Präsidentin Sandu muss in Stichwahl
Die prowestliche Amtsinhaberin Sandu ging als Favoritin in die Abstimmung. „Ich habe gewählt, weil die moldawische Bevölkerung ihr Schicksal selbst bestimmen sollte und nicht Lügen und schmutziges Geld“, sagte Sandu örtlichen Medien zufolge nach der Stimmabgabe. Sandu ist seit 2020 in der ehemaligen Sowjetrepublik im Amt. Sie hatte die Beziehungen zu Russland abgebrochen und 2022 kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine den Beitritt zur EU beantragt. Seit Juni laufen die offiziellen Beitrittsgespräche zwischen Brüssel und Chisinau.
Ihr wichtigster und gleichzeitig schärfster Gegenkandidat ist der von den prorussischen Sozialisten (PSDR) unterstützte frühere Generalstaatsanwalt Stoianoglo. Ihm Wahlkampf hatte er gesagt, er vertrete eine „ausgewogene Außenpolitik“ und sei der einzige Kandidat, der „weder vom Osten noch vom Westen“ kontrolliert werde. Er war von Sandu als Staatsanwalt entlassen worden. Zwischen den beiden findet am 3. November eine Stichwahl statt.
Weitere Kandidatinnen und Kandidaten, die sich der Wahl gestellt haben, sind der umstrittene Unternehmer und frühere Kommunalpolitiker Renato Usatii sowie die Ex-Baschkanin von Gagausien, Irina Vlah – beide ebenfalls prorussische Politiker. Insgesamt bewarben sich elf Kandidatinnen und Kandidaten um das Amt. Die Wahlbeteiligung bei der Präsidentschaftswahl lag laut Wahlkommission bei 51,6 Prozent.
EU-Referendum abgelehnt
Die moldawischen Bürgerinnen und Bürger sprachen sich zudem mehrheitlich gegen ein Referendum zugunsten Moldawiens zu einem Beitritt zur Europäischen Union aus. Laut Text der Volksabstimmung hätte künftig dieser Satz in der Verfassung stehen sollen: „Die Integration in die Europäische Union wird als strategisches Ziel Moldawiens erklärt.“
Nach Auszählung von fast 80 Prozent der Wahlzettel lagen die Nein-Stimmen wider Erwarten vorn. Demnach stimmten rund 55 Prozent der Wählerinnen und Wähler gegen die Verfassungsänderung und rund 45 Prozent dafür. Weil in der proeuropäischen Hauptstadt Chisinau noch viele Stimmen auszuzählen waren, könnte das Endergebnis knapper ausfallen. Beobachterinnen und Beobachter rechneten aber nicht damit, dass am Ende die Ja-Stimmen vorne liegen würden. Am Referendum nahmen demnach fast 50 Prozent der Wahlberechtigten teil, womit das Quorum für die Gültigkeit deutlich überschritten wurde.
Am Wahlsonntag gab es teils scharfe Kritik daran, dass Sandu die Präsidentschaftswahl und das EU-Referendum verknüpfte. Mehrere Politikerinnen und Politiker von Parteien aus dem russlandfreundlichen Lager boykottierten das EU-Referendum. „Die Gespräche mit der Europäischen Union sollen fortgesetzt werden, doch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der EU sollte erst nach dem Abschluss dieser Verhandlungen getroffen werden, wenn alle Bedingungen klar sind“, sagte etwa Ex-Präsident Igor Dodon. Erst dann sei ein Referendum möglich.
Moldawien mit seinen rund 2,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern grenzt an die Ukraine und an Rumänien. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 befürchten viele in Moldawiens Bevölkerung, dass Russland ihr Land als Nächstes angreifen könnte. Sorge bereitet vielen auch die Lage in der russischsprachigen Region Transnistrien, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von Moldawien abgespalten hatte.
Vorwürfe der Einflussnahme auf Wahl
Moldawische Sicherheitsbehörden deckten vor den Abstimmungen Fälle von prorussischer Desinformation und Wählerbestechung auf. Als wichtiger Akteur gilt der ins Ausland geflüchtete moskautreue Oligarch Ilan Schor, der in seiner Heimat wegen Geldwäsche und Betrug verurteilt wurde und gesucht wird.
Russland wiederum wirft der EU vor, mit Milliardenversprechen Einfluss auf die Abstimmung zu nehmen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Chisinau und bei einem Treffen mit Sandu kurz vor der Abstimmung 1,8 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Finanziert werden sollen etwa Arbeitsplätze, Wachstum, Dienstleistungen und Infrastruktur. Präsidentin Sandu hatte vor der Wahl angekündigt, ihren reformorientierten Kurs fortzusetzen.
Abstimmungen in Moskau und prorussischen Regionen
In der russischen Hauptstadt Moskau hatten sich lange Schlangen vor der moldawischen Botschaft für die Stimmabgabe gebildet. Zugleich gab es Beschwerden, dass die Zahl der Wahllokale in Russland gezielt klein gehalten werde und nicht genügend Stimmzettel vorhanden seien. Das Außenministerium in Chisinau bezeichnete die Schlangen laut moldawischen Medien als künstliche Inszenierung.
Stark ist der russische Einfluss auch in der von Moldawien abtrünnigen und von Moskau abhängigen Region Transnistrien, die an die Ukraine grenzt, sowie in der moldawischen autonomen Provinz Gagausien, in der die regionale Regierungschefin Vlah als Kandidatin „für Frieden“ antrat.
Unzufriedenheit mit Sandus Politik
Das Bewerberfeld dürfte auch deshalb so groß gewesen sein, weil viele Menschen mit Sandus Politik unzufrieden sind und seit ihrer Wahl 2020 zu wenig Fortschritte etwa im immer wieder angekündigten Kampf gegen Korruption in dem verarmten Agrarstaat sehen. Damals kam die frühere Ökonomin der Weltbank im ersten Wahlgang auf 36,2 Prozent und im zweiten Wahlgang auf 57,7 Prozent der Stimmen.
Kritikerinnen und Kritiker Sandus werfen ihr vor, die Interessen des Westens zu vertreten und darüber zu versäumen, die angeschlagene Wirtschaft und die hohe Inflation in den Griff zu bekommen oder Justizreformen voranzutreiben. Weil Sandu einen Verzicht auf russisches Gas durchsetzte, stiegen die Energiepreise, was viele Verbraucherinnen und Verbraucher ärgert.
Um Reformen umzusetzen, ist Sandu auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen, die sie derzeit hat. Der politische Machtkampf in Moldawien wird nach Einschätzung von Beobachtern seinen Höhepunkt bei der Parlamentswahl im kommenden Sommer erreichen. „Für eine starke politikgestaltende Rolle als Präsidentin ist ein loyaler Premierminister und eine Mehrheit im Parlament notwendig“, sagte die Moldawien-Expertin Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau der Deutschen Presse-Agentur. Sie erwartet nicht, dass Russland bei seinen Versuchen der Einflussnahme in dem Land nachlässt.
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