Jüdische Hochschülerschaft verhinderte Pogromgedenken durch Rosenkranz
Reichspogromnacht
Nach der Kranzniederlegung der Regierung an der Shoah-Namensmauer wollte auch Nationalratspräsident auf dem Judenplatz gedenken – eine Menschenkette bildete sich ums Mahnmal
“Wer Nazis ehrt, dessen Wort ist nichts wert” stand auf dem großen Banner, das Mitglieder und Freunde der Jüdischen österreichischen Hochschülerschaft (JöH) schon nach 9 Uhr morgens vor dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoah von Rachel Whiteread entrollt hatten. Ein Kranz mit weißen Rosen stand bereits am Mahnmal, bevor Nationalratspräsident Walter Rosenkranz auf dem Platz auftauchte. JöH-Mitglieder stellten ihn zur Seite und bildeten eine Menschenkette um das Denkmal.
Runde eine halbe Stunde passierte wenig. FPÖ-Politiker Rosenkranz beratschlagte derweil mit Verfassungsschützern und Mitarbeitern, wie man mit dem Protest umgehen solle. Auch eine Tafel für die noch immer in der Gewalt der Hamas befindlichen israelischen Geiseln wurde auf dem Platz aufgedeckt. Eine Aktion, die schon vor dem Protest geplant und angemeldet war.
Kette mit Helnwein
Schließlich entschied sich Rosenkranz, doch zum Gedenken zu schreiten – gegen den Willen der Nachkommen von Shoah-Opfern. Rosenkranz schickte zwei Mitarbeiterinnen, um den Kranz zu holen und vor der Menschenkette aufzustellen. Die Kette öffnete sich kurz, um sich zwischen Rosenkranz und dem Kranz wieder zu schließen.
Danach stimmten einige der bis dahin schweigend Protestierenden die haTikwa, die Nationalhymne des Staates Israel, an. Spontan bekam die Menge auch solidarische Unterstützung von prominenter Seite. Der Künstler Gottfried Helnwein, der über den Platz spaziert war, ließ sich erklären, worum es bei dem Protest ging, und gliederte sich in die Menschenkette ein.
Der Jurist Bini Guttmann, Mitglied des Exekutivrats des Jüdischen Weltkongress, der mit anderen das Transparent hielt, forderte Rosenkranz mehrmals auf, “zur Seite zu treten”. Rosenkranz antwortete, man solle die Demokratie akzeptieren und den Umstand, dass er “Ihren Vorfahren gedenken” wolle. Ein Mann mit Kippa erklärte Rosenkranz: “Wir sind die Kanarienvögel der Demokratie, und wir spüren, dass die Demokratie in Gefahr ist.”
Pattstellung
Nach minutenlanger Pattstellung verließ Rosenkranz schließlich den Platz er gebe der “Gewalt” der Protestierenden nach, kommnetierte Rosenkranz seinen eigenen Rückzug, obwohl es zu keiner Zeit auch nur annähernd zu gewaltsamen Handlungen gekommen war. Als er weg war, applaudierten die mehrheitlich jungen Menschen erleichtert.
Bis in die Seitengassen hatte Rosenkranz auch einer seiner Mitarbeiter begleitet, der unter anderem am alljährlich stattfindenden Gedenkmarsch für die Neonazi-Ikone Walter Nowotny teilnahm.
Eine halbe Stunde früher fand das – störungsfreie – Gedenken für die Opfer der Pogromnacht 1938 der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) und der Bundesregierung an der Shoah-Namensmauer im Ostarrichipark statt. Mit IKG-Präsident Oskar Deutsch waren seitens der Regierung Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Europaministerin Karoline Edtstadler, Innenminister Gerhard Karner, Außenminister Alexander Schallenberg, Integrationsministerin Susanne Raab (alle ÖVP) und Wirtschaftsminister Martin Kocher gekommen. Die Stadt Wien wurde von Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) vertreten. Oberkantor Shmuel Barzilai sprach das Seelengebet El Male Rachamim.
Zu diesem offiziellen Gedenken der IKG und der Bundesregierung war Rosenkranz explizit nicht eingeladen gewesen. Oskar Deutsch bekräftigte seine Ankündigung, künftig Sitzungen des Nationalfonds für NS-Opfer und des Fonds für die jüdischen Friedhöfe zu boykottieren, solange diese von Rosenkranz als Präsidenten des Nationalrats geleitet würden. Es gehe nicht, dass ein “deutschnationaler Burschenschafter” diese Funktion innehabe. Wie berichtet, war die Wiener Burschenschaft Libertas, der Walter Rosenkranz seit den 1980er-Jahren angehört, unter den ersten, die Juden ausschloss. (Colette M. Schmidt, 8.11.2024)
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