UNHCR schlägt vor, syrische Flüchtlinge auf Zeit zurückkehren zu lassen

Go and See

Die harten Rückkehransagen an die in Österreich lebenden 120.000 Syrerinnen und Syrer seien inakzeptabel und unrealistisch. Die Regierung solle neue Initiativen setzen

Straßenszene in Damaskus
Assad ist weg, die Zerstörungen sind geblieben: Alltagsszene in der syrischen Hauptstadt Damaskus.
Foto: IMAGO/Fadel Itani

Bei den syrischen Flüchtlingen in Österreich herrschten Angst und Verzweiflung, sagt Abdulhkeem Alshater, Vizeobmann der Freien Syrischen Gemeinde. “Zwei Frauen haben gestern mit mir telefoniert und dabei geweint. Die Menschen fühlen sich wertlos”, schildert er.


Die wiederholten Ankündigungen von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), dass im Ministerium schon jetzt Rückführungen und Abschiebungen nach Syrien in größerem Stil vorbereitet würden, sowie die in vielen Politikerwortmeldungen transportierte Message, Syrer und Syrerinnen mögen sich so rasch wie möglich auf in den Herkunftsstaat machen, seien ein schwerer Schlag für jegliche Integrationsbemühung.


Syrien liegt in Trümmern

Zwar denke so mancher und so manche in der rund 120.000 Personen umfassenden syrischen Community nach dem Sturz des Assad-Regimes nun auch an eine Rückkehr, sagt Alshater. Doch dafür sei es noch viel zu früh, Syrien liege großteils in Trümmern.


Das betont auch Ruth Schöffl vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Wien: “Eine endgültige Rückkehr in ein Land zu fordern, in dem 90 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, um zu überleben, wo Strom, Wasser und Kanalisation großflächig kaputtgebombt wurden, wo sich die Hälfte der Bevölkerung auf der Flucht befindet, ist völlig unrealistisch und absurd”, sagt sie. Auch den großteils vor Zwangsrekrutierung und Folter geflohenen Menschen eine Zwangsrückkehr in Aussicht zu stellen sei inakzeptabel.


Besuche, um Lage zu erkunden

Vielmehr bräuchten die syrischen Flüchtlinge die Gelegenheit, auf Grundlage von Fakten über ihre Zukunft zu entscheiden, sagt Schöffl: Um rückkehrwilligen Syrerinnen und Syrern diese Möglichkeit zu geben, wolle das UNHCR der Bundesregierung daher den Start sogenannter Go-and-See-Aktionen vorschlagen.


In deren Rahmen könnten rückkehrinteressierte Personen für eine kurze Zeit ihre frühere Heimat besuchen, um die dortige Lage zu erkunden: “Steht mein Haus noch? Wohnt jemand anderer darin? Ist es für meine Kinder zumutbar, unter den herrschenden Bedingungen zu leben?”, zählt Schöffl entscheidungsrelevante Fragen auf. Den Kurzzeitbesuchern müsse zugesichert werden, danach wieder nach Österreich zurückkehren zu können und ihren Schutzstatus nicht zu verlieren – um in der Folge eine fundierte Entscheidung über Bleiben oder Gehen zu treffen.


Das UNHCR betreibt in einer Reihe von Staaten Go-and-See-Programme. In Europa haben die ukrainischen Kriegsvertriebenen aufgrund ihres EU-weit geltenden Status eine ähnliche Möglichkeit. Sie können in ihrer Heimat immer wieder Nachschau halten, ohne ihren Schutzstatus zu verlieren.


100 Asylaberkennungsschreiben in Wien

Starke Furcht haben indes auch die in den vergangenen Tagen vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) verschickten Mitteilungen über die Einleitung eines Asylaberkennungsverfahren ausgelöst. In Wien haben laut Alshater mindestens 100 Syrerinnen und Syrer, deren Asylzuerkennung kürzer als fünf Jahre zurückliegt, solche Schreiben erhalten. In Tirol wisse er von 70, in Graz von einigen derartigen Briefen.


Besonders bitter ist eine solche Asylaberkennungsverfahren-Einleitung für asylberechtigte Personen, die nach Anträgen auf Familiennachzug bereits auf Ehefrau oder Ehemann, Kinder oder – im Fall minderjähriger Flüchtlinge – Eltern und Geschwister gewartet haben. Der Familiennachzug ist für sie damit gestrichen – und zwar für unbegrenzt lange Zeit. Eine gesetzliche Frist, wie lange ein Asylaberkennungsverfahren dauern darf, gibt es nicht. Da es nach den gleichen Regeln wie ein Asylverfahren abläuft, kann es sich durchaus ziehen.


Laut Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination sind in Österreich derzeit zwischen 4500 und 5000 Familiennachzugsverfahren von syrischen Staatsangehörigen anhängig. (Irene Brickner, 21.12.2024)


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