Der Gemeindebund schaut sich in Ungarn Kickls politisches Reiseziel an

Kommunalpolitik

Ungarns Gemeinden klagen über wenig Mitsprache und eingefrorenes EU-Geld. Den österreichischen Bürgermeistern jagt ihr Ausflug aber keine Angst vor der FPÖ ein

Am Rande des Erfolgsprojekts steht die Katastrophe. Im Budapester Stadtwäldchen hört eine Bürgermeister-Delegation aus Österreich, wie toll das Grünraumprojekt mitten in der Großstadt funktioniert. Mit Museen, Hundeparks und Spielplätzen. Doch im Eck des Parks steht mit dem Biodome ein Mahnmal gescheiterter Politik: Der gläserne Kuppelbau sollte längst exotische Pflanzen und Tiere beherbergen, steht aber leer. Die links regierte Stadt und die rechtsnationale Staatsregierung streiten wegen der Finanzierung.

Der ungarische Reiseführer erklärt den kommunalen Delegierten: So etwas passiert, wenn sich zwei politische Ebenen gegenseitig blockieren.


Ungarische Gemeinden im Tal der Tränen

Zweieinhalb Wochen nach der Nationalratswahl schaut sich der Gemeindebund die Vision der Freiheitlichen Partei an. Das ist natürlich Zufall. Der Bund, der 2082 Kommunen in Österreich vertritt, organisiert zweimal pro Jahr eine Reise in das Land, das gerade den Ratsvorsitz der Europäischen Union innehat. Aktuell ist das eben Viktor Orbáns Ungarn, das große Vorbild der blauen Wahlsiegerin.


Nun liegt die FPÖ auf Platz eins in Österreich und könnte bald mitregieren. Was würde das für die Gemeinden bedeuten?


In Ungarn gibt es vieles, was österreichische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schaudern lässt. Vor allem einen Hang zur Zentralisierung. Die Volksschulen hat die Regierung in der Hand, sogar die Müllabfuhr läuft übers Ministerium. Die österreichische Delegation besucht einen der Gemeindebünde in Ungarn. Ihr Generalsekretär Ferenc Gyergyák sagt: “Wir sind in einem Tal.” Früher sei es den ungarischen Kommunen besser gegangen, heute mangle es ihnen an Zuständigkeiten, Geld – und Einfluss. Betrifft ein Gesetz die Gemeinden, würden diese oft nicht mehr im Vorfeld eingebunden, sondern beim Beschluss vor vollendete Tatsachen gestellt, erzählt Gyergyák.


Die EU und das Geld

Und dann ist da noch die Sache mit der EU, die Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl (ÖVP) besonders interessiert. Gemeinden sind einerseits Ziel europäischer Vorgaben, andererseits profitieren sie stark von der europäischen Zusammenarbeit und dem Fördergeld, das daraus resultiert.

menschen sitzen u-förmig in einem raum, ein mann spricht zu ihnen
Der ungarische Gemeindebund TÖOSZ klagt über den Mangel an Geld und Einfluss.
Kolin Péter / Települési Önkormányzatok Országos Szövetsége

Und in Ungarn hören die österreichischen Gäste oft, wie schwer sich die dortigen Kommunen damit tun: Denn Orbáns Konfliktfreudigkeit mit der Union macht nicht nur schlechte Stimmung. Weil die EU-Kommission der ungarischen Regierung zahlreiche Verstöße gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit vorwirft, sind derzeit rund 20 Milliarden Euro an Geldern aus Brüssel eingefroren. Geld, das nun auch den Kommunen fehlt.


Proeuropäischer Kurs als “rote Linie”

Pressl glaubt nicht, dass Österreich ein ähnliches Schicksal droht, selbst bei einer blauen Regierungsbeteiligung. “Da werden Realitäten rasch klar werden”, erklärt er dem STANDARD, warum er an ein Arrangement der FPÖ mit der EU glaubt. “Ein ganz großer Prozentsatz unserer Rahmenbedingungen entsteht europäisch. Daran wird auch eine FPÖ nicht vorbeikommen können”, sagt Pressl.


Andrea Kaufmann, VP-Bürgermeisterin von Dornbirn, wird deutlicher: “Ein proeuropäischer Kurs muss für Österreich eine rote Linie sein, die auf keinen Fall überschritten werden darf.” Eine Partei in der Bundesregierung, die einen antieuropäischen Kurs fährt, sei “nicht möglich”.


Geld im Mittelpunkt

Doch insgesamt wirken die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Reisebus unbekümmert – und sehen ihren Ausflug ins autoritäre Nachbarland nicht als Besichtigung eines abschreckenden Beispiels. Der Tenor: Egal wie die Regierung ausschaut, Hauptsache, sie achten auf die Gemeinden. “Die finanzielle Leistungsfähigkeit muss in den Vordergrund gerückt werden”, sagt Arnold Marbek, SPÖ-Bürgermeister von Poggersdorf in Kärnten.


Bernadette Geieregger (ÖVP) denkt ähnlich, sie regiert im niederösterreichischen Kaltenleutgeben und muss sich “regelmäßig damit auseinandersetzen, wie ich meinen Kanal überhaupt sanieren kann”. Es gebe immer mehr Aufgaben, immer mehr Ansprüche der Bevölkerung, aber auch immer weniger Geld. “Das wäre ein guter Ansatz, sich das nachhaltig anzuschauen”, sagt Geieregger. Sie sitzt auch im Bundesrat und stärkt ihrem Parteichef den Rücken: “Ich wünsche mir keine Regierung mit Kickl”, alles weitere müsse man ausverhandeln. “Ich würde keiner einzigen Partei unterstellen, dass sie die Gemeinden nicht mit entsprechenden finanziellen Mitteln ausstatten würden.”


Saunen, aber kein Kanal

ein mann erklärt anderen männern etwas vor einem whirlpool
In Diósjenő hat Bürgermeister Székely József Ede das alte Badhaus in eine Art Spa umgebaut.
sefe

Der Bürgermeisterbus macht in Diósjenő halt, wo der Bürgermeister seine Kolleginnen und Kollegen durch das gemeindeeigene Spa führt. Ein Besucher fragt sich laut, wie sich der Betrieb für das kleine Dorf jemals auszahlen soll. Einmal mehr zeigt sich, wie unterschiedlich österreichische und ungarische Gemeinden funktionieren. Denn während sich Diósjenő Whirlpools und Saunen leistet, muss sich die Kommune um anderes nicht kümmern: Ein Delegationsmitglied will wissen, ob sich die Gemeinde auch um den Kanal kümmern muss. Der christdemokratische Bürgermeister bekreuzigt sich: Gott sei Dank nicht. (Sebastian Fellner, 18.10.2024)

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