Steht jetzt Blau-Schwarz mit Kanzler Kickl vor der Tür?
Besser könnte es für Herbert Kickl nicht laufen. Der Wahlsieger konnte entspannt dabei zusehen, wie die Regierungsverhandlungen der Konkurrenten scheiterten und seine FPÖ in den Umfragen immer weiter nach oben kletterte. Die innenpolitischen Kalamitäten verschaffen der FPÖ eine höchst komfortable Ausgangssituation. Wenn die ÖVP mit ihr verhandeln will, tut sie das aus einer Position der Schwäche. Kommen Neuwahlen, geht die FPÖ mit einem deutlichen Vorsprung ins Rennen. Doch welche Variante ist realistischer und wie würde das ablaufen?
Kickl hat schon im Wahlkampf ganz klar den Kanzleranspruch erhoben und ein wirtschaftspolitisches Programm abgesegnet, das große Schnittmengen mit der ÖVP aufweist. Personen wie Barbara Kolm, früher Generalrats-Vize in der Nationalbank; Ex-ÖBB-Manager Arnold Schiefer oder Susanne Fürst – sie alle sitzen im Nationalrat und werden als blaue Ministerkandidaten gehandelt – gelten als durchaus anschlussfähig Richtung Volkspartei.
Die “große Deckungsgleichheit”
Einflussreiche Stimmen aus der Industrie warben daher schon früh für eine blau-schwarze Verbindung. Öffentlich etwa Stefan Pierer, Chef des krisengebeutelten KTM oder Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, der meinte: “Beim Wirtschaftsprogramm der FPÖ sehen wir eine sehr große Deckungsgleichheit mit jenem der ÖVP”.
Der Wirtschaftsflügel der ÖVP soll es auch gewesen sein, der die Verhandlungen mit der SPÖ zum Abbruch gebracht hat. Aus den eigenen Reihen hätte man schon einen kompatiblen Vizekanzler für Kickl parat: Wirtschaftskammer-Generalsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer, der mehrere Jahre mit der FPÖ in Oberösterreich regiert hat.
Mittlerweile koalieren die beiden rechten Parteien schon in fünf Ländern miteinander, in der Steiermark nun auch unter blauer Führung. Hochrangige Ländervertreter haben in den vergangenen Monaten immer wieder mit dieser Regierungsvariante auf Bundesebene geliebäugelt – und daraus auch kein Hehl gemacht. So sagte etwa Salzburgs FPÖ-Chefin Marlene Svazek, die im Land seit eineinhalb Jahren in koalitionärer Eintracht mit der Volkspartei koaliert, im Interview mit dem STANDARD, dass sie Blau-Schwarz “als Modell für den Bund sehen” würde.
Man hoffte in mehreren blauen Ländern de facto bis zuletzt, dass sich früher oder später doch noch die “vernünftigen Kräfte” in der ÖVP, wie Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger es formulierte, durchsetzen würden. Nunmehr könnte es aus blauer Lesart soweit sein. Selbst in jenen Landesgruppen, die Parteichef Kickl wenig zugetan sind, ist nach den Entwicklungen der vergangenen Tage zumindest eine gewisse Euphorie zu vernehmen. Dort spricht man von einer womöglich “einmaligen Chance, den Kanzler zu stellen”, die sich da gerade auftut.
Für die ÖVP wäre das allerdings eine große Kehrtwende, zog man doch mit Verweisen auf das “Sicherheitsrisiko Kickl” in den Wahlkampf. Sowohl ÖVP als auch FPÖ ließen in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit aus, um aus allen Rohren gegen den jeweils anderen zu schießen – ob im Parlament oder zuletzt in Niederösterreich, wo man miteinander koaliert.
Eine Koalition mit dem FPÖ-Chef? Nicht nur für den scheidenden Parteichef Karl Nehammer war dies stets ausgeschlossen. Doch schon in Niederösterreich hatte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner zunächst gegen die FPÖ kampagnisiert, um dann mit ihr zu koalieren. Zum Schwarzen Peter wurde der Rote Sven Hergovich gemacht, den die ÖVP Niederösterreich als nicht paktfähig darstellte. Ähnlich könnte die ÖVP jetzt argumentieren – man habe ja alles versucht, aber leider sei es mit dieser SPÖ nicht gegangen. Auch in Salzburg sprach sich Wilfried Haslauer zunächst gegen einen Pakt mit der FPÖ aus – um dann nach geschlagenen Wahlen doch recht schnell ein Bündnis einzugehen.
“Keine Angst vor Neuwahlen”
Mit Neuwahlen rechnet man in der FPÖ nämlich eher nicht, sondern vielmehr damit, dass die ÖVP alles tun werde, um sich an der Macht zu halten. Volkspartei und Sozialdemokraten wären zudem weder finanziell noch strategisch für einen Urnengang gerüstet. Auch vor der Möglichkeit eines Kurz-Comebacks fürchtet man sich in der FPÖ nicht. Der habe Österreich eine grüne Regierungsbeteiligung eingebrockt, mit Belastungen für Autofahrer; habe die “Koste es, was es wolle”-Budgetpolitik die “wilden Einschränkungen der Corona-Zeit” zu verantworten. Genug Material für Kickl, um Kurz im Wahlkampf vor sich herzutreiben, glaubt ein Parteiinsider.
“Wir haben keine Angst vor Neuwahlen”, sagte Generalsekretär Michael Schnedlitz bereits am Freitag zum STANDARD. Für die FPÖ wären Neuwahlen jedenfalls auch eine attraktive Variante. Aktuelle Umfragen sehen die FPÖ auf einem neuen Rekordniveau. Sollte es also zu Neuwahlen kommen, würde die Partei massive Zugewinne einfahren. Holten die Freiheitlichen bei der Nationalratswahl am 29. September mit 28,8 Prozent Platz eins, sieht der APA-Wahltrend, der die Umfragen der letzten fünf Wochen berücksichtigt, die FPÖ mittlerweile bei 35,5 Prozent.
Damit wäre nach einer erneuten Wahl für die FPÖ auch die Sperrminorität im Parlament in Reichweite, also ein Drittel der 183 Mandate. Dann könnten die Freiheitlichen Verfassungsmaterien blockieren und somit ihre Macht endgültig zementieren.
Das alles ist aber noch Zukunftsmusik – und abhängig von der Dynamik der nächsten Stunden und Tage. Annäherungsversuche oder Kontaktaufnahme durch die ÖVP soll es dem Vernehmen nach jedenfalls keine gegeben haben. Da sei der Kontakt zur SPÖ und zur Hofburg ein besserer gewesen, heißt es aus der FPÖ; etwa rund um die Geschehnisse des samstäglichen Verhandlungsabbruchs.
Warten auf die ÖVP
Die blaue Parteispitze rechnet jedenfalls damit, dass die ÖVP früher oder später anklopfen werde – aber erst nachdem die Weichen an der schwarzen Parteispitze gestellt wurden. Davor würden Gespräche auch keinen Sinn machen, heißt es aus Kickls Umfeld. Man könne schließlich nicht mit A in der Volkspartei sprechen oder gar verhandeln, und dann komme B. Die nächsten Schritte würden von blauer Seite erst dann gesetzt, wenn eine Lagebeurteilung möglich ist. Ein Kickl-Vertrauter formuliert es im Gespräch mit dem STANDARD so: “Du kannst keine Taktik beim Fußball festmachen, wenn du nicht weißt, mit wem du spielst.”
Völlig undenkbar bleibt derzeit hingegen die Variante C, eine Koalition zwischen FPÖ und SPÖ. Ein solches Bündnis würde die Sozialdemokratie wohl zerreißen, hier sind sogar Parteichef Andreas Babler und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig einer Meinung. Doch in der FPÖ gibt es nicht wenige, die eine solche Koalition als charmant sehen würden. Auch, weil Ressentiments gegen die ÖVP bestehen, nicht zuletzt bei Herbert Kickl selbst. Oder, wie es ein Parteikenner formuliert: Die ÖVP würde wohl zwei Jahre koalieren, auf ein Umfrageplus warten und dann mit Sebastian Kurz neu ins Rennen gehen.
Die FPÖ signalisiert jedenfalls Bereitschaft, sich an den Verhandlungstisch zu setzen – ob mit der ÖVP oder auch der SPÖ. Auf eine Koalitionsbedingung hat man sich allerdings schon vor Monaten einzementiert, und es zeichnet sich nicht ansatzweise ab, dass der blaue Wahlsieger davon abrücken wird: Kickl wird Kanzler. Oder wie es ein blauer Strategie formuliert: “Kickl wird den Teufel tun und irgendwelche halben Sachen, indem er faule Kompromisse eingeht.” Wohin das führt, könne man schließlich in diesen Tagen bei ÖVP und SPÖ beobachten. (Sandra Schieder, Fabian Schmid, 5.1.2024)
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