Wie Regierungsmitglieder ins Amt kommen und welche Fachexpertise sie mitbringen
Regierungsverhandlungen
In Österreich werden regelmäßig Ministerinnen und Minister mit fachlichem Hintergrund in die Regierung geholt – vor allem zuletzt wieder öfter
Die aktuell laufenden Koalitionsverhandlungen holpern, zumindest wenn man den aktuellen öffentlichen Aussagen dazu traut. Das ging sogar so weit, dass ÖVP-Obmann Karl Nehammer seinem sozialdemokratischen Gegenüber, Andreas Babler, zuletzt die Rute ins Fenster stellte: Beharre die SPÖ weiter auf Vermögenssteuern, seien die Verhandlungen “schnell zu Ende”. Aber was dann?
Für solch einen Fall wird von verschiedenen Seiten immer wieder die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen eine Regierung bestehend aus Technokrat:innen ernennen könnte. Diese Vorgangsweise wählte das Staatsoberhaupt bereits 2019, als die von ihm eingesetzte ÖVP-Minderheitsregierung nach dem “Ibiza-Video” im Nationalrat abgewählt wurde: Das Expertenkabinett unter Kanzlerin Brigitte Bierlein übernahm für einige Monate – bis nach der Nationalratswahl – die Verwaltung.
76 echte Experten in den Ministerien
Und diese Regierung erfreute sich in der Bevölkerung außerordentlich großer Beliebtheit. Damit sticht Österreich aber nicht heraus: “Das Ausmaß an Leuten, die glauben, dass Expert:innen, die ohne politisches Mandat regieren, schon richtige Entscheidungen treffen werden, ist in allen europäischen Ländern relativ hoch”, sagt Matthias Kaltenegger vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien dem STANDARD.
Gemeinsam mit Laurenz Ennser-Jedenastik forschte er zum Thema und kam zum Schluss: “Nach unserer Rechnung waren 76 Minister:innen in der Zweiten Republik tatsächliche Technokrat:innen.” Zwar sei die Abgrenzung “nicht immer banal”, sagt Kaltenegger, aber grundsätzlich gelte: “Das sind Menschen, die keinen parteipolitischen Hintergrund haben, sondern wegen ihrer fachlichen Expertise in die Regierung geholt wurden.” Außerdem stellten sie einen europäischen Vergleich an: “In Ländern wie Ungarn, Portugal oder Italien sind Technokrat:innen ähnlich oft oder häufiger in der Regierung.”
Doch zurück zur Beliebtheit solcher Regierungsmitglieder, auch innerhalb “klassischer” Kabinette, nicht nur in Expertenregierungen an sich: “2022 fanden es ungefähr 45 Prozent der Wähler:innen gut, dass Expert:innen letzte Entscheidungen treffen – dieser Wert ist jüngst relativ konstant”, sagt Kaltenegger. Und in der öffentlichen Wahrnehmung mache es auch einen Unterschied, ob die Technokrat:innen einen parteipolitischen Hintergrund hätten: “Viele der Parteipolitiker:innen haben sachpolitische Expertise, aber selbst mit so einer Expertise werden sie mit einer Partei im Rücken als weniger kompetent wahrgenommen.”
Expertise nicht alles
Dabei müssen Expert:innen keineswegs auch automatisch gute Regierungsmitglieder sein: “Man kann zum Beispiel auch sagen, dass eine politische Machtbasis und ein Netzwerk in der täglichen Arbeit hilft. Ohne politischen Background hat man nicht dieselben Machtressourcen; das kann zermürbend sein.” Als Beispiel dafür gilt der Arzt Wolfgang Mückstein, der in der Covid-Pandemie für die Grünen das Gesundheitsministerium übernahm, aber eigene Vorstellungen aufgrund einer fehlenden politischen Machtbasis oft nicht durchsetzen konnte.
Außerdem würden bei der Zustimmung zu Expert:innen in der Regierung oft die Schattenseiten vergessen, sagt Kaltenegger: “Dabei wird implizit von einer Gesellschaft ausgegangen, die in gewisser Weise homogen ist – und nicht, dass für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen unterschiedliche Dinge wichtiger sein könnten.” Das gelte es dann auch in den Entscheidungen zu berücksichtigen: “Unterschiedliche Expertisen legen außerdem auch oft unterschiedliche Lösungen nahe. Und die Wirtschaftswissenschaften sind sich beispielsweise in denselben Problemlagen oft nicht über die besten Lösungen einig.” Hinzu komme, dass Technokrat:innen weniger leicht politisch zur Rechenschaft zu ziehen sind.
Technokraten als Kompromisslösung
Aber wer wird jetzt in der nächsten Regierung sitzen? ÖVP, SPÖ und Neos betonen, dass über Posten erst am Schluss der Verhandlungen gesprochen werde. Es gebe jedoch gewisse Muster, sagt Politologe Matthias Kaltenegger: “In Österreich wurde etwa immer wieder versucht, bestimmte Ministerien zu entpolitisieren – zum Beispiel besonders kritische Ressorts wie das Justizministerium.” Das könnte auch eine Option für die nächste Koalition sein. Und: “Einzelne Ernennungen von Technokrat:innen können als Kompromisslösung bei Konflikten fungieren.” Also wenn sich Koalitionsparteien oder parteiinterne Gruppen über die Aufteilung von Regierungsämtern uneinig sind. Auch das soll es ja geben. (Maximilian Werner, 3.12.2024)
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