Hart oder herzlich? Wo sich die Koalition bei Asyl und Zuwanderung treffen könnte

Knackpunkte der Koalition

Beim Reizthema Nummer eins stehen die Regierungsverhandler einander näher, als es oft wirkt. Möglicher Deal: Die ÖVP darf Strenge demonstrieren, SPÖ und Neos sollen bei Integration punkten.

Von zwei kleinen Booten im Mittelmeer gerettete Migranten: Die “illegale Migration” zu stoppen ist das Generalziel der Koalitionspartner in spe.
IMAGO/Simone Boccaccio / SOPA Im

Es gibt kaum ein anderes Thema, das derart polarisiert: Wer am Wirtshaustisch ordentlich streiten will, zettelt eine Debatte über Asyl und Zuwanderung an. Folglich wird es auch bei den Regierungsverhandlungen hart auf hart gehen.


Oder nicht? Die Signale, die aus den drei Koalitionsparteien in spe dringen, sind ganz andere. “Diese Frage wird zu keinem Stolperstein werden”, ist da zu hören. Oder: “Es gibt große Schnittmengen.”


Das liegt zuallererst am Rahmen der auf EU-Ebene fixierten Pläne. ÖVP, SPÖ und Neos bauen darauf, dass Asylanträge künftig in Zentren an den Außengrenzen der Union abgegeben werden. Alle drei Parteien plädieren auch für weitere Rückführungsabkommen mit den Herkunftsstaaten der Zuwanderer, um mehr Abschiebungen zu ermöglichen. “Illegale Migration” abzustellen ist das gemeinsame Generalziel.


Klare Kante zeigen

Weitgehend geteilt wird offenbar aber auch die Bereitschaft, symbolisch Strenge zu demonstrieren. Dem Vernehmen nach soll der ÖVP viel Freiheit eingeräumt werden, “klare Kante” zu zeigen, wie es ein Sozialdemokrat ausdrückt: “Es geht schon auch darum, die FPÖ in Schach zu halten.” Dass sich die Wortführer der Neos gegen diese Strategie stemmen, ist nicht zu erwarten.


Doch was sich Chefetagen ausmachen, wird nicht zwangsläufig vom gesamten Parteivolk mitgetragen. Gerade die SPÖ bietet da ein Lehrbeispiel. Dass erzürnte Genossinnen und Genossen ihren Kanzler und Parteichef Werner Faymann beim Maiaufmarsch 2016 vom Wiener Rathausplatz und damit letztlich aus den Ämtern gepfiffen haben, hatte eine lange Vorgeschichte. Auslöser aber war Faymanns jäher Schwenk von der Willkommenskultur zur Asylobergrenze.


Lebt Team Haltung noch?

Seit damals habe sich im “Team Haltung” manche idealistische Position abgeschliffen, glauben SPÖler, die sich nach Eigendefinition zu den “Pragmatikern” zählen. Kaum wer hege noch eine generelle Abneigung gegen Abschiebungen oder wolle jedermann herzlich willkommen heißen, der an der Grenze stehe. Doch zu vernachlässigen seien jene, die sich stets gegen restriktive Tendenzen gestemmt haben, keineswegs.


Allerdings sitzen Paradelinke wie Parteichef Andreas Babler oder die Abgeordnete Julia Herr heute selbst an den Schalthebeln. Sollte sich das Führungsteam dazu durchringen, eine harte Linie nach ÖVP-Gusto mitzutragen, stünden die Chancen auf Rückhalt besser, als dies unter Hans Peter Doskozil der Fall gewesen wäre. Denn die linke Sozialisation immunisiert ein Stück weit gegen Kritik aus demselben Lager.


Wann sind Schmerzgrenzen erreicht? Wenn neue Regel nur mehr auf Schikanen hinauslaufen. Das gilt etwa für den Fall, dass eine bundesweite Bezahlkarte als Bargeldersatz Asylwerber nicht nur an Überweisungen ins Ausland hindert, sondern auch am Kauf eines Eisschleckers für ihre Kinder.


Vergebliche Versuche

Schwertun werden sich die Partner der ÖVP auch mit neuen Anläufen für bereits einmal an der Verfassung gescheiterte Ideen. Das gilt für das Kopftuchverbot an Kindergärten und Schulunterstufen ebenso wie für eine auf Migranten abzielende Einschränkung der Sozialhilfe. Ein Kompromiss scheint dann denkbar, wenn die Koalition eine Rückkehr zur bundesweiten Mindestsicherung anstrebt. Legen die restriktivsten türkisen Bundesländer etwas drauf, könnte die SPÖ im großzügigen roten Wien Kürzungen ohne Gesichtsverlust akzeptieren.


Konflikt droht auch, sollte die Auslagerung von Asylverfahren in stabile Drittstaaten zum Thema werden. Die ÖVP ist für das so genannte Ruanda-Modell, SPÖ und Neos waren bislang dagegen.


Ein anderer türkiser Wunsch, ein “Verbotsgesetz” gegen den “politischen Islam”, stieß hingegen auch schon im roten Lager auf Wohlwollen. Von liberaler Seite ist aber mit Einwänden zu rechnen: Die Abgrenzung zum landläufigen Islam ist schwierig, selbst moderate Muslime könnten sich angegriffen fühlen.


Gegengewicht zur ÖVP

Natürlich haben die Neos auch eigene Wünsche. Die Zuwanderung benötigter Arbeitskräfte soll erleichtert werden, wobei Deutschkenntnisse Voraussetzung sein müssten (was im Prinzip jetzt schon gilt). Die SPÖ forciert in diesem Zusammenhang die Idee eines “Spurwechsels”: Asylwerber, die sich integriert und eine Existenz aufgebaut haben, sollen unter Umständen regulären Aufenthalt gewährt bekommen. Das könnte brutal wirkende Abschiebungen verhindern, wie sie bei der Linken Zorn hervorrufen.


Ein weiteres Gegengewicht zu Härten nach ÖVP-Stil sollen Erleichterungen beim Erwerb der Staatsbürgerschaft sein. Abgesehen vom demokratiepolitischen Argument, dass viele schon lange ansässige Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen bleiben, hat die SPÖ auch ein eigennütziges Interesse: Sie darf erwarten, bei Neo-Österreichern stark zu punkten.


Sowohl Rot als auch Pink verlangen außerdem den Ausbau von Integrationsmaßnahmen – nicht zuletzt zugunsten des von den beiden Parteien regierten Wien.


Wie das auf ÖVP-Seite gesehen wird? Es sei in der Partei wohl nicht die Mehrheitsmeinung, aber er finde, dass der ewige Schlagabtausch zwischen Wien und der Bundesregierung endlich beendet gehöre, sagt ein türkiser Vertreter: “Das hat in der Integration so viel blockiert.” (Gerald John, 23.11.2024)


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