagt Bezirksvorsteher Georg Papai (SPÖ) zu diesem Rechtsruck in Floridsdorf? Auf STANDARD-Anfrage meint er, dass nur 170 Stimmen entscheidend waren: “Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPÖ und FPÖ.” Auch wenn er über das Ergebnis nicht glücklich sei, so sei man immerhin mit einem Kandidaten der SPÖ Floridsdorf wieder im Nationalrat vertreten. Blaue Vorzeichen für die Wien-Wahl sieht er nicht: “Die Bevölkerung wählt auf Wien-Ebene anders als auf Bundesebene, da muss man sich nur die Ergebnisse der letzten Wahlen anschauen”, sagt Papai.
Partei gibt Selbstvertrauen
Dem würde der 61-jährige Franz vermutlich nicht zustimmen. Gegenüber vom Floridsdorfer Bahnhof lehnt er sich gerade gegen den Tisch eines Würstelstands. Was er sich gedacht hat, als er den blauen Balken am Sonntag in die Höhe schießen gesehen hat? “Pipifein war des”, sagt Franz. Sein Leben lang habe er am Bau gehackelt, sein Körper sei daher kaputt. Etwas, von dem Politiker keine Ahnung hätten, da diese noch nie einen Pflasterstein getragen hätten, meint er. Und der Kickl? “Ja, da wäre der Stein schwerer als er”, lacht er. Aber dieser würde wenigstens den “normalen Bürgern helfen und ihnen Selbstvertrauen geben”.
Dass er von jeher im Gemeindebau wohnt, würde er zwar den Roten verdanken, aber seine Wohnung sei teuer: In Summe 900 Euro zahle er für 70 Quadratmeter. Und dass es beim Fenster seit langem reintropft, würde niemanden interessieren. “Da passiert seit zwei Jahren nichts.” Das Sozialsystem in Österreich sei aber grundsätzlich akzeptabel, “da darf ich mich nicht beklagen über die SPÖ”. Seine Frau liegt seit sechs Jahren im Pflegeheim, er ist alleinerziehender Vater. Ob er glaubt, dass das Sozialsystem wirklich so halten würde mit einer FPÖ an der Macht? “Ich hoff’s. Wissen tun wir’s alle net.” (Elisa Tomaselli, 2.10.2024)
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