„Chaos“ durch Metas Kurswechsel
Am Montag kündigte Meta-Chef Mark Zuckerberg an, zu den „Wurzeln beim Thema Redefreiheit“ zurückkehren zu wollen. Konkret schaffe man „eine Reihe von Beschränkungen zu Themen wie Migration, Genderidentität und Geschlecht ab, die häufig Gegenstand politischer Diskussionen und Debatten sind“, hieß es in einem Blogeintrag des Konzerns.
„Es ist nicht richtig, dass Dinge im Fernsehen oder im Plenum des Kongresses gesagt werden können, aber nicht auf unseren Plattformen“, so Meta zu den Beweggründen. Es ist nur einer von vielen Schritten, mit denen sich der Konzern offenbar auf die Präsidentschaft von Donald Trump vorbereitet und dessen Politik annähert.
Kritik und unangenehme Fragen in interner Debatte
Intern ist dieser Kurswechsel mehr als umstritten, wie ein Bericht des Portals 404 Media zeigt, vor allem bei Angestellten aus betroffenen Gruppen. Denn erlaubt ist nun etwa, LGBTQ-Personen nachzusagen, dass sie eine „psychische Krankheit“ hätten – obwohl sich die Forschung seit Jahrzehnten einig ist, dass das nicht der Fall ist und etwa Homosexualität 1990 aus der ICD, der Internationalen Klassifikation von Krankheiten, gestrichen wurde.
In einer firmeninternen Diskussion mit Hunderten Kommentaren wurde laut 404 Media hinterfragt, wie diese tiefgreifende Änderung der Regeln mit den Firmenwerten vereinbar sei und wie dieser Kurswechsel überhaupt beschlossen wurde. „Ich bin LGBT und psychisch krank“, heißt es in einem weiteren Beitrag eines Angestellten auf einer internen Meta-Plattform. „Ich möchte euch nur wissen lassen, dass ich mir eine Auszeit nehmen werde, um mich um meine psychische Gesundheit zu kümmern.“
„Bei Meta herrscht im Moment totales Chaos“, so ein Mitarbeiter gegenüber 404 Media. „Ich würde die Stimmung als bestürzt und ungläubig bezeichnen“, so der Mitarbeiter weiter. Gerade jene Beschäftigten, die Teil der LGBTQ-Community sind, fühlten sich nicht vom eigenen Unternehmen unterstützt, schreibt 404 Media weiter. Ein Mitglied des zuständigen Teams schrieb auf der internen Plattform, dass sich „unsere Grundwerte nicht geändert haben“.
Dokumente zeigen, was künftig erlaubt ist
Doch an die Öffentlichkeit geratene interne Dokumente zeigen, dass mit den neuen Regeln ganz offensichtlich Beleidigungen und Hassrede deutlich erleichtert werden. Wie die Investigativplattform The Intercept berichtet, werden in diesem Trainingsmaterial konkrete Kommentare gezeigt, die künftig auf Facebook erlaubt sind. Dabei werden teils absurd anmutende rote Linien gezogen.
Aussagen, die bestimmte Bevölkerungsgruppen als „schmierige, dreckige Scheißkerle“ oder „Freaks“ bezeichnen, sind den Dokumenten zufolge explizit erlaubt. Auch einige homophobe und transphobe Ausdrücke bzw. herabwürdigende Bezeichnungen für Bevölkerungsgruppen sind für Meta künftig in Ordnung.
Absurd anmutende Unterscheidungen
Bei Pauschalisierungen gibt es teils widersprüchlich wirkende Regeln, laut The Intercept werden dabei vor allem Angriffe auf Migranten und Flüchtlinge noch am ehesten zugelassen, während etwa die Verunglimpfung von Männern, die einer bestimmten Religion angehören, als „nutzlos“ unzulässig sei. Transphobe Äußerungen, die sich auf das Bild einer Minderjährigen beziehen, sind laut Meta nicht erlaubt, Aufrufe, Transpersonen „aus meiner Schule zu schaffen“, schon.
Selbst beim Thema Erbrochenes unterscheidet Meta: „Nicht besser als Erbrochenes“ darf eine Bevölkerungsgruppe bezeichnet werden. Gleichzeitig darf über diese aber nicht „bringt mich zum Kotzen“ geschrieben werden, weil damit impliziert werde, dass diese Menschen „Krankheiten auslösen“.
Expertin: Änderungen „politischer Natur“
Jillian York, Direktorin für internationale Meinungsfreiheit bei der Datenschutz-NGO Electronic Frontier Foundation, sagte gegenüber The Intercept, dass der Schutz vor Hassrede bei Meta in der Vergangenheit zwar gut gemeint, aber in der Praxis mit großen Mängeln behaftet war. „Während das oft zu einer Übermoderation geführt hat, die ich und viele andere kritisiert haben, zeigen diese Beispiele, dass die Änderungen der Meta-Richtlinien politischer Natur sind und nicht dazu dienen, einfach mehr Meinungsfreiheit zu ermöglichen“, so York.
Metas Plattform Facebook spielte vor allem beim Schüren des Genozids in Myanmar eine entscheidende Rolle – danach versicherte man, Hassrede in den Griff bekommen zu wollen, und machte zahlreiche Schritte, um derartige Äußerungen einzudämmen. „Der Grund, warum viele dieser Grenzen dort gezogen wurden, wo sie gezogen wurden, ist, dass Hassrede oft keine Rede bleibt, sondern zu einem realen Verhalten wird“, so die Moderationsexpertin Kate Klonick gegenüber The Intercept.
Kritik von UNO und Faktencheck-Netzwerk
Kritik an Zuckerberg und seinem Meta-Konzern gab es am Freitag auch von der UNO. Zuckerberg hatte der EU vorgeworfen, durch die strengen Regeln für Onlineplattformen „Zensur“ zu betreiben; das wies die UNO zurück. „Das Erlauben von Hassrede und schädlichen Inhalten hat Konsequenzen für die reale Welt“, sagte der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk. „Die Regulierung dieser Inhalte ist keine Zensur“, fügte er hinzu.
Das Internationale Faktenchecknetzwerk (IFCN) wies die Aussage Zuckerbergs, wonach das Faktencheckprogramm seiner Onlinedienste in der Vergangenheit „zu viel Zensur“ betrieben habe, nachdrücklich zurück. Das IFCN warnte vor „Schaden in der realen Welt“, sollte die von Zuckerberg angekündigte Einstellung des Faktencheckprogramms für die Meta-Dienste in den USA auf weitere Länder ausgeweitet werden. „Wenn Meta beschließt, das Programm weltweit zu beenden, dann ist ein Schaden in der realen Welt an vielen Orten fast sicher“, warnte das Netzwerk.
Auch personell näher an Trump gerückt
Neben den heftig kritisierten Plänen bereitete er den Konzern auch personell auf die bevorstehenden politischen Änderungen in den USA vor. Zuckerberg berief etwa den Chef der Ultimate Fighting Championship (UFC), Dana White, einen engen Verbündeten Trumps, in den Meta-Vorstand. Und Joel Kaplan, früherer Stabschef im Kabinett des damaligen US-Präsidenten George W. Bush, wurde von Zuckerberg zum Politikchef des Konzerns befördert.
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