Marlene Engelhorn: “Meine Herkunft kann ich nicht rückverteilen”
Das Jahr 2024 wird in Marlene Engelhorns Leben einmal jenes Jahr sein, in dem sie fast das gesamte Erbe ihrer Großmutter durch 50 fremde – für die österreichische Bevölkerung repräsentative – Menschen verteilen ließ. Der “Gute Rat für Rückverteilung” bedachte 77 Organisationen und Vereine. Was blieb von der guten Tat? Und was macht die Aktivistin für Vermögens- und Erbschaftssteuern, wenn sie bald wirklich nicht mehr zum Klub der Superreichen gehört?
STANDARD: Wie fühlt sich das an – 25 Millionen ärmer, oder lieber: leichter?
Engelhorn: Weder noch, weil mir in meinen Augen diese 25 Millionen, die vom Guten Rat verteilt wurden, plus die drei Millionen für die Organisation und das, was ich schon davor hergegeben habe, ja nie hätten gehören sollen. Es war das Glück der Geburt. Außerdem fließt das Geld an die 77 Organisationen zum Teil gestaffelt bis 2029, ist hochoffiziell also noch meins. Sprich: Ich werde noch eine Weile Millionärin sein. Aber ich arbeite daran, dass das so schnell wie möglich vorbei ist. Und zur Ehrlichkeit gehört auch: Da ich in eine hochvermögende Familie hineingeboren wurde, war das erst der erste Erbfall. Höchstwahrscheinlich wird sich das wiederholen. Mit etwas Glück dann schon in einer besteuerten Form. Wir werden sehen, ob ich eine weitere Rückverteilungsaktion machen muss.
STANDARD: Wie hat sich Ihr Leben oder Selbstverständnis verändert mit dem Wissen, dass da jetzt eben viel weniger Geld auf Ihren Konten ist?
Engelhorn: Ich habe vorher auch nicht Geld für irgendwas rausgeschossen. Es ist vielleicht ein anderes Bewusstsein, weil es eine andere Unmittelbarkeit hat, wenn das Vermögen wirklich weg ist. Meine eigenen Ausgaben versuche ich ja jetzt schon so hinzubekommen, dass sie nicht nur mit meinen Werten im Einklang stehen, also etwa klimatechnisch respekt- und sinnvoll sind im Rahmen der Grenzen des Planeten. Das ist jetzt schon in einem Maß, von dem ich zuversichtlich bin, dass ich es in Zukunft durch Erwerbsarbeit abdecken kann. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass ich trotzdem unter den reichsten zehn oder 20 Prozent bleiben werde, allein aufgrund der Privilegien, die ich mitbringe, weil ich eben hineingeboren bin in eine hochvermögende Familie. Sollte ich jemals in irgendeine Schieflage geraten, muss ich nur zu Hause anrufen. Ich habe ein Sicherheitsnetz, privat – und genau das müssen wir korrigieren.
STANDARD: Was ist geblieben vom Guten Rat für Rückverteilung?
Engelhorn: (lacht) Ein ganzer Haufen Daueraufträge und viele Überweisungen. Ich habe schon den Eindruck, dass bei einigen Menschen wirklich viel bewegt wurde. Bei der Abschlussfeier habe ich mitbekommen, dass viele Ratsmitglieder tief bewegt sind von dieser Arbeit und politisch motiviert wurden. Bürger:innenräte helfen der Demokratie durch die Tatsache, dass sie Partizipation ermöglichen. Menschen haben im Guten Rat erlebt: Meine Stimme ist wirklich etwas wert, ich kann mit anderen etwas auf die Beine stellen. Wenn man sich ernsthaft mit philanthropischer Aktivität von Überreichen beschäftigt, kommt man um dieses Beispiel nicht herum. Wir hatten eine Anfrage aus Norwegen, die interessiert waren, wie man so einen Bürger:innenrat aufsetzen kann. Das ist ein tolles demokratiepolitisches Tool, das die Politik langfristig nicht ignorieren kann. Ich habe aber nicht erwartet, dass die Regierung sofort sagt, wir müssen Vermögen und Erbschaften besteuern.
STANDARD: Könnten Sie sich vorstellen, sich einer Wahl zu stellen und als Politikerin innerhalb der etablierten Strukturen unseres demokratischen Systems für Ihr Anliegen zu arbeiten?
Engelhorn: Ich glaube, in meinem Fall ist es konsequenter, das nicht zu tun, weil ich so krass privilegiert bin und meine Privilegien in der Politik bereits überrepräsentiert sind. Es wäre viel interessanter, wenn Menschen, die in unserer Demokratie nicht gut oder gar nicht repräsentiert sind, diese Plätze bekommen. Ich habe großen Respekt vor diesem Beruf. Da ist schon ordentlich Dampf im Kessel – und ich habe eher eine dünne Haut. Auf mich hat die institutionalisierte Demokratie nur gewartet, wenn ich brav meinen Stimmzettel ausfülle, und das war’s.
STANDARD: Wie weit sind Sie eigentlich auf dem Weg in die Gruppe der 99 Prozent der Nichtsuperreichen in der Bevölkerung, der Sie künftig angehören möchten – oder wie nah sind Sie denen?
Engelhorn: Ich wünschte, ich wäre näher. Das ist zwar ein schöner Satz: Ich möchte aufsteigen in die 99 Prozent, die den Laden am Laufen halten. Gleichzeitig ist auch wahr, dass ich nie ganz raus sein werde aus dem reichsten Prozent. Allein durch meine Herkunft. Das ist nun mal eine Art Struktur, die ich nicht rückverteilen kann. Und das darf ich nie leugnen. Ich darf nie behaupten, ich sei jetzt ganz “normal” eine von den 99 Prozent. Das stimmt nicht. Ich möchte so nah wie möglich herankommen. Ganz gelingen kann es mir nicht.
STANDARD: Haben Sie schon einen Job, mit dem Sie in Zukunft Ihr Leben, Ihren Lebensunterhalt finanzieren wollen und können?
Engelhorn: Nein, und das ist so eine Sache: Ich möchte nicht einfach auf den Arbeitsmarkt wechseln. Mal davon abgesehen, dass ich gar nicht so viele Qualifikationen habe, die dort brauchbar sind. Hard Facts: Wenn mein Name nicht über meinem Lebenslauf steht, dann ist schwer zu vermarkten, was da drinsteht. Worauf ich hinauswill: Ich habe diesen Namen, der in manchen Räumen ein bestimmtes Privileg bedeuten würde, und das möchte ich am Arbeitsmarkt der unselbstständig Beschäftigten eigentlich nicht nutzen oder ausnutzen. Es läuft wohl auf eine Selbstständigkeit hinaus. Was genau und ob es überhaupt etwas wird, ist noch offen.
STANDARD: Betreiben Sie Ihr Germanistik-Studium an der Uni Wien noch?
Engelhorn: Ja, ich bin offiziell noch Studierende, nur war ich seit bald vier Jahren in keinem Hörsaal mehr, wo nicht ich den Vortrag gehalten habe. Die Gebühren, die ich seit einiger Zeit zahlen muss, weil ich ja nicht und nicht erscheine, betrachte ich als meine – geringe – Bildungssteuer. Auch wieder etwas, das ich mir leisten kann. Ich bin hin- und hergerissen. Eigentlich brauche ich das Studium nicht, aber vielleicht sollte ich es aus Respekt beenden.
STANDARD: ÖVP, SPÖ und Neos verhandeln gerade über eine neue Regierung. Wenn Sie eine Maßnahme ins nächste Regierungsprogramm hineinschreiben könnten, was wäre das?
Engelhorn: Lassen Sie Reiche keine Maßnahmen in Regierungsprogramm hineinschreiben, ohne dass irgendwer sie gewählt hätte! Ich will es nicht machen. Machtkritik muss konsequent sein, auch wenn die “Guten” die Macht haben, weil Macht einen immer verändert. Es gibt keine guten Diktatoren. Wenn man in einer Demokratie eine direkte Macht hat ohne Mandat, dann ist das grundsätzlich fragwürdig, und das kann der Superengel sein – das ist egal. Ich würde eher überlegen, wie kann man verhindern, dass so etwas passiert.
STANDARD: Was haben Sie aus Ihrer Erfahrung mit dem Guten Rat in diesem Jahr über Philanthropie und soziale Gerechtigkeit gelernt?
Engelhorn: Die klassische Philanthropie verändert nichts an den Strukturen und ist nicht interessiert, den Systemwandel zu fördern. Mitunter, weil das bedeuten würde, dass sie sich in den Spiegel schauen und an ihrer eigenen Abschaffung arbeiten müsste. Philanthropie, die nicht an der eigenen Abschaffung arbeitet, ist in meinen Augen nicht ernst zu nehmen. Diese Haltung hat sich auch nicht verändert durch den Guten Rat, eher bestätigt. Die Frage ist: Können wir politische Auseinandersetzung im philanthropischen Bereich führen und uns nicht in die eigene Tasche lügen, indem wir behaupten, sobald man philanthropisch tätig ist, sei man irgendwie neutral und schwebe über den Dingen? Das ist Quatsch. Man ist immer hochpolitisch. Wenn man das anerkennt und an der eigenen Abschaffung arbeitet – nichts Schöneres. Das wäre doch ein Ziel, oder?
STANDARD: Wenn Sie heute mit 32, nach dem Weg, den Sie gegangen sind, auf die 15-jährige Marlene schauen – wo standen Sie damals mit Ihrem Denken über Geld, viel Geld, Millionen?
Engelhorn: Ich wusste noch nicht, dass meine Familie hochvermögend ist. Vielleicht hätte ich es ahnen können, aber da ich es nicht musste, habe ich mich damit auch nicht auseinandergesetzt. Was wir gemeinsam haben, ich und ich: Nach wie vor finde ich es am sinnvollsten, Geld auszugeben, wenn es nicht nur für mich ist. Ich habe mit meinem Taschengeld wahnsinnig gerne auch etwas für andere gekauft. Sei es ein Geschenk oder jemanden auf ein Eis oder Maroni einzuladen. Das macht viel mehr Spaß, als Geld alleine auszugeben. Generell gilt: Das Geld ist zum Ausgeben da. Aber es braucht einen sinnvollen Ort. Ansonsten bin ich nach wie vor eher von der Sorte Stubenhockerin und Bücherwurm. Und ich hätte nie erwartet, dass ich öffentlich sprechen würde, dass ich das überhaupt kann.
STANDARD: Können Sie sich selbst auch gut beschenken lassen?
Engelhorn: Voll. Wenn ich ein Geschenk bekomme, dann hat sich ja jemand Zeit genommen und etwas überlegt, und sei es: Verdammt, was schenkt man der Marlene? Dann ist es mir die größte Freude, zu sehen, was da herauskommt, wenn sich jemand denkt: Das ist für Marlene.
STANDARD: Die schon alles hat …
Engelhorn: Wenn das jemand liest: Ich liebe Socken! Gelbe Socken. (Lisa Nimmervoll, 23.12.2024)
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