Warum er? Was Menschen dazu gebracht hat, Herbert Kickl zu wählen
Der blaue Wahlsieg ist nicht vom Himmel gefallen. Er war lange prognostiziert – und doch ist er mit fast 29 Prozent noch etwas deutlicher ausgefallen, als viele erwartet hatten. Den Freiheitlichen ist es bei dieser Nationalratswahl gelungen, Stammwähler zu halten, zahlreiche ÖVP-Wähler von 2019 für sich zu gewinnen und gleichzeitig ehemalige Nichtwähler zu mobilisieren. Insgesamt haben fast eineinhalb Millionen Menschen 2024 der FPÖ ihre Stimme gegeben. Warum? Was hat sie besonders angesprochen?
In der Vergangenheit waren FPÖ-Wähler schwer einschätzbar. In Umfragen war die FPÖ über Jahrzehnte unterschätzt, am Wahltag gab es oft eine Überraschung, das vielzitierte “blaue Wunder”. Das lag daran, dass sich viele nicht offen für die FPÖ deklarieren wollten – auch in Umfragen nicht. Es hatte kein gutes Renommee, die FPÖ zu wählen, das posaunte man lieber nicht in die Welt hinaus. Es war ein bisschen Schmutz und Sünde.
Die FPÖ wählte man aus Protest, weil man es denen da oben zeigen wollte. Und man bekannte sich mit seinem Kreuzerl gewissermaßen auch zu einer Schicht: den Wohlstandsverlierern, den Abgehängten, den Übergangenen und Benachteiligten. Nicht die beste Bildung, wenig Einkommen, wenn überhaupt – so lautete zumindest das Klischee.
Das hat sich geändert. Sympathisanten und Sympathisantinnen der FPÖ stehen heute großteils zu ihrer Wahl, sind stolze Freiheitliche, propagieren offen deren Ideen und bekennen sich freudig zur Anhängerschaft von Herbert Kickl, der früher als wenig charismatisch, als Mann der zweiten Reihe, als zerknautschter Redenschreiber und etwas schmuddelige Pointenschleuder galt.
Weniger Bekenntnis zur ÖVP
Mittlerweile haben die Meinungsforscher ein anderes Problem. Die ÖVP, die lange als stolzer Arm der Bürgerlichkeit, als Kraft der Mitte galt, hat sich im Image derart verändert, dass es vielen Menschen peinlich geworden ist, sich zur ÖVP zu bekennen. Das wird in der Meinungsforschung zumindest vermutet. Daher werden die Rohdaten auch anders hochgerechnet. Forscher berücksichtigen heute, dass sich einige nicht mehr zur Volkspartei bekennen wollen.
Und so waren die Umfragen diesmal relativ präzise: Seit fast zwei Jahren führen die Freiheitlichen jede einzelne Erhebung an, die gemacht wurde.
Die Positionen der Freiheitlichen waren lange Zeit solche, die man lieber nicht laut und in der Öffentlichkeit sagte. Und wenn, dann etwas verschämt: “Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber …” Doch Ausländerfeindlichkeit wird immer salonfähiger. Der öffentliche Diskurs hat sich spürbar nach rechts verschoben. Zahlreiche alte Forderungen der FPÖ aus dem Bereich Migrationspolitik erscheinen heute fast harmlos – oder wurden längst von politischen Gegnern übernommen. Die Positionen der FPÖ haben sich, aggressiv und konsequent kommuniziert, längst in die Mitte geschoben.
Und dann hat die Corona-Pandemie noch maßgeblich dazu beigetragen, etwas noch ein Stück weiter zu verschieben im Land. Die vermeintliche und tatsächliche Ausgrenzung von Menschen ließ sich plötzlich festmachen. Der Kampf gegen die Obrigkeit, die freie Bürgerinnen und Bürger maßregeln und letztlich sogar einsperren will, ließ sich stringent argumentieren und nahm konkrete Formen an. Die Unzufriedenen und Zornigen haben sich hinter der FPÖ versammelt, die ihnen Stimme und politische Stoßrichtung gab.
Aber was sagen jene selbst, die sich bei dieser Wahl für die FPÖ entschieden haben?
Um das herauszufinden, befragen Meinungsforscher an Wahltagen Wählerinnen und Wähler zu ihren Motiven. Unter den deklarierten FPÖ-Wählern erklärte fast die Hälfte, dass die Freiheitlichen vor allem mit ihren “inhaltlichen Standpunkten” überzeugen konnten. Zum Vergleich: Nur zwei Prozent der Befragten gaben an, dass sie wegen Spitzenkandidat Kickl die FPÖ gewählt hatten.
Mittleres Alter, Arbeiterin
Interessant ist auch, dass die FPÖ diesmal fast so viele Frauen von sich überzeugen konnte wie Männer. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die FPÖ früher als Männerpartei galt – und ein deutliches Defizit bei Wählerinnen aufwies.
Ein klassischer FPÖ-Wähler ist zwischen 35 und 59 Jahre alt – in dieser Altersgruppe wählten 37 Prozent die FPÖ. Außerdem sind die Freiheitlichen die Partei der Arbeiterinnen und Arbeiter, unter ihnen hat die FPÖ sogar 50 Prozent aller Stimmen bekommen. Die SPÖ, einst Partei der Arbeiterschaft, liegt in dieser Gruppe hingegen sogar unter ihrem Gesamtschnitt. Dafür haben nur 15 Prozent jener Österreicherinnen und Österreicher blau gewählt, die einen Universitätsabschluss haben.
Das sind die trockenen Zahlen. Aber was erzählen Menschen, die sich für die FPÖ entschieden haben? Was waren ihre Beweggründe? Was erwarten sie sich? Wir haben mit FPÖ-Wählerinnen und -Wählern gesprochen – um sie besser zu verstehen.
“Hätte Angst, wenn FPÖ wieder nicht mitregiert”
“Für mich verkörpert die FPÖ die Hoffnung, dass es doch noch einmal besser wird”, sagt Larissa N. Sie ist 29, eine freundliche junge Frau, die als Unternehmerin tätig ist und sich schon seit ihrer Jugend für Politik interessiert: “Ich habe auch nichts gegen Parteien wie die Grünen”, sagt sie, “aber die haben mit meiner Lebensrealität nichts zu tun.”
Für Larissa, die nicht ihren vollen Namen veröffentlicht haben möchte, gibt es drei Themen, die ihr besonders wichtig sind: Migrationspolitik, das “Corona-Chaos” und Steuern. In allen drei Bereichen habe die FPÖ den richtigen Zugang. Steuerpolitisch geht es ihr vor allem um eine Entlastung mittelständischer Betriebe. “Die Lohnnebenkosten müssen runter”, sagt sie. “Wir würden unseren Mitarbeitern gerne mehr zahlen, aber können derzeit nicht.”
Ihr Umfeld sei früher ÖVP-affin gewesen, erzählt die Niederösterreicherin, inzwischen seien aber viele – so wie sie selbst – zur FPÖ gewechselt. Bestätigt habe sie sich in der Pandemie gefühlt, erzählt Larissa, obwohl sie auch schon davor die FPÖ gewählt hatte: “Es ist unglaublich, wie die Leute damals behandelt wurden.” Als Ungeimpfte habe sie sich wie eine Aussätzige gefühlt. “Ich hätte mir von Karl Nehammer zumindest eine Entschuldigung erwartet.”
Heute lebt Larissa in einem kleinen Ort auf dem Land, da sei “die Welt noch in Ordnung”. In St. Pölten habe sie mehrfach schlechte Erfahrungen mit “Asylanten” gemacht. Sie sei angepöbelt und angemacht worden, ohne ihren Hund habe sie das Haus nicht mehr verlassen. Vor diesen Problemen könne niemand die Augen verschließen, meint Larissa. “Ich hätte Angst”, sagt sie, wenn die FPÖ in den kommenden Jahren wieder nicht mitregiere.
“Bevormundung halte ich nicht aus”
Christian geht auf die 60 zu, er wohnt in einem Wiener Innenstadtbezirk, ist Akademiker, gescheit und charmant, arbeitet in einem Architektenbüro in Wien-Margareten und verdient ordentlich. Er hat ein ausgeprägtes Interesse für Geschichte und Kunstgeschichte. Auf den ersten Blick ist er kein typischer FPÖ-Wähler. “Mit Herbert Kickl hab ich gar nichts am Hut”, sagt er, “und für Gestalten wie Heinz-Christian Strache genier ich mich.” Und dennoch wählt er FPÖ, auch wenn er das nicht an die große Glocke hängt.
“Ich bin ganz strikt gegen jede Einmischung und gegen jede Bevormundung, besonders durch den Staat, das halte ich gar nicht aus”, sagt Christian und ist damit schon bei der Corona-Pandemie. “Das war der Sündenfall der Regierung. Impfpflicht und Wegsperren, das geht gar nicht. Ich lass’ mir meine Freiheit nicht nehmen.” Christian ist nicht geimpft, “selbstverständlich”. Er kann gut erklären, warum Impfen die Genetik eines Menschen verändert und warum Impfen schädlicher ist als Corona. Christian: “Da ist die FPÖ die einzige Partei, die das politisch konsequent verfolgt.”
Das ist freilich nicht der einzige Grund, warum der 59-Jährige der FPÖ seine Stimme gibt. “Nicht, dass ich altmodisch bin, ich gehe auch mit der Zeit, aber mit diesem ganzen Genderwahn kann ich überhaupt nichts anfangen.” Er will sich auch nicht vorschreiben lassen, was er isst.
Und dann die Ausländer. Christian senkt die Stimme. “Seien wir ehrlich. Uns droht die Überfremdung. Wir werden überrannt. Und es sind nicht die Guten, die zu uns kommen.” Das seien Asylbetrüger, die uns auf der Tasche liegen. “Die Moslems zwingen uns eine Religion und eine Lebensweise auf, die letztlich unseren Untergang bedeutet. Das ist keine friedliche Religion.” Das dürfe man kaum noch sagen, obwohl das die Wahrheit sei. Deshalb: FPÖ. Die spricht das aus, was auch er sich denkt. Die Forderung nach einem sofortigen Aufnahmestopp unterstützt Christian zu hundert Prozent. Bei Kickl hat er zwar Bauchweh, der habe auch etwas Lächerliches an sich, aber: “Österreich braucht einen Kanzler mit harter Hand.”
“Bin bekennende Nicht-Geimpfte”
Sandra Pangerl versteckt sich nicht. Schon vor elf Jahren, als sie in der Wahlkabine zum ersten Mal die FPÖ ankreuzte, kam ihr das nicht in den Sinn. Heute tut es das ebenso wenig. “Ich bin ein offener und ehrlicher Mensch”, sagt die 43-jährige Oberösterreicherin über sich selbst. Deshalb stehe sie auch dazu, dass sie blau wähle; in ihrer Heimatstadt Wels, auf Landesebene oder – wie zuletzt am vergangenen Sonntag – im Bund. “Vor allem wegen der extremen Zuwanderung, der mangelnden Integration, der Corona-Zeit und dem Impfen.”
“Ich bin Mutter von drei Kindern, da kann ich gar nix anderes wählen”, meint Pangerl. “Gerade wegen der steigenden Kriminalität durch Migranten und dass sich viele nicht anpassen. Und weil wir Frauen Angst haben müssen. Für mich gibt es da keine Alternative.” Dass die Freiheitlichen in der Pandemie gegen die Impfpflicht auftraten, rechnet ihnen Pangerl an. “Ich bin eine bekennende Nichtgeimpfte. Aber ich habe kein Problem mit allen, die sich impfen haben lassen – ich bin niemandem böse”. Sie befindet: “Jeder soll das selbst entscheiden.”
Früher stimmte die Angestellte “aus familiärer Prägung” für die SPÖ. Ausschlaggebend, sich von dieser ab- und der FPÖ zuzuwenden, waren aber nicht die großen gesellschaftspolitischen Themen wie Migration oder Gesundheit. Sondern eine vergleichsweise banale Angelegenheit. “Es hat keine Veranstaltungen mehr gegeben bei uns. Wels war tot”, beschreibt sie die 65.000-Einwohner-Stadt. “Da hab ich mir gedacht: Ich mag nimmer, ich gehe zur FPÖ.” Als 2015 die seit 1946 regierenden Sozialdemokraten die Bürgermeisterwahl gegen den Freiheitlichen Andreas Rabl verloren, fühlte sich Pangerl bestätigt. “Wels lebt jetzt wieder. Für mich passt es seit dem Farbwechsel wieder sehr.”
Mit einem sehr guten Ergebnis für die Freiheitlichen am vergangenen Wahlsonntag hatte sie bereits gerechnet. “Ich habe in meinem Umfeld herausgehört, dass viele die FPÖ wählen werden.” Ihr Wunsch: Herbert Kickl soll Kanzler werden. Dass das kompliziert werden könnte, ist ihr bewusst: “Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Partei sich am ehesten auf uns einlassen würde. Zu einem Entschluss bin ich nicht gekommen.”
“Herbert Kickl ist ein kluger Kopf”
Sebastian Kurz hat Tanja Stark zur FPÖ gebracht. Die heute 32-Jährige hat in Linz Rechtswissenschaften studiert, viele ihre Kolleginnen und Kollegen an der Uni waren bei der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft. Stark ließ sich mitziehen, verteilte Flyer für das damals aufstrebende Polit-Talent Kurz. Für sie begann damit eine Zeit der genauen Beschäftigung mit Parteien. Stark merkte: “Die Werte der FPÖ passen viel besser zu meinem Weltbild.” Heimat- und Naturverbundenheit, Familie, Gesundheit – das zählt für sie. Und: “Arbeiten muss sich wieder lohnen. Ich verstehe, wenn Junge heute nur Teilzeit machen wollen”, sagt die Vollzeit beschäftigte Juristin.
Bei der Präsidentschaftswahl 2016 stimmte Stark für Norbert Hofer, seither wählt sie stets blau. “Corona hat es für mich endgültig festgelegt. Mich hat der vernünftige Umgang der FPÖ überzeugt.” Kurz hingegen hat Stark einen berühmten Satz nicht verziehen – bis heute: “Dass jeder von uns bald jemand kennen wird, der an Corona gestorben ist. Das hat Angst gemacht.” Dass das Virus gefährlich ist, leugnet die Oberösterreicherin nicht: “Corona ist eine sich rasch verbreitende Krankheit. Aber es steht niemandem zu, ohnehin verängstigte Menschen mit solchen Aussagen zu konfrontieren.”
Und das zweite blaue Leibthema, die Migration? “Kritik, dass die FPÖ zu scharf gegen Asylanten vorgeht, kann ich nicht nachvollziehen. Gesagt wird, dass Menschen, die Schutz brauchen, Schutz bekommen sollen. Aber nicht jene, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen oder keinen Respekt vor Frauen haben.”
Einen Aspekt an der FPÖ gibt es aber, den Stark nicht nur gutheißt: die Rhetorik von Parteichef Herbert Kickl. “Seine Art zu kommunizieren ist sicher nicht bei jedermann oder jederfrau beliebt. Ich teile auch nicht alle seine Ansichten, aber er ist ein kluger Kopf.” Und es gebe ja auch Funktionäre, die sich “diplomatischer” äußern: Landesparteichef Manfred Haimbuchner zum Beispiel.
“Die FPÖ hat als einzige Partei zu mir gehalten”
Lange musste er nicht überlegen, wo er sein Kreuzerl macht. Die Impfung gegen das Coronavirus, die lehnt er strikt ab. Das sei auch der Hauptgrund gewesen, am vergangenen Sonntag die FPÖ zu wählen. “Ich wollte mich zu Corona-Zeiten auf keinen Fall impfen lassen. Als die anderen Parteien kurz davor waren, die Impfpflicht einzuführen, war das für mich persönlich eine Katastrophe. Damals war die FPÖ die einzige Partei, die zu mir gehalten hat.”
Der 34-jährige Niederösterreicher, der das dem STANDARD erzählt, tut dies nur unter Zusicherung von Anonymität. Er habe wegen seiner Einstellung schon Probleme in seinem Umfeld bekommen, sagt er.
Abgesehen von den Freiheitlichen sah der Mann, der in Fischamend im Industrieviertel lebt, diesmal kaum Möglichkeiten, wen er wählen könnte. Die Volkspartei sei ihm mit Korruptionsfällen und ihrer Regierungsarbeit in den vergangenen fünf Jahren negativ aufgefallen. “Unglaubwürdig” seien die Türkisen für ihn, weil sie viele Forderungen von Herbert Kickl übernommen hätten. “Beide Parteien haben mittlerweile ein identisches Programm.”
Die Grünen hätten als kleiner Koalitionspartner in der Regierung nicht überzeugen können, sagt er. Und: Die Vorwürfe rund um die grüne Spitzenkandidatin für die Europawahl, Lena Schilling, hätten ebenso kein gutes Licht auf die Partei geworfen.
Mit dem Programm der SPÖ kann er wenig anfangen. Die Roten hätten “utopische Vorschläge wie die 30-Stunden-Woche”, die für den Niederösterreicher nicht vertretbar sind. Sonst wären nur noch die Neos eine Option für ihn gewesen. Denn die seien “noch als Einzige konstant”.
Mit seiner Stimme will der Mann der FPÖ für ihren “Widerstand” gegen die Impfpflicht “etwas zurückgeben. “Das war das erste Mal, dass eine Partei für mich persönlich etwas enorm Wichtiges durchgesetzt und erkämpft hat. Dafür schulde ich ihnen was, dafür haben die Freiheitlichen meine Stimme verdient.” (Katharina Mittelstaedt, Stefanie Rachbauer, Max Stepan, Michael Völker, 5.10.2024)
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