Das rechte Lager der SPÖ erodiert – was bedeutet das für Andreas Babler?
Andreas Babler hat sich seit der Nationalratswahl verändert. Tritt er dieser Tage vor die Presse, spricht er ruhig, deutlich langsamer als früher, wenige Emotionen, kein Klassenkampf mehr auf offener Bühne. Der SPÖ-Chef verwendet Worte wie “konstruktiv”, spricht von einer Koalition, die “aus der Mitte definiert” sein müsse. Babler trägt jetzt Krawatte. Es ist eine bewusste strategische Wandlung, die er vollziehen möchte: vom Revoluzzer zum Staatsmann. Geht das so einfach?
Seit Ende Oktober laufen die Sondierungsgespräche zwischen ÖVP und SPÖ, mittlerweile sind auch die Neos an Bord. Seit der Nationalratswahl hat sich aber auch die SPÖ verändert – vor allem im Westen des Landes. In den vergangenen vier Wochen sind drei rote Landeschefs zurückgetreten: der Salzburger David Egger und der Oberösterreicher Michael Lindner freiwillig, Tirols schon immer auffälliger SPÖ-Frontmann Georg Dornauer, weil er nach einer peinlichen Jagdaffäre nicht mehr zu halten war.
Rechter Flügel gestutzt
Was alle drei Rücktritte verbindet: Es sind drei SPÖ-Männer abgetreten, die einst dem Lager von Babler-Gegner Hans Peter Doskozil zugerechnet wurden. Man könnte sagen: Der sogenannte rechte Flügel der SPÖ wird gerade gestutzt. Er verliert jedenfalls an Gesichtern.
Personalschwund, niederschmetternde Ergebnisse bei der Nationalratswahl wie auch in Vorarlberg, in der Steiermark droht Ende November ein Rückschlag; unangenehme Possen und Skandale – was passiert da in der SPÖ? Und was bedeutet das alles für Babler und die Regierung, an der er bastelt?
Bablers skurriler Vorteil
Abseits davon, dass seine Sozialdemokratie gerade einen ziemlich zerrupften Eindruck erweckt, könnte sich für Babler vielleicht auch eine Chance bieten. Schließlich haben sich mehrere Kritiker seines Kurses gerade verabschiedet. Und im Jänner steht im Burgenland seinem mächtigsten Parteifeind Doskozil eine schwierige Wahl bevor – ihm droht der Verlust der absoluten Mehrheit. Könnte damit auch Doskozils Legitimation dafür schwinden, Bablers Kurs infrage zu stellen?
Fast skurril ist dabei: Während der rechte Flügel der Partei Federn lässt, während jene, die für einen pragmatischen, vielleicht populistischen, jedenfalls härteren Zugang in Fragen von Asyl und Migration stehen, das Feld räumen, verhandelt der linke Vorkämpfer Babler über eine Koalition mit der Volkspartei. Es könnte dabei die migrationspolitisch strikteste Regierung herauskommen, an der die SPÖ jemals beteiligt war.
Ein Sozialdemokrat formuliert es so: “Womöglich wäre ein so rechter Kurs, wie ihn die ÖVP in einer künftigen Koalition forcieren wird, unter einem anderen Vorsitzenden gar nicht möglich.” Er meint: Gegen jeden anderen Parteichef als Babler, den Hoffnungsträger der Parteilinken, würde der linke Flügel der SPÖ rebellieren, wenn er den strammen türkisen Kurs mitträgt. Denn dass die ÖVP in einer möglichen “Zuckerlkoalition” aus Volkspartei, SPÖ und Neos in Migrationsfragen die Linie vorgeben wird, daran zweifelt auch in der SPÖ niemand.
Verschwimmen also gerade ideologische Grenzen? Könnten sich parteiinterne Lager nach jahrelangen Streits vielleicht sogar annähern? Herrscht womöglich bald Frieden – mit neuen Landespersonalien und wenn die SPÖ wieder in der Regierung sitzt? Oder ist es viel mehr so, dass der SPÖ die Spaltung droht, wie es ein gekränkter Genosse aus dem rechten Lager in den Raum stellt?
Einfach werden die kommenden Monate nicht, das sagen selbst wohlmeinende Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Doch manche sehen einen Strahl Hoffnung am Horizont schimmern – trotz allem.
Denn zuletzt ist vieles passiert, das auch in der SPÖ als “hochnotpeinlich” und “schädigend” bezeichnet wird. Am Mittwoch musste Georg Dornauer “zur Seite treten”, wie er das nennt. Ein Foto, das Dornauer gemeinsam mit dem lachenden Ex-Immobilientycoon René Benko bei der Jagd zeigt und auf der Titelseite der Krone landete, das war seiner SPÖ in Tirol zu viel.
Porsche, Waffe, Benko
Noch dazu wurde über Dornauer 2019 ein Waffenverbot verhängt, nachdem er sein Gewehr bei offenem Fenster in seinem parkenden Porsche vergessen hatte. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob Dornauer bei der Jagd mit Benko trotz des Waffenverbots einen Hirsch erlegt hat.
Am Wochenende davor war überraschend Oberösterreichs SPÖ-Chef Lindner zurückgetreten. Er wolle sich auf seine Rolle als Vater konzentrieren, erklärte er den Schritt. Ende Oktober zog sich Salzburgs roter Landeschef Egger zurück – er habe die Ansprüche an sich selbst nicht erfüllt und wolle nur noch Bürgermeister sein.
Tief gespaltene Partei
In der SPÖ sind viele überzeugt, dass sie diese Entscheidungen auch deshalb getroffen haben, weil beide unzufrieden waren, wie sich ihre Partei entwickelt – unter Babler. “Es hat ihnen keinen Spaß mehr gemacht”, sagt ein Sozialdemokrat, der beide gut kennt. Er meint auch: “Babler hat sich an der Spitze gefestigt, aber in der Basis gärt es.”
Und dann ist da noch Rudolf Fußi, der gerade lauteste Unzufriedene. Der PR-Berater mit bunter Polit-Geschichte hat sich in den vergangenen Jahren zum Enfant terrible der SPÖ entwickelt – und im Machtkampf Doskozil unterstützt. Aktuell möchte er Babler als Parteichef stürzen und sammelt dafür Unterstützungserklärungen in der roten Basis. Sollte er rund 14.000 Befürworter mit Parteibuch für sich gewinnen, käme es zu einer Kampfabstimmung. So will es das Statut der SPÖ, nachdem Babler das Regelwerk reformiert hat.
Die SPÖ ist schon lange eine gespaltene Partei. Lager – egal ob man die handelnden Personen in Linke und Rechte, Pragmatiker und Grundsatzorientierte, Proletarier und Intellektuelle oder Flächenbezirkler und Innenstädter einteilt – gab es schon immer. Doch der Machtkampf hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter zugespitzt. Das Resultat war die Vorsitzwahl, bei der die damalige SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner gegen Babler und Doskozil antrat.
Sie repräsentierte den “Wiener Weg”, der machtorientierten pragmatischen Sozialdemokraten der Hauptstadt, Babler den linken, Doskozil den rechten Flügel. Die Basiswahl inklusive Kampfabstimmung beim Parteitag in Linz und die dortige Ergebnispanne wirken bis heute nach. Ein Babler zugeneigter Sozialdemokrat sagt: “Wenn wir diese Dreiteiligkeit aus der Befragung nicht bald überwinden und sich immer zwei Drittel freuen, wenn jemand aus dem anderen Drittel scheitert, wird es schwierig.”
Unterkühlte Präsidentin
Jedes dieser roten Drittel ist nun in den Koalitionsgesprächen vertreten: Babler repräsentiert die Parteilinke; Philip Kucher sitzt dort als ehemaliger Mann Doskozils; das rote Wien vertritt Doris Bures, die Dritte Nationalratspräsidentin. Auch in den Sondierungen sollen die Bruchlinien sichtbar werden, erzählt jemand aus dem türkisen Verhandlerumfeld. Bures und Babler wird ein unterkühlter Umgang attestiert. Sie soll ihn kaum eines Blickes würdigen. Im Wahlkampf ließ sie wissen, dass sie Bablers Programm für “unernst” hält.
Babler und die Wiener verbindet überhaupt eine seltsame Beziehung. Durch die Stimmen von Funktionärinnen und Funktionären der Hauptstadt wurde er zum Parteichef gewählt. Doch nur deshalb, weil Wiens Bürgermeister Michael Ludwig seinen Intimfeind Doskozil um jeden Preis verhindern wollte. Seit seiner Wahl wird Babler in Wien mit Skepsis beäugt. Er gilt dort als kaum steuerbar.
Ludwig und Bures zählen jedoch zu den größten Verfechtern einer türkis-roten Koalition. Die Überlegung in der Hauptstadt lautet: Jedenfalls muss eine Regierung zwischen FPÖ und ÖVP verhindert werden. Denn Wien wählt im Herbst 2025, eine beliebte blau-türkise Bundesregierung käme der Wiener SPÖ in dieser Zeit strategisch besonders ungelegen. Besser: ÖVP und SPÖ zeigen im Bund, dass sie die verlässlichen Kräfte sind im Land.
Wollte er in die Opposition?
Doch ob es überhaupt zu der “Zuckerkoalition” kommt, birgt eine Unsicherheit: Andreas Babler und wie weit der SPÖ-Chef bereit ist, seine linken Ideale aus dem Wahlkampf zurückzufahren und auf die ÖVP zuzugehen. Auch wenn sich heute kompromissbereit zeigt, wird es für Babler ein weiter Weg. Vor gut einem Jahr attestierte er der Kanzlerpartei noch, sich “radikalisiert” zu haben.
Die Regierungswilligen in der SPÖ sind aber von Babler abhängig – auch von der ÖVP wird er als unbestrittener Anführer der roten Sondierungstruppe wahrgenommen. Und die SPÖ wird ihn nicht mehr so schnell los: Zur Wahl eines neuen Parteichefs müssten alle Mitglieder der SPÖ befragt werden.
Gegen eine rote Regierungsbeteiligung spricht sich offen Hans Peter Doskozil aus. Nach der Wahlschlappe müsse sich die SPÖ erst einmal in der Opposition konsolidieren, meint er. Am Wahlabend, direkt nach der Ergebnisverkündung, war noch das Gerücht umgegangen, auch Babler strebe an, die SPÖ in die Opposition zu führen. Erst die roten Wiener und Gewerkschafter hätten ihn umgestimmt.
Aber wie fest sitzt Babler im Sattel? Seine Kritiker sagen: fester, als ihnen lieb ist. Als roter Chefverhandler konnte er seinen Stand festigen. Inzwischen geht kaum noch jemand davon aus, dass Babler so schnell das Feld räumen wird. Die Position als Vizekanzler scheint ihm sicher, sollte die Regierungsbildung gelingen. Fraglich ist, ob er es politisch überleben würde, wenn die Verhandlungen scheitern.
Und das Team rund um Babler stimmt die Erosion des rechten Flügels positiv. Natürlich werfe der Fall Dornauer kein gutes Licht auf die SPÖ, doch “in alten Konfliktlinien gedacht”, berge sein Abgang auch Chancen: Dornauers Nachfolger Philip Wohlgemuth, der bisherige Tiroler Gewerkschaftschef, ist in der linken Innsbrucker SPÖ verankert. “Glück im Unglück”, formuliert es eine Unterstützerin Bablers.
In Oberösterreich und Salzburg ist die langfristige Nachfolge noch nicht geklärt. Doch auch hier ist die Erwartung im Babler-Lager: “Es ist davon auszugehen, dass die Nachfolger Interesse an einem verbindlichen Miteinander haben.”
Bleiben das Burgenland und Niederösterreich als Horte der innerparteilich Andersdenkenden. Doskozil hat am 19. Jänner die entscheidende Wahl vor sich. Niederösterreichs SPÖ-Chef Sven Hergovich ist ohnehin nicht für öffentliche Querschüsse bekannt. Er gilt als denkbarer Kandidat für ein Ministeramt in einer türkis-rot-pinken Regierung, so würden auch die roten Niederösterreicher eingehegt.
“Die Auseinandersetzungen werden nicht völlig verschwinden”, meint jemand aus dem linken Flügel, “aber wenn jetzt viele der Hauptakteure abtreten, die weiterhin gekränkt sind, dass Doskozil nicht Parteichef wurde, dann kann das einen Neuanfang ebnen.”
Und der soll von einem Imagewandel Bablers begleitet werden, der – so die Hoffnung – vielleicht auch innerparteiliche Kritiker besänftigt: weniger chaotischer Arbeiterführer, mehr gesettelter Vizekanzler. Eines werde sich aber nicht ändern, wie er gegenüber der ÖVP klargestellt habe: Niemand nenne ihn Andreas, er sei “der Andi”. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 17.11.2024)
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