Schülerin angesichts des FPÖ-Siegs zu Lehrerin: “Werden wir jetzt alle abgeschoben?”

Abschiebungen sind Thema an Mittelschulen.
An vielen Wiener Mittelschulen war der FPÖ-Wahlsieg Thema Nummer eins.
Fatih Aydogdu

“Ich sage Ihnen ganz offen und ehrlich: Schüler und Schülerinnen, die respektlos sind, haben nicht nur die Schule, die haben unser Land zu verlassen.” Diese Worte sagte die freiheitliche Abgeordnete Dagmar Belakowitsch Ende August bei einer Pressekonferenz, als sie Seite an Seite mit FPÖ-Chef Herbert Kickl das blaue Programm für die Nationalratswahl vorstellte. Es war eine Bemerkung am Rande, mit einer klaren Botschaft: Der Druck in den Schulen müsse erhöht werden – vor allem auf jene Schüler aus muslimisch geprägten Ländern.


Gut einen Monat später feierte die FPÖ als stimmenstärkste Partei mit 29,2 Prozent den Wahlsieg – erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik. Und das nicht wegen ihres Spitzenkandidaten Kickl, wie Wahltagsbefragungen von Foresight zeigen – sondern wegen “der inhaltlichen Standpunkte”. Und ganz oben auf der Liste standen laut einer Umfrage des Meinungsforschers Peter Hajek Zuwanderung, Asyl und Kriminalität von Migranten.


Dieser Themenkomplex wurde im Wahlkampf in gewohnter FPÖ-Manier hochgekocht: Nicht nur solle Österreich in eine Festung verwandelt werden, auch fanden die Blauen im rechtsextremen Kampfbegriff “Remigration” ein neues Lieblingswort. Das heißt: Kein einziger Asylantrag soll mehr geprüft und Abschiebungen – nicht nur Krimineller – nach Syrien und Afghanistan sollen forciert werden. Familienzusammenführungen soll es nicht mehr geben. Außerdem will die FPÖ die Strafmündigkeit bei Jugendlichen auf zwölf Jahre heruntersetzen. Es sind Botschaften, die fast jedem dritten Wähler entweder imponiert haben – oder an denen man sich zumindest nicht gestoßen hat.


Eine Partei sät Angst

Und es sind Botschaften, die sich über Monate, teils über Jahre in die Köpfe vieler Kinder und Jugendlichen hierzulande eingebrannt haben – zumindest wenn man den Erzählungen mehrerer Lehrerinnen und Lehrer und Direktorinnen aus Wien folgt, mit denen DER STANDARD in der vergangenen Woche gesprochen hat. Der Tenor dieser Gespräche: Waren viele Kinder mit Migrationsbiografie und Fluchthintergrund schon zuvor verunsichert, hat sich bei manchen durch den klaren Sieg der FPÖ auch Angst dazugesellt.


Viele Kinder würden sich nun fragen, ob sie das Land verlassen müssen. Eine Direktorin aus Wien-Simmering berichtet davon, dass die Wahl sogar bei ihren Volksschülerinnen und Volksschülern Thema war und Debatten darüber entstanden seien, warum Eltern mancher Schüler jene Partei wählen, vor der Mitschülerinnen Angst hätten.


Unterstützung durch Lehrkräfte

Das Thema ist auch zur Bildungsdirektion Wien durchgedrungen, wie auf STANDARD-Anfrage bestätigt wird. An manchen Schulen, vor allem Mittelschulen, hätten die Lehrkräfte “durch gemeinsames Besprechen und Aufklärung die jungen Menschen mit ihren Sorgen wahr- und ernstgenommen und so gut es ging unterstützt”, heißt es.


Was macht diese hetzerische Rhetorik mit den Kindern? Und wie gehen die Pädagogen damit um? Exemplarisch erzählen drei Lehrkräfte an Wiener Mittelschulen, die anonym bleiben wollen, was in den Schulkindern nach der Wahl vor sich ging.

Der FPÖ-Wahlsieg hat für viel Verunsicherung an Mittelschulen geführt.
Vor allem bei syrischen, afghanischen und irakischen Kindern habe sie die größte Angst gespürt, erzählt eine Lehrerin dem STANDARD. (Symbolbild)
HANS KLAUS TECHT / APA / picture

“Bei dir sieht man eh nicht, dass du Ausländerin bist”

“Wir werden abgeschoben”: Das war der erste Satz, den Viola Brunner* am Montag nach der Nationalratswahl von Schülerinnen auf der Stiege auf dem Weg in die Klasse hörte – nicht zum letzten Mal an diesem Montagmorgen. In ihrem Matheunterricht habe sie zunächst versucht, den Wahlausgang nüchtern zu analysieren. Was braucht es, um Gesetze durchzusetzen? Was ist eine Mehrheit? “Dann wollten sie wieder wissen, ob sie jetzt wirklich abgeschoben werden”, erzählt die 28-jährige Lehrerin. Wortmeldungen wie “Ach, bei dir sieht man eh nicht, dass du Ausländerin bist” und Fragen nach der Passfarbe folgten darauf.


In der zweiten Stunde – und den Stunden danach – dasselbe noch einmal. “Ein Schüler aus Afghanistan ist nach dem Unterricht zu mir gekommen und hat gefragt, wie das jetzt wirklich sei. Seine Mutter mache sich Sorgen und habe die ganze Nacht geweint”, erzählt Brunner, die auch Vertrauenslehrerin ist. Die größte Angst habe sie bei syrischen, afghanischen und irakischen Kindern wahrgenommen, die teils erst wenige Jahre in Österreich sind.


Dass Kinder, die gerade dabei sind, Deutsch lernen, das alles schon mitbekommen, überrascht Brunner nicht. “Alle haben damals das Sylt-Video mit ‘Ausländer raus’ gesehen, und da ist klar, was gemeint ist.“ Und das hätten die Kinder letztlich mit der FPÖ und deren Botschaften, die sie in Tiktok- und Youtube-Werbung aufschnappen, assoziiert. Ein Schüler sei zudem erst kürzlich im Park mit seinen Freunden von einer Frau angesprochen worden mit den Worten: “Bald werdets ihr eh alle wegmüssen.”


Manche Kinder würden sich jedenfalls in dem Glauben bestärkt fühlen, dass sie nicht hierher gehören. “Und so fühlen sie sich dann vielleicht zu Gruppen, im schlimmsten Fall radikaleren Kreisen, leichter hingezogen, weil diese ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit geben”, meint Brunner.


“Das ist bedrückend und beängstigend”

Die Säugetiere mussten am 30. September in der Klasse von Martina Dvorak* warten. Kaum hatte ihr Biologieunterricht begonnen, ging die erste Hand einer Schülerin nach oben. “Ich bin keine Staatsbürgerin, muss ich jetzt gehen?” Ein anderer Junge fragte, ob er das Land verlassen müsse, wenn er was Falsches mache. Dass solche Themen und Fragen überhaupt aufkommen, hätte sich die 35-Jährige vielleicht bei Viertklässlern vorstellen können. “Aber bei Elfjährigen? Das ist bedrückend und beängstigend”, sagt Dvorak, die seit dreizehn Jahren in einer Mittelschule in Wien unterrichtet.


Grundsätzlich seien viele Kinder hier geboren, aber trotzdem auf der Suche nach ihrer Identität. “Sie haben oft den Eindruck, dass sie in Österreich nicht dazugehören. Und dann gehen sie in die Türkei zu Verwandten, und auch dort sind sie Ausländer.” Mit dem Wahlausgang dürfte sich dieses Gefühl bei den Schülerinnen und Schülern verstärkt haben, meint die Lehrerin.


Immer wieder sei auch die Frage aufgekommen, warum die FPÖ sie nicht hier im Land haben wolle. Reiter vermutet, dass die Kinder all diese Botschaften über Wahlplakate und das Elternhaus aufschnappen. “Gerade in der ersten Klasse habe ich viele Eltern, die österreichische Nachrichten konsumieren. Dennoch war ich erschrocken, weil ich wirklich nicht dachte, dass so junge Kinder das schon mitbekommen.” Wie sie auf all diese Fragen reagiert habe? “Ich habe versucht, sachlich zu besprechen, wie ein Gesetz zustande kommt. Und dass die FPÖ mit 30 Prozent nicht die Verfassung ändern kann”, sagt die Lehrerin.


“Warum nur die Syrer? Andere sind auch kriminell”

Als Lehrer für Politische Bildung war für Ramy Hamdy* klar, dass er mit seiner vierten Klasse das Wahlergebnis besprechen wird. “Dass aber so viele die Nachrichten geschaut haben, hat mich dann doch überrascht – und auch ein bisschen stolz gemacht.” Auch hier fiel sofort die Frage, ob jetzt alle abgeschoben werden. Gestellt hat sie ein Mädchen mit afghanisch-iranischem Hintergrund.


Die Stimmung an diesem Morgen erinnerte den Lehrer an einer Mittelschule im 20. Wiener Bezirk an die Debatte in seiner Klasse nach dem Treffen rechtsextremer Kreise in Potsdam Ende 2023. “Auch damals waren alle durch die Bank verängstigt, auch wenn es Deutschland betraf”, sagt Hamdy. Aber natürlich würden die Schüler mitkriegen, wofür die FPÖ steht, dazu komme dann auch der Rassismus, den sie im Alltag erleben. Gerade die von der FPÖ befeuerte Diskussion rund um Abschiebung syrischer und afghanischer Flüchtlinge hätte die Schüler nicht losgelassen. “Warum nur die Syrer? Auch andere sind ja kriminell”, hätten sie damals gesagt.


Für ihn selbst sei es gar nicht so leicht, auf all diese Fragen Antworten zu finden. “Ich habe im Unterricht versucht, das Einmaleins der Regierungsbildung zu vermitteln und zu zeigen, dass es Gesetze gibt, an die sie sich halten müssen, auch wenn natürlich die Gefahr besteht, dass diese verschärft werden.” Gleichzeitig habe er versucht zu beruhigen. “Ansonsten kann es schnell zu Panik führen.” Bei manchen älteren Jugendlichen hätte sich aber auch der Schmäh durchgesetzt. “Heißt das jetzt, dass wir aufs Land fahren müssen, damit die Leute dort mehr Ausländer kennenlernen?” (Elisa Tomaselli, 14.10.2024)

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