Auslieferungsbegehren zurückgehalten: Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Rosenkranz

Ermittlungen

Der Nationalratspräsident hielt einen Antrag der Staatsanwaltschaft, die gegen drei FPÖ-Abgeordnete ermitteln will, zurück. Nach zwei Wochen wurde dieser nun auch den anderen Fraktionen übermittelt

Nationalratspräsident Walter Rosenkranz von der FPÖ steht im Parlament.
Nationalratspräsident Walter Rosenkranz (FPÖ) hielt ein Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft gegen drei blaue Abgeordnete zehn Tage lang zurück.
APA/HELMUT FOHRINGER

Im Postfach des frischgewählten Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz (FPÖ) ist vor genau zwei Wochen brisante Post von der Staatsanwaltschaft (StA) eingelangt: Am 20. November erreichte diesen das Schreiben, dass die StA Wien um Aufhebung der politischen Immunität der blauen Abgeordneten Norbert Nemeth, Harald Stefan und Martin Graf ersucht – gegen sie will die Behörde wegen des Verdachts auf Wiederbetätigung ermitteln.


Der Anlass für das Ansuchen der StA: Die drei FPÖ-Mandatare haben Ende September am Begräbnis des einstigen FPÖ-Politikers Walter Sucher, “Alter Herr” der deutschnationalen Burschenschaft Olympia, teilgenommen, bei dem das Lied Wenn alle untreu werden gesungen wurde – ein Lied, das in den Liederbüchern der Schutzstaffel (SS) Hitlers als “Treuelied” bezeichnet wurde. In einem dem STANDARD zugespielten Video ist zu hören, dass die Trauergäste auf Wunsch des Verstorbenen aufgefordert werden, das “Treuelied” zu singen.


Die Jüdische österreichische Hochschüler:innenschaft (JöH) hatte daraufhin Strafanzeigen unter anderem gegen die drei FPÖ-Politiker eingebracht. Und sie ist es auch, die sich nun erneut an die StA wendet – mit einer Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen Rosenkranz. Dass nämlich das Ersuchen der Behörde bereits am 20. November beim Nationalratspräsidenten eingelangt ist, dieser es aber zehn Tage zurückhielt, kollidiert mit Paragraf 80 der Geschäftsordnung des Nationalrats.


Rosenkranz als Präzedenzfall

Darin heißt es ausdrücklich, dass der Nationalratspräsident ein Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft “sofort nach dem Einlangen” dem Immunitätsausschuss zuweisen muss. “Mir ist nicht bekannt, dass es jemals einen Fall gab, in dem ein Nationalratspräsident das nicht sofort getan hat”, sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer zum STANDARD.


Eingebracht hat die oben erwähnte Anzeige gegen Rosenkranz der Jurist Bini Guttmann, früherer JöH-Präsident, Rechtsanwaltsanwärter und Mitglied Exekutivrats des Jüdischen Weltkongress. Dass die Anzeige Erfolg haben könnte, sieht Mayer allerdings nicht, denn “der Nationalratspräsident ist kein Organ der Vollziehung, sondern des Nationalrats”. Und in seiner Funktion als Nationalratspräsident könne er nicht das Delikt des Amtsmissbrauches begehen.


Allerdings versteht der Verfassungsjurist nicht, warum alle anderen Parteien “nicht einfach mit Zweidrittelmehrheit die Absetzung des Nationalratspräsidenten beschließen”. Dies könne man “ohne Grund ermöglichen oder etwa weil er politisch nicht mehr tragbar ist – wie bei einem Misstrauensvotum gegen eine Regierung”. Auch “schwere Fehler in der Ausübung des Amtes könnten ein Grund sein, es gibt Möglichkeiten genug”. Das Argument, dass es darum ginge, die Unabhängigkeit des Amtes zu wahren, bezeichnet Mayer als “hanebüchen”. Der Nationalratspräsident sei die einzige Person im Staat, die “völlig verantwortungsfrei ist, während man die Regierung, Verfassungsrichter, Landeshauptleute und den Bundespräsidenten abwählen kann”.


Fehlende Rechtsprechung

Der Einbringer der Anzeige, Guttmann, bewertet die Erfolgschancen der Anzeige anders, schließlich gebe es im Strafgesetzbuch “eine breitere Definition davon, was ein Beamter ist, als im Verwaltungsrecht”. Rosenkranz übe “als Nationalratspräsident hoheitliche Befugnisse aus, und die Weiterleitung eines Auslieferungsbegehrens ist keine gesetzgeberische Tätigkeit, sondern administrativ”. Deshalb liege “Missbrauch wohl jedenfalls nahe, und auch der Schädigungsvorsatz erscheint gegeben, weil Rosenkranz einen politischen Erfolg für die FPÖ in der Steiermark wollte”, argumentiert der Jurist. Und er resümiert: “Ob er ein Beamter ist, der Amtsmissbrauch begehen kann, ist der Punkt. Ich meine schon.” Bislang gebe “es aber meines Wissens noch keine Rechtsprechung dazu”.


Ähnlich sieht das der Grazer Anwalt und Beamtenrechtsexperte Andreas Kleinbichler: Abgeordnete als Mitglieder der Legislative hätten “dahingehend einen Sonderstatus, sind nicht Beamte und fallen daher nicht unter die Strafbarkeit des § 302 StGB”. Weil aber Nationalratspräsidenten im Unterschied zu einfachen Abgeordneten in ihrer Funktion “zahlreiche amtliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Entgegennahme und Weiterleitung von Auslieferungsbegehren”, erledigen würden, würden “diese dann im Rahmen dieser Funktion den Beamtenbegriff erfüllen”.


Politische Immunität

Die anderen Fraktionen haben übrigens nicht durch den Nationalratspräsidenten, sondern vergangenen Freitag über den STANDARD von der Post der Behörde erfahren – woraufhin ÖVP, SPÖ und Grüne scharfe Kritik geübt und von Rosenkranz Aufklärung gefordert hatten.


Am Mittwoch hat das Auslieferungsbegehren schließlich auch sie erreicht. In dem Schreiben, das dem STANDRAD vorliegt, hält die StA Wien fest, dass die drei FPÖ-Abgeordneten im Verdacht stehen, sich “im nationalsozialistischen Sinn betätigt zu haben, (…) wodurch sie die Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere der Schutzstaffel, (…) guthießen”. Und: Es sei “davon auszugehen, dass die historische Bedeutung des Liedes (…) den Beschuldigten aufgrund ihres Bildungsgrades und ihrer gesellschaftlichen Stellung bewusst war”.


Offen ist, ob das Auslieferungsbegehren bereits in dem kommende Woche Mittwoch tagenden Immunitätsausschuss behandelt wird oder erst im Jänner. Die politische Immunität von Mandataren wird in der Regel dann aufgehoben, wenn die Handlung, wegen derer die StA ermitteln will, nicht im Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit steht – was beim Besuch eines Begräbnisses der Fall sein dürfte. Die SPÖ plant, dem Auslieferungsbegehren zuzustimmen. ÖVP und Grüne treffen diese Entscheidung, wenn sie das Begehren inhaltlich prüfen konnten. Die Neos wollen die Causa erst nach Behandlung im Ausschuss kommentieren. (Sandra Schieder, Colette M. Schmidt, 4.12.2024)


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