Die FPÖ und ihr SS-Erbe
Rund um die Nationalratswahl wurde auch die Geschichte der FPÖ ein Diskussionsthema. Eine Aktion der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH), die sich kritisch mit Parteiobmann Herbert Kickl auseinandersetzte, und ein Begräbnis eines “Alten Herrn” sorgten für Debatten über die Gründung und Entstehung der Freiheitlichen Partei.
Hafenecker belehrt über die Shoa
Den Anfang machte Generalsekretär Christian Hafenecker. Er forderte die JöH auf, über ihre “eigene Geschichte” nachzudenken, da sie “das Leid von Millionen ermordeter Menschen nutzen, um Polemik im Wahlkampf zu betreiben”. Anlass für diese Aussagen waren die “Mahnwachen gegen Volkskanzler & Kellernazis” der JöH. Damit wollten sich die Studierenden kurz vor der Wahl positionieren und mahnen.
Bei den Mahnwachen projizierten sie die Sätze “Hätte Herbert Kickl uns damals versteckt?” und “Herbert Kickl hätte uns deportiert” auf das Wiener Burgtor, und eine Reihe von Personen hielt Reden.
JöH-Präsident Alon Ishay reagierte scharf auf die Aussagen Hafeneckers. Er nannte es zynisch und bizarr, dass die FPÖ jüdische Studierende über die Shoah belehren wolle und ihnen vorwerfe, diese zu instrumentalisieren. Ishay: “Die FPÖ wurde von Nazi-Verbrechern gegründet, die unsere Vorfahren ermordet haben.”
Er verwies auch auf eine Aussage des aktuellen FPÖ-Obmanns Herbert Kickl aus dem Jahr 2010, in der dieser erklärte, die Waffen-SS habe nicht ausschließlich aus Verbrechern bestanden. Aussagen, zu denen Kickl aktuell nichts sagen will. Anfragen werden nicht beantwortet.
Fünf Tage vor der Nationalratswahl wurde bei einer FPÖ-Veranstaltung in der Wiener Lugner City nachgelegt. Im Beisein des zweiten FPÖ-Generalsekretärs Michael Schnedlitz sprach der “Stargast” des Abends, der bekannte Corona-Verschwörungstheoretiker Sucharit Bhakdi, die Mahnwache an. Bhakdi behauptete, die Mahnwache schüre “echten Antisemitismus”, und bezeichnete die jüdischen Studierenden als “Mittäter”. Das sei eine Täter-Opfer-Umkehr, wie Ishay sagte. Und: Dass Jüdinnen und Juden “selbst schuld seien am Antisemitismus”, sei ein “alter Trick von Antisemiten”.
SS-Liedgut bei Begräbnis
Zwei Tage vor der Wahl nahmen FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan, Klubdirektor Norbert Nemeth und der langjährige Abgeordnete Martin Graf an einem Begräbnis eines “Alten Herrn” der deutschnationalen Burschenschaft Olympia teil, bei dem das Lied Wenn alle untreu werden als Abschluss gesungen wurde. Das Lied war mit einer Strophe weniger und der Abänderung von nur zwei bis drei Worten von der SS als deren Hymne, das Treulied, gesungen worden. Das Anstimmen des Liedes dürfte für die Anwesenden kein Grund gewesen sein, das Begräbnis zu verlassen.
Stefan trat 2018 aus der Olympia aus. Nemeth und Graf sind Mitglieder. Das Absingen des Liedes erinnert auch an die Vergangenheit der FPÖ. Sie bildete ein Sammelbecken für ehemalige Nazis, die ihrer Überzeugung treu geblieben waren. Auch SS-Männer waren maßgeblich an der Gründung der Partei beteiligt, der Bewegung wurden Deutschnationalismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Opferkult und Rassismus in die Wiege gelegt.
Die ersten Parteichefs Anton Reinthaller und Friedrich Peter kamen aus der Schutzstaffel, der SS – jener Organisation, die untrennbar mit der Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden und unzähligen weiteren schweren Verbrechen verbunden ist.
Schwere Verbrechen kurz vor Kriegsende
Es waren SS-Männer, die im Vernichtungslager Auschwitz das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B aus versiegelten Dosen durch Einwurfluken in abgedichtete Räume kippten und so dafür sorgten, dass die Opfer nach wenigen Minuten erstickten. Im Lauf des Zweiten Weltkriegs wurden mindestens 60.000 Mann zwischen Waffen-SS-Divisionen und den Wachmannschaften der Konzentrationslager ausgetauscht.
Selbst unmittelbar vor Kriegsende 1945 verübten SS-Männer schwerste Verbrechen, im burgenländischen Deutsch Schützen etwa ermordeten sie ungarische Juden, in Wien-Floridsdorf erhängten sie Widerstandskämpfer, am Peršmanhof in Kärnten erschossen sie elf Zivilisten, darunter sieben Kinder. Nach dem Krieg stufte das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal die SS in ihrer Gesamtheit als “verbrecherische Organisation” ein.
SS-General und späterer FPÖ-Chef
Dieser Organisation gehörte auch der erste FPÖ-Obmann Reinthaller an. Dieser war bereits vor dem sogenannten Anschluss ein bekannter Nationalsozialist. Als am 11. März 1938 die Nazis in Österreich die Macht übernahmen, war er zur Stelle. Auf dem Balkon des Bundeskanzleramts nahm Reinthaller mit anderen Nationalsozialisten den Jubel der Menge entgegen, er grüßte sie mit dem Hitlergruß. Tags darauf marschieren deutsche Truppen in Österreich ein, und Reinthaller wurde Landwirtschaftsminister einer aus Nazis bestehenden Regierung. Am 12. März 1938 trat er der SS bei und machte weiter Karriere. Er wurde Reichstagsabgeordneter, Unterstaatssekretär des Großdeutschen Reiches, NS-Bauernführer und NS-Landesjägermeister. Bei der SS stieg er bis zum Brigadeführer auf, was einem Generalsrang entspricht. Er gehörte zur Elite des NS-Systems.
Nach dem Krieg wurde Reinthaller wegen seiner Verstrickung in das NS-Regime zu drei Jahren Kerker verurteilt. Der Historiker Bertrand Perz hat herausgefunden, dass Reinthaller im Juni 1942 mit anderen Kreisbauernführern das KZ Mauthausen besuchte. An dem Tag wurden “zwei jüdische Flüchtlinge” erschossen, ein weiterer Mann starb im Elektrozaun, wie in einem Bericht vermerkt wurde. Reinthaller empfand sich als Opfer der “Siegerjustiz”. “Die Vernichtung der Juden lehnte er ab, doch Rassenideologie, Ausgrenzung und Verfolgung von Juden hat er auch nach 1945 noch gutgeheißen”, schreibt die Historikerin Margit Reiter in ihrem Buch Die Ehemaligen.
Nach dem Tod Reinthallers 1958 trat mit Friedrich Peter ein ehemaliger SS-Obersturmführer seine Nachfolge als Parteichef an. Peter war bereits bei der Gründung der FPÖ führend dabei. 1975 deckte der KZ-Überlebende Simon Wiesenthal Peters Mitgliedschaft in einer Waffen-SS-Brigade auf, die im Sommer 1941 in Russland massenhaft Erschießungen von Jüdinnen und Juden durchgeführt hatte. Peter erklärte damals, er sei nicht beteiligt gewesen, er habe auch davon nichts gewusst: “Ich habe seit 1941 bei der 1. SS-Infanteriebrigade (…) meinen Dienst abgeleistet, aber weder innerhalb noch außerhalb dieses Zeitraumes an Erschießungen und Repressalien teilgenommen.”
“Freiwillig zur SS gegangen”
Bis heute gibt es keine Beweise für eine Verstrickung Peters in die Morde, jedoch halten es Historikerinnen und Historiker für ausgeschlossen, dass Peter nichts davon wusste, und für unwahrscheinlich, dass er nicht daran beteiligt war.
Seine SS-Mitgliedschaft trug er in den 1950er-Jahren wie eine Auszeichnung. “Ich bin nicht jenen Kreisen zuzuzählen, die angeblich erpresst und gezwungen wurden. Ich bekenne auch heute, dass ich freiwillig zur SS gegangen bin”, diktierte Peter 1956 der rechtsextremen Zeitung Wiking Ruf. In seinen SS-Akten ist zu lesen, dass er 1944 in der 2. SS-Panzerdivision “Das Reich” in Frankreich kämpfte. Diese Einheit war nach der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 für zahlreiche Massaker an Zivilistinnen und Zivilisten verantwortlich.
Dass Wiesenthal die Vergangenheit Peters zum Thema machte, hat ihm die FPÖ nicht vergessen. Das zeigte sich im Jahr 2020. Als der damalige Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) den Simon-Wiesenthal-Preis für Engagement gegen Antisemitismus ins Leben rief, sprach sich die FPÖ als einzige Partei im Parlament dagegen aus. Parteichef Kickl begründete dies damit, dass Wiesenthal Peter “zu Unrecht verfolgt” habe.
Kickls politisches Vorbild Jörg Haider sprach den Veteranen der Waffen-SS ein Lob dafür aus, dass sie ihrer Überzeugung “treu geblieben” waren.
Neben Reinthaller und Peter waren weitere SS-Männer an der Gründung der FPÖ beteiligt. Darunter auch Herbert Schweiger, der bis zu seinem Tod im Jahr 2011 als graue Eminenz der deutschsprachigen Neonaziszene galt. In seinem Buch Mythos Waffen-SS schrieb Schweiger, Mitglied der “Leibstandarte SS Adolf Hitler”, über die FPÖ-Gründung, dass der “Aufbau dieser neuen Bewegung sehr stark auch von ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS betrieben wurde. So standen sie wieder an vorderster Front, um eine Veränderung der politischen Atmosphäre in Österreich zu bewirken.”
Sorge um Hochzeitsfotos
Dass die SS für die FPÖ eine Rolle spielt, zeigte sich in den vergangenen Jahren. Etwa als sie als einzige Parlamentspartei Ende 2023 gegen die Verschärfung des NS-Verbotsgesetzes auftrat und dagegen stimmte. Dann könnten nämlich “auch Hochzeitsfotos des Großvaters in SS-Uniform eingezogen werden”, lautete die Begründung von Justizsprecher Stefan. Damit erinnerte er an familiäre Verstrickungen bei den Freiheitlichen. So war der Großvater des früheren FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache Mitglied der Waffen-SS gewesen. 1945 wurde er bei seinem Rückzug in die Heimat erschossen. Für Strache war der Tod des Großvaters “ein Kriegsverbrechen”.
Gegen Umbenennung von Stadion
Die FPÖ tritt auch für SS-Männer in anderen Parteien ein. Als im steirischen Kapfenberg das Fußballstadion umbenannt wurde, war sie dagegen. Der Namenswechsel wurde trotzdem beschlossen. Zur Erinnerung: Der einstige Namensgeber war vor seiner Zeit als langjähriger SPÖ-Bürgermeister bei der SS gewesen. Bei einer Einheit, zu deren Aufgaben auch die Bewachung eines KZs gehörte. (Markus Sulzbacher, 6.11.2024)
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