Steirische ÖVP nach Wahlschlappe in Aufruhr
Landtagswahl Steiermark
Eine blau-rote Koalition in der Steiermark? Ex-SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky ist für “ein Stück neuen Weges”, die Landesparteien sollen autonom entscheiden
Es steht Spitz auf Knopf. Oder doch nicht? Hat sich der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek, der bei der Landtagswahl am Sonntag seine Partei mit knapp 35 Prozent zur Nummer eins im Bundesland gemacht hat, schon insgeheim für eine Partei entschieden, mit der er nächste Woche Koalitionsverhandlungen aufnehmen wird? Die extrem kurzen “Sondierungen” könnten dies vermuten lassen. Der ÖVP-nahe Politologe der Grazer Universität Klaus Poier glaubt zu hören, “dass die Stimmen für eine rot-blaue Koalition” bereits lauter seien als die für eine FPÖ-ÖVP-Koalition. “Mag natürlich sein, dass er schon von Anbeginn eine gewisse Präferenz hatte”, sagt Poier.
Am Mittwoch waren jedenfalls Gespräche mit der großen Wahlverliererin ÖVP und der auf den dritten Platz abgestürzten SPÖ angesetzt. In Bezug auf den Inhalt der Gespräche wurde strenge Vertraulichkeit vereinbart.
In der ÖVP herrscht seit dem Wahltag Alarmstimmung. Dass die Möglichkeit besteht, dass die so selbstbewusste steirische Volkspartei auf der Oppositionsbank landet, war bisher in der Kategorie “undenkbar” abgelegt. Nun muss sich die schwarze Führungsriege mit diesem Szenario auseinandersetzen, was intern zu einigem Aufruhr führt. Das äußerte sich bereits deutlich in den Parteigremien zu Wochenbeginn. Dem Vernehmen nach sei sogar ein “Putsch” gegen Landeshauptmann Christopher Drexler im Raum gestanden. Drexler und dessen magere Performance wurde eine wesentliche Mitschuld am Wahldesaster gegeben.
Geplanter “Putsch” in der ÖVP
Der Rädelsführer soll sogar aus dem eigenen Regierungsteam gekommen sein. Es heißt, es habe schließlich das Agreement gegeben, Drexler solle noch die Gespräche mit der FPÖ führen und dann gehen. Bereits ganz offen gegen Drexler hat sich Wirtschaftskammerchef Josef Herk positioniert, der sich im März bei der Wirtschaftskammerwahl als Spitzenkandidat wiederwählen lassen möchte. “Ein Fußballtrainer, der nicht erfolgreich ist, wird hinterfragt. Ein Parteiobmann, der nicht erfolgreich ist, genauso. Es gibt keine Tabus”, sagte Herk.
Hier spielt natürlich auch die jahrelange Fehde in der ÖVP zwischen Arbeitnehmerbund ÖAAB und dem schwarzen Wirtschaftsbund herein. Mit Drexlers Vorgänger Hermann Schützenhöfer hatte sich der AAB in der Landespartei vollends durchgesetzt. Die Wirtschaftssektion der ÖVP wurde an den Rand gedrängt. Auch Drexler kommt aus dem Arbeitnehmerbund und baute die AAB-Dominanz weiter aus.
Bemerkenswert an der ersten öffentlichen Kritik an Drexler ist, dass sie von Josef Herk kommt. Der Wirtschaftskammerchef stand 2022 und auch noch 2023 wochenlang wegen eines Gagen- und Privilegienskandals und der “Selbstbedienungskultur” in der Kammer unter harter interner und medialer Kritik. Herk konnte den Konflikt aber bis heute “aussitzen”.
Darf die SPÖ mit der FPÖ?
In der SPÖ zeigen sich die Führungsriege und auch gewichtige Bürgermeister wie der Leobner Stadtchef Kurt Wallner bereit, mit der FPÖ zu koalieren. Das hatte SPÖ-Chef Anton Lang seinem Koalitionspartner Drexler schon in der letzten TV-Runde vor der Wahl zwischen den Zeilen mitgeteilt. Was aber ist mit der Vranitzky-Doktrin, die eine Koalition der SPÖ mit der FPÖ sozusagen verbietet?
In der steirischen SPÖ fühlt man sich nicht mehr daran gebunden. Wallner meinte in einem Gespräch mit dem STANDARD, sie sei für ihn längst nicht mehr gültig. Und auch Bundesparteichef Andreas Babler scheint die Sache nun differenzierter zu sehen. In einem Krone-Gespräch sagte Babler: “Die Position der Bundespartei hier ist klar: Mit der FPÖ ist kein Staat zu machen. Auf Bundesebene wird es keine Koalition mit der FPÖ geben – das garantiere ich als Bundesparteivorsitzender. Auf Landesebene obliegt die Entscheidung der steirischen SPÖ.” Ist die Vranitzky-Doktrin von 1986 also heute, 2024, obsolet geworden?
Vranitzky gibt “grünes Licht”
Franz Vranitzky unterstreicht im Gespräch mit dem STANDARD die Sichtweise Bablers, dass die Länder autonom entscheiden können. “Ich möchte vorausschicken, dass ich den Ausdruck Vranitzky-Doktrin weder erfunden noch gebraucht habe. Der wurde mir angeschrieben. Vieles von damals, 1986, ist heute nicht mehr anwendbar. Die politischen Voraussetzungen waren völlig andere”, argumentiert Vranitzky. Damals habe die SPÖ über eine ausreichende Mehrheit verfügt, es sei um Jörg Haider gegangen, der “sich nicht ausreichend vom nationalsozialistischen Gedankengut getrennt hat”.
Er habe aber auch schon damals das föderale System beachtet, “ich war dafür, dass die Bundesländerparteien ihre Regierungsbündnisse autonom entscheiden sollen. Das sehe ich auch heute noch so.” Es sei kein Tabubruch, sondern auch “ein Stück neuen Weges, wenn die Parteifreunde in den Ländern ein Regierungsbündnis schmieden im Sinne einer gewissen Autonomie”, sagt Vranitzky. (Walter Müller, 27.11.2024)
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