Warum ÖVP und Neos härter sparen wollen als die SPÖ

Regierung

Die Koalitionsverhandler als Pfadfinder: Es gilt, einen Weg aus der Budgetnot zu wählen. Die insgesamt günstigste Variante erfreut sich keinesfalls der größten Popularität

Andreas Babler, Karl Nehammer und Beate Meinl-Reisinger nach ihren Gesprächen am Dienstag: Das Trio berichtete von Einigkeit bei vielen Themen – doch die entscheidende Geldfrage ist offen.
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Die am Wochenende aus Brüssel eingelangten Zahlen bestätigten die Gewissheit, die unmittelbar nach der Nationalratswahl zu sickern begonnen hat: Das von der scheidenden türkis-grünen Regierung hinterlassene Budgetloch hat enorme Ausmaße. Es liegt an der künftigen Koalition, das Defizit mit Einsparungen und/oder neuen Einnahmen abzubauen. Das gebieten allein schon die auch von Österreich mitgetragenen EU-Regeln.


Wie das Finanzministerium auf Basis der Vorgaben errechnete, stehen vier “Pfade” zur Auswahl: Jeweils zwei erstrecken sich über vier sowie sieben Jahre. Einen Unterschied macht überdies, ob Österreich ein von der EU offiziell verhängtes Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits in Kauf nimmt. Verhindern ließe sich das, indem die Regierungsverhandler der EU-Kommission bis Mitte Jänner ein glaubwürdiges Paket mit Maßnahmen auf den Tisch legen, mittels derer das Minus bereits im kommenden Jahr unter die obligate Maastricht-Grenze von drei Prozent gedrückt werden soll.


Die Wahl des Weges beeinflusst entscheidend, wann wie viel konsolidiert werden muss. Bemerkenswert ist dabei: Die insgesamt günstigste Variante erfreut sich unter den Verhandlern keineswegs der größten Popularität.


ÖVP gegen Einmischung

Für die ÖVP steckte Finanzminister Gunter Mayr die Linie ab: In seinem Amt habe er “selbstverständlich” den Anspruch, die Einleitung eines Defizitverfahrens gegen Österreich zu verhindern. Als ein Argument führt Mayr den drohenden Verlust der Eigenständigkeit ins Treffen. Schließlich würden andernfalls halbjährlich Vertreter der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank “im Zuge einer Überwachungsmission” nach Österreich kommen, um bei der Konsolidierung mitzureden.

Video: Das Budget wird zur Chefinnen- und Chefsache – ÖVP, SPÖ und Neos verhandeln auf oberster Ebene darüber
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Mayr hebt die Vorteile der siebenjährigen gegenüber der vierjährigen Variante hervor. Die zeitliche Streckung würde Österreich besser ermöglichen, gleichzeitig auch Geld für das Ankurbeln der lahmenden Wirtschaft auszugeben, argumentiert er. Finanziell bedeutet diese Präferenz Folgendes: Bis 2028 müsste die Regierung in Summe 12,1 Milliarden auftreiben, bis 2031 summiert sich der Betrag auf 18,1 Milliarden.


SPÖ warnt vor Einbruch

Verhandlungspartner von SPÖ-Seite hingegen vermuten hinter dieser Position das Motiv, das eigene Gesicht zu wahren: Die offizielle Maßregelung aus Brüssel wäre ein unangenehmes Zeugnis für die vergangenen fünf Jahre ÖVP-Kanzlerschaft. Die Sozialdemokraten nehmen den Gegenpol ein und plädieren für den Weg in ein EU-Verfahren. Die alte Regierung habe nun einmal ein übermäßiges Defizit angehäuft, sagt Finanzsprecher Jan Krainer: Da solle man nicht so tun, als gäbe es dieses nicht.


Zentrales Sachargument ist die aktuelle Wirtschaftsflaute: Spare die Regierung wild drauflos, werde sich die Krise mangels öffentlicher Nachfrage verlängern. Weil dem Staat dadurch Einnahmen entgingen und neue Kosten entstünden, würden die Sparziele erst recht verfehlt – und Geld für die Verbesserung von Kindergärten, Schulen und Gesundheitsversorgung bleibe auch nicht.


Tatsächlich bedeuten die Wege in ein EU-Verfahren einen weniger harten Einstieg in die Konsolidierung. Weil in diesem Fall die geltende Schuldenabbauregel ausgesetzt ist, läuft die diesbezügliche vierjährige Variante mit insgesamt 14,8 Milliarden auch insgesamt auf das mildeste Sparprogramm hinaus. Auf sieben Jahre gestreckt müsste Österreich 18,4 Milliarden hereinholen.


Neos wollen Druck

Die Dritten im Bunde der Koalitionsverhandler stehen in der Verfahrensfrage allerdings auf der Seite der ÖVP. Abgesehen von der Autonomiebegrenzung durch Brüssel gilt den Neos auch ein drohender Reputationsverlust als Argument: Für aufgenommene Staatsschulden könnten an den Finanzmärkten höhere Zinsen zu zahlen sein. Als warnendes Beispiel gilt Frankreich, das seit dem Sommer, als die Einleitung des Defizitverfahrens publik wurde, höhere Aufschläge als Österreich zu berappen hat.


Dass eine abrupte Budgetbremsung Wachstum und Investitionen abwürgen könnte, ist aus Sicht der Neos nicht unausweichlich: Es gebe genug Möglichkeiten für verträgliches Sparen, man denke an die hierzulande üppig ausgeschütteten Förderungen. Gleichzeitig müssten – Stichwort Föderalismus – die großen Strukturreformen eingeleitet werden, die auf längere Sicht große Summen versprächen.


Um Reformdruck aufzubauen, findet bei den Neos deshalb sogar auch die schärfste Variante Anklang: Wählt Österreich den Vierjahrespfad ohne Defizitverfahren, wären insgesamt 24,1 Milliarden aufzutreiben.


Ein Vergleich mit den bisher letzten großen Konsolidierungspaketen, die nach der Finanzkrise über die Jahre 2011 bis 2016 wirkten, zeigt laut Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo): Die nun zur Auswahl stehende Maximalvariante würde das damalige Ausmaß gemessen an der Wirtschaftsleistung überschreiten. Nach der mildesten Möglichkeit wäre die Anstrengung hingegen etwas geringer.


Mit Sparen allein, so wie das ÖVP und Neos heute wollen, hat die damalige rot-schwarze Regierung die Milliarden allerdings nicht eingespielt: 57 Prozent entfielen auf gekürzte Ausgaben, 43 Prozent auf zusätzliche Einnahmen. (Gerald John, 17.12.2024)

Video: Warum sind die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos so kompliziert? Das STANDARD-Videoformat “Österreich, erklärt” hat sich dieser Frage angenommen
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