Knalleffekt im Prozess gegen Egisto Ott: Große Verwirrung, Fortsetzung wohl im Dezember
Gerichtsreportage
Als blauer Abgeordneter genoss Hans-Jörg Jenewein Immunität. Seine Auslieferung soll nie beantragt worden sein. Die Staatsanwaltschaft konterte sofort. Der Richter reagierte überrascht
Die Ratlosigkeit waren dem Staatsanwalt und dem Richter ins Gesicht geschrieben. Beide lehnten etwas verloren im Großen Schwurgerichtsaal des Wiener Straflandesgerichts. So recht konnten beide nicht fassen, was gerade passiert war. Wenige Augenblicke zuvor wurden sie von der Verteidigung überrascht.
Konkret durch den Anwalt des früheren Freiheitlichen Hans-Jörg Jenewein. Gemeinsam mit dem berüchtigten Chefinspektor des Staatsschutzes, Egisto Ott, sitzt Jenewein seit Mittwoch auf der Anklagebank, weil sich die beiden ab August 2018 in Chats beispielsweise über geheime Namen von Ermittlern austauschten oder über personelle Bestückung der sogenannten Soko Tape, die für die Aufklärung der Ibiza-Affäre zuständig war. Die Staatsanwaltschaft pochte auf eine Verletzung des Amtsgeheimnisses.
“Ich bin völlig überrascht”
Am zweiten Verhandlungstag folgte der Knalleffekt: Jeneweins Anwalt führte ins Treffen, dass der Freiheitliche zu jener Zeit als Abgeordneter zum Nationalrat – also von 9. November 2017 bis 22. Oktober 2019 parlamentarische
Immunität genoss. Das sei als “persönlicher Strafausschließungsgrund” zu werten.
Damit seien die wesentlichen Anklagepunkte gegen Jenewein rechtswidrig, da die Justizbehörden offenbar nie die Auslieferung des blauen Politikers beim Nationalrat beantragt hatten. Das hätte allerdings innerhalb einer Frist von fünf Jahren passieren müssen. Denn die Delikte der Verletzung des Amtsgeheimnisses und dem Vergehen gegen Datenschutzbestimmungen verjähren ab dann. Diese Frist ist vor zwei Wochen abgelaufen, sagte der Verteidiger dann am Rande der Verhandlung mit breiten Grinsen im Gesicht.
Otts Verteidiger fügte prompt an: “Wenn das Ermittlungsverfahren mit Rechtswidrigkeiten behaftet ist, hat das auch Auswirkungen auf Ott.”
Den Richter erwischte der Anwalt damit auf dem falschen Fuß. Der Fall sei zwar durch sämtliche juristische Instanzen gegangen, allerdings sei die Auslieferung niemals überprüft worden, räumte der Vorsitzende ein. “Ich erfahre das erst jetzt, ich bin völlig überrascht”, führte er ungläubig aus. “Ich gehe davon aus, dass er (Jenewein, Anm.) immun ist.” Anschließend vertagte der Richter die Verhandlung auf unbestimmte Zeit.
Richter lässt Rechtslage prüfen
Gemeinhin schützt die Immunität Abgeordnete nur, solange sie eben Abgeordnete sind. Der ehemalige Grünen-Politiker Peter Pilz wurde zuletzt etwa wegen Aussagen aus dem April 2018 nicht rechtskräftig verurteilt. Im Unterschied zu Jenewein hatte die Staatsanwaltschaft allerdings die Aufhebung der Immunität beauftragt, das war abgelehnt worden. Nach Pilz’ Ausscheiden aus dem Nationalrat wurden die Ermittlungen dann fortgeführt.
Die Ermittlungen gegen Jenewein begannen allerdings erst, als dieser nicht mehr im Nationalrat war, was ihn wiederum vom Fall Pilz unterscheidet.
“Immunität wurde geprüft”
Außerdem gibt es zwei verschiedene Arten von Immunität für Abgeordnete: die berufliche und die außerberufliche Immunität. Die berufliche ist sehr eng definiert, umfasst etwa Äußerungen im Plenum oder schriftliche Anfragen. Diese dürfen nie Anlass für Ermittlungen sein. Die außerberufliche hingegen schützt Vorfälle, die im Zusammenhang mit der Abgeordneten-Tätigkeit passieren, aber außerhalb des Parlaments stattfinden. Bei solchen kann nach der Abgeordnetentätigkeit so oder so ermittelt werden. Der Richter will die Rechtslage nun durch den Staatsanwalt jedenfalls prüfen lassen.
“Die Immunität wurde von uns selbstverständlich geprüft”, sagte Judith Ziska, die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, später der APA. Der Akt sei berichtspflichtig gewesen, der Vorhabensbericht – die Anklage gegen Jenewein und Ott – von den maßgeblichen Stellen (der Oberstaatsanwaltschaft Wien und dem Justizministerium, Anm.) genehmigt worden. Die Wiener Anklagebehörde und die übergeordneten Stellen waren demnach zum Schluss gekommen, dass Jeneweins seinerzeitige Tätigkeit als Parlamentarier seiner Strafverfolgung nicht im Weg standen.
Dem Ersuchen des Richters, die entsprechenden Unterlagen vorzulegen, habe der zuständige Staatsanwalt aufgrund des umfangreichen Akts nicht umgehend entsprechen können, erläuterte Ziska. “Die Bezug habenden Unterlagen und Erhebungen werden wir selbstverständlich dem Gericht darlegen”, sagte Ziska. Das sei auf die Schnelle nicht zu bewerkstelligen gewesen: “Es handelt sich um ein umfangreiches Ermittlungsverfahren.” Die Verhandlung könnte vermutlich im Dezember fortgesetzt werden. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, APA, 8.11.2024)
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