Hier geboren, wenig Deutsch: Wie groß das Sprachproblem an Wiener Schulen ist

Integration

Rund 28 Prozent der Erstklassler in Wien fehlen Sprachkenntnisse, um dem Unterricht folgen zu können. Dabei sind viele in Österreich aufgewachsen. Lässt die Politik aus?

Schwieriger Start in die Volksschule: Nicht wenige Kinder kämpfen damit, die Lehrerinnen überhaupt zu verstehen.
IMAGO/Bernd Leitner

Die starke Zuwanderung stellt Wiens Bildungseinrichtungen vor eine große Herausforderung: In den öffentlichen Volksschulen gebrauchen 65 Prozent der Kinder eine andere Alltagssprache als Deutsch, in den Mittelschulen 80 Prozent. Wie gut kommen die Migrantenkids angesichts dessen im Unterricht zurande?


Wiens Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) veröffentlicht regelmäßig erhellende Zahlen. Die jüngsten stammen aus dem Juni 2024. Von 17.770 Erstklasslern in den Volksschulen waren demnach 4971 – also rund 28 Prozent – als “außerordentlich” eingestuft. Das heißt: Sie konnten nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen.


Fokussiert man nicht allein auf die Schulanfänger, sondern auf sämtliche Wiener Volksschüler, dann gelten 10.535 von 71.097 Kindern als außerordentlich. Das ergibt einen Anteil 14,8 Prozent.


Flüchtlinge erklären nicht alles

Mit dem starken Zuzug von Flüchtlingen – allein in den vergangenen drei Jahren haben Wiens Schulen laut Wiederkehr 4000 Kinder zusätzlich aufgenommen – sind diese Zahlen nur bedingt zu erklären. Denn gut 45 Prozent aller außerordentlichen Volksschüler sind in Österreich geboren.


Allerdings waren die ausgewiesenen Anteile auch schon höher. Im Jänner hatte Wiederkehr in der Beantwortung einer ÖVP-Anfrage bekanntgegeben, dass es im Schuljahr 2022/23 gleich 36 Prozent der Erstklassler an den nötigen Deutschkenntnissen gemangelt habe. 66 Prozent davon waren demnach in Österreich geboren. Auch über alle Schüler gerechnet lag die Quote höher, und zwar bei 17,3 Prozent.


Zeigt sich da ein Trend zum Besseren? Die Erklärung ist eine andere. Die Schwankung hänge mit den unterschiedlichen Stichtagen zusammen, heißt es aus dem Büro Wiederkehrs. Die alten Daten stammen vom Beginn eines Schuljahres, die neueren vom Ende. Zwischen Herbst und Sommer verlieren Schüler den außerordentlichen Status. Das geschieht allerdings nicht nur dann, wenn sie sich sprachlich verbessern, sondern nach zwei Jahren auch ganz automatisch – unabhängig vom Deutschniveau.


Gegenseitige Schuldzuweisungen

Wiederkehr kritisiert, dass Wien weitgehend im Stich gelassen werde. Die vom Bundesministerium zugestandenen und finanzierten, aber zahlenmäßig gedeckelten Planstellen für die Deutschförderung fielen “viel zu gering aus”, um den gewachsenen Bedarf an den Schulen abzudecken. Die Mittel reichten gerade einmal, um etwa der Hälfte der Betroffenen zusätzliche Stunden an Sprachunterricht zu gewähren.


Die Stadt werde schon jetzt umfassend unterstützt, hält Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) entgegen. Der Bund habe die Ressourcen für die Deutschförderung zuletzt um 30 Prozent auf 40 Millionen aufgestockt, dazu kämen bereitgestellte Schulsozialarbeiter. Mit 231 von österreichweit 570 zusätzlichen Planstellen für die Deutschförderung erreiche Wien schon jetzt einen Anteil von 40 Prozent.


Wiederkehr wälze die Verantwortung ab, kritisiert die Wiener ÖVP – und trifft sich damit bemerkenswerterweise mit den Grünen. Beide Oppositionsparteien sehen den Schlüssel in den von der Stadt verantworteten Kindergärten, die dringend besser ausgestattet gehörten: In der Elementarpädagogik versage die Sprachförderung systematisch.


Wiederkehr, als Vizebürgermeister Juniorpartner der SPÖ, hat wieder Zahlen parat, diesmal zu seiner Verteidigung. Der Ausbau an den Kindergärten schreite “konsequent” voran: Hätten vor drei Jahren erst 246 Standorten von einer Sprachförderkraft profitiert, so sei das nun bereits an 376 Standorten der Fall. (Gerald John, 6.11.2024)


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