“Projekt blauer Ballhausplatz”: Kickls Weg an die Macht

Herbert Kickl bei einer Demo gegen Corona-Maßnahmen im Dezember 2021 als Volksagitator. Im März 2020 hatte er als Klubobmann noch einen “Lockdown Österreichs” gefordert.
Christian Fischer

Vor ziemlich genau einem Jahr gab es für Herbert Kickl beim traditionellen Neujahrstreffen der FPÖ kein Halten mehr: Er sprach nicht nur von den viel zitierten “Fahndungslisten”, auf denen politische Mitbewerber stünden, er verunglimpfte ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos auch als “Liste Volksverrat” und “Swingerklub der Machtlüsternen”. Der FPÖ-Chef sah sich als “blauer Herkules”, der “gegen diese politische Hydra mit den schwarzen, roten und rosaroten Köpfen” vorgehen werde, und er versprach: “Die Erlösung ist nahe.”


Die Knechtung der ÖVP

Es waren Begriffe, die in den anderen Parteien lange nachhallen sollten. Einprägen werden sich der ÖVP aber auch jene Worte, die Herbert Kickl am vergangenen Dienstagnachmittag fand – etwa 24 Stunden, nachdem er von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Bildung einer Regierung beauftragt worden war. Nachdem die Koalitionsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos kurz nach Neujahr gescheitert waren, sah Van der Bellen nur noch wenig Handlungsspielraum und drückte dem Wahlsieger das Heft in die Hand.


Kurz zuvor war bereits die ÖVP zu Kreuze gekrochen und hatte sich als williger Juniorpartner angetragen. Ein Moment des Triumphs für den 1969 geborenen Kärntner, der im Schatten des ersten erfolgreichen Rechtspopulisten Europas, Jörg Haider, das politische Handwerk lernte.


Nun diktiert der FPÖ-Chef der ÖVP, alle Karten in seinen Händen wissend, seine Bedingungen: So forderte er das Eingeständnis, wer der Wahlsieger und wer der Verlierer ist. Aber auch die Einsicht, wer für die Misere im Land Verantwortung trage. Mit rhetorisch erhobenem Zeigefinger mahnte er die Volkspartei zudem, dass es “keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage und keine Quertreiberei” geben dürfe. “Ansonsten gibt es Neuwahlen, wir sind dafür gerüstet”, drohte Kickl. Neuwahlen, aus denen die FPÖ laut aktuellen Umfragen noch stärker hervorgehen könnte. Und das keine sechs Jahre, nachdem die Partei am Boden gelegen war.

“Die Erlösung ist nahe.”

Die Ibiza-Affäre

Es war der 19. Mai 2019, als das Ibiza-Video publik wurde, das Heinz-Christian Strache, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Vizekanzler und FPÖ-Chef, dabei zeigte, wie er über Korruption, illegale Parteienfinanzierung und die Übernahme von Medien parlierte – augenscheinlich leicht illuminiert. Das Video löste nicht weniger als eine Staatskrise aus und bedeutete auch das Ende von Kickl als Innenminister. Es folgte ein für die FPÖ katastrophaler Absturz bei der Neuwahl im Herbst 2019.


Während seiner Zeit als Innenminister sorgte Kickl mehrfach für regelrechte Empörung. So vermittelte sein Büro nur wenige Tage nach Amtsantritt Ende 2017 mehrere angebliche Insider aus dem Verfassungsschutz an die Staatsanwaltschaft, um Ermittlungen voranzutreiben. Unter ihnen war auch der damalige BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss, den das Bundeskriminalamt mittlerweile als russischen Spion sieht. Die Aussagen der Zeugen, die Kickl teils persönlich trifft, führten zu einer später für rechtswidrig erklärten Razzia im Verfassungsschutz. Geleitet wurde sie von einem blauen Polizisten. Bis heute haftet die Affäre an Kickl, zumal sie verheerende Folgen für die Kooperation mit internationalen Nachrichtendiensten hatte.


Das Ende der Ära Hofer

Den Wiederaufbau der Partei überließ Kickl hingegen zunächst Norbert Hofer. Nach Ibiza gerierten sich Hofer als Parteichef und Kickl als Klubobmann eine Zeitlang noch als strategische Doppelspitze. “Good Cop, Bad Cop” lautete die Devise. Doch es wurde recht schnell klar, dass die beiden nicht nur nach außen hin unterschiedliche Typen waren – sie konnten auch nicht miteinander.


Während Hofer der FPÖ ein “freundliches”, konsensfähiges Gesicht verpassen wollte, trieb Kickl eine radikale und unversöhnliche Opposition voran. Das merkte man auch im Umgang mit der Corona-Pandemie, die im Frühjahr 2020 begann: Hofer ließ sich impfen und forderte die blauen Abgeordneten auf, im Parlament Maske zu tragen. Der scheinbar geschlossen hinter Kickl stehende Klub begehrte dagegen auf.


Spätestens 2021 konnte Kickl mit der Ablehnung der Corona-Maßnahmen die Partei revitalisieren. Als Klubobmann hatte er zwar noch im März 2020 einen “Lockdown Österreichs” gefordert. Monate später schlug dann aber die Stunde des Volksagitators Herbert Kickl. Der eher spröde wirkende Mann – im Vergleich zu seinen Vorgängern für die Bierzeltklientel von geradezu abschreckender Disziplin – entdeckte die Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Vor einem Publikum, das sich mit Holocaust-Opfern verglich und gleichzeitig mit bekannten Rechtsextremen marschierte, wurde die Veränderung im Auftreten Kickls sicht- und hörbar. Er sprach zu tausenden Menschen plötzlich bizarr dramatisch, mit bebender Stimme.


Fortan setzte er auch gezielt Stich um Stich gegen Kontrahenten und machte Hofer so lange mürbe, bis dieser im Juni 2021 hinschmiss. Obwohl sich der Zweikampf in den Wochen zuvor immer weiter zugespitzt hatte, rechnete niemand mit dem schnellen Abgang Hofers. Insbesondere das Lager der Kickl-Kritiker erwischte er damit unvorbereitet. Niemand wollte gegen den damaligen Klubobmann ins Rennen um die Parteispitze gehen – auch nicht sein größter Widersacher, Oberösterreichs FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner. Während Hofers Amtszeit hatte dieser noch unverhohlen gesagt, dass er “dafür sorgen” werde, “dass Kickl nie Parteiobmann wird”. Letztendlich standen die Sterne für Kickl aber günstig und er konnte den monatelang ausgetragenen parteiinternen Machtkampf um die Führung für sich entscheiden. Seit dreieinhalb Jahren hört die Partei nunmehr auf Kickls Kommando.

Kurz vor dem Ziel: Der FPÖ-Chef in der Hofburg bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der ihm diese Woche den Auftrag zur Regierungsbildung erteilte.
Heribert Corn

Der Countdown

Unter seiner Führung begann schließlich der blaue Erfolgslauf. Bald bescheinigten Umfragen der FPÖ auf Bundesebene Platz eins, in den Ländern fuhr die Partei bei Wahlen deutliche Zuwächse ein.


Mit dem türkis-grünen Budgetbeschluss im Herbst 2023 startete schließlich der Countdown für den Wahlkampf zur Nationalratswahl. Große Projekte hat die Koalition von ÖVP und Grünen ab dann nicht mehr umgesetzt. Die ÖVP konzentrierte sich zunehmend auf den Kampf gegen Blau.


Das wurde im Vorjahr auch im “U-Ausschuss zum rot-blauen Machtmissbrauch” sichtbar. Dort wurde etwa die Causa “Ideenschmiede” aufgewärmt. Kickls Version war: Er sei in den Nullerjahren kurz an der Werbeagentur beteiligt gewesen; habe später einen Einstieg überlegt, aber nie realisiert. Die politische Konkurrenz interpretierte hingegen Dokumente, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden, so: Kickl sei “stiller Teilhaber” gewesen und habe daher Vermögenswerte verschleiert und sogar “Kicklbacks” kassiert. Die ÖVP brachte Strafanzeige wegen des Verdachts auf Falschaussage im U-Ausschuss ein, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft leitete in dieser Sache im Vorjahr Ermittlungen ein. Es gilt die Unschuldsvermutung.


Auch die Finanzaffäre der steirischen FPÖ wird zum Thema im U-Ausschuss. Doch genau wie die Vorwürfe des Rechtsextremismus oder der Russland-Nähe schlagen sich auch Korruptionsverdächtigungen nicht in den Umfragen nieder. Neuen Zunder sollte ein anonymes Dossier liefern, in dem Kickl und dessen Umfeld brisante Vorwürfe gemacht werden. Das Konvolut, mutmaßlich von einem Insider aus dem Dritten Lager verfasst, wurde einigen Redaktionen zugespielt. Die Staatsanwaltschaft Linz prüfte in einer besonders heiklen Angelegenheit sogar Ermittlungen. Doch die Vorwürfe seien verjährt, entschied das Justizministerium. Und bestätigen lassen sich die vielen Behauptungen nicht.


Die EU-Wahl

Erstmals in einer landesweiten Wahl Erster werden: Dieses Ziel erreichte Kickls FPÖ bereits im Juni 2024 bei der EU-Wahl. Doch der Abstand zu ÖVP und SPÖ war hauchdünn, die Blauen schwächer als in Umfragen prognostiziert. Vor allem in der ÖVP schöpfte man daraufhin Hoffnung, die FPÖ bei Nationalratswahlen doch noch schlagen zu können.


Kickl zeigte sich davon unbeeindruckt und sorgte im August für eine Überraschung. Waren die EU-Wahlplakate noch von Aggressivität geprägt, setzte die Kampagne für die Nationalratswahl auf versöhnliche, staatstragende Motive. “Euer Wille geschehe”, hieß es etwa, was nicht nur die Bischofskonferenz aufregte.


Sein Wirtschaftsprogramm ließ Kickl vom Ex-ÖBB-Manager Arnold Schiefer und der früheren Nationalbank-Generalratsvize Barbara Kolm schreiben. Ein klares Signal an den Wirtschaftsflügel der ÖVP, das auch in der Partei nicht unumstritten ist. So steht vor allem Kolm für eine höchst neoliberale Ausrichtung, die Kickl lange selbst abgelehnt hat. Offenbar schmiss der Parteichef das Konzept seiner Wirtschaftsexperten mindestens einmal zurück, forderte weniger Radikalität. Radikal sind dafür im Wahlprogramm unverhohlen angekündigte Angriffe gegen Gerichtshöfe und unabhängige Medien, die die ÖVP nicht mehr von einer Zusammenarbeit abschrecken.


Der eigentliche Wahlkampf wurde außerdem durch eine dezentrale “Heimatsommer”-Kampagne flankiert, unter deren Label Orts- und Landesgruppen ihre eigenen Veranstaltungen organisiert hatten – das kaschierte ein wenig, dass Kickl selbst im Sommer und Frühherbst nicht so richtig durchs Land getourt war, sondern nur punktuell ein paar wenige Termine wahrgenommen hatte.


Insgesamt verlief der Wahlkampf jedenfalls nach dem Drehbuch des “Projekts Volkskanzler”. So bezeichnet die FPÖ ihren blauen Masterplan, der der Partei den Weg an die Macht bereiten sollte. Erstmals in den Mund genommen hatte Kickl den Begriff des “Volkskanzlers” übrigens im März 2023 im Rahmen einer Präsidiumsklausur der Bundespartei. Es brauche “einen freiheitlichen Volkskanzler”, sagte er dort. Seither bediente die Partei sich ununterbrochen dieses Wordings – in Reden, auf Plakaten, in Aussendungen. Auch Adolf Hitler nannte sich einst so, große Empörung löste der Begriff dennoch nicht aus.


Die Machtergreifung

Auf ihrem Weg zur Machtergreifung hatte die FPÖ diesmal kaum etwas dem Zufall überlassen. Am 29. September glückte der Durchmarsch auf Platz eins. Einen Monat später, am 24. Oktober, wurde das Hohe Haus zum neuen Machtzentrum der FPÖ: Die Partei stellt dort mit 57 der 183 Mandatare die stärkste Fraktion – allerdings mit nur 13 Frauen. Kickl ist selbst kein Burschenschafter, der FPÖ-Klub dennoch fest in der Hand deutschnationaler Verbindungen. Wie eine Recherche der Plattform Stoppt die Rechten ergab, sitzen 19 Korporierte im Klub.


Einer davon ist Walter Rosenkranz, der nun als Nationalratspräsident das zweithöchste Amt in der Republik bekleidet. Als ersten Gast empfing er den ungarischen Premier Viktor Orbán im Parlament – und sorgte damit gleich zu Beginn seiner Amtszeit für Irritationen. Für den Besuch ließ Rosenkranz die EU-Flagge im Empfangssalon entfernen und lud, entgegen den Gepflogenheiten, keine andere Fraktion zum Arbeitsgespräch mit Orbán ein – stattdessen nahm daran eine reine FPÖ-Delegation teil.


Nach der Wahl bestätigte sich außerdem, dass die FPÖ tatsächlich nicht einen Millimeter von jenem Mann abrücken wird, der ihr haushohe Siege beschert hatte: Herbert Kickl. Keinesfalls sollte nämlich das “Modell Haider” wiederholt werden, war schon zuvor parteiintern oft zu hören. Dieser hatte – obwohl er 1999 als Spitzenkandidat der FPÖ in die Wahl gegangen war – 2000 seine Vertraute Susanne Riess-Passer als Vizekanzlerin vorgeschickt.


25 Jahre später hat die FPÖ entgegen allen Unkenrufen mit Herbert Kickl offenbar auf das richtige Pferd gesetzt – in wenigen Wochen könnte er der erste blaue Kanzler der Republik sein. (Sandra Schieder, Fabian Schmid, Colette M. Schmidt, 12.1.2025)


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