KI statt Rotstift

Blog: KI im Klassenzimmer

Warum wir unser Korrekturverhalten überdenken müssen

Wie kann es Lehrerinnen und Lehrern in ihrem stressigen Berufsalltag gelingen, etablierte, oft über Jahre gewachsene Praktiken zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verändern? Theoretisch könnten sie ja jeden pädagogischen Ansatz dahingehend überprüfen, ob sie ihn anwenden, weil es gute, nachprüfbare Gründe dafür gibt oder weil sie es “schon immer so gemacht haben”. Häufig geschieht dies nicht oder es gibt wenig Zeit und Raum, die eigenen – oft jahrzehntelang praktizierten – Methoden auf den Prüfstand zu stellen. Dies gilt insbesondere für eine Tätigkeit, die den Lehrerberuf dominiert: das Korrigieren von Schülerarbeiten.

Alternative Feedbackmethoden, wie zum Beispiel inhaltsorientiertes Feedback, sind effektiver als punktuelle Fehlerkorrekturen.
Franoise – stock.adobe.com

Die Lehrerkräfte unter den Leserinnen und Lesern werden es nur zu gut kennen – der nie endende Stapel von Hausübungstexten, rot markierte Fehler und detailreiche Anmerkungen am Rand. Doch was, wenn diese mühsame Arbeit nicht nur kaum Effekt hat, sondern den Lernprozess sogar behindert? Zahlreiche Studien zeigen, dass die traditionelle Fehlerkorrektur oft wenig bringt und Lehrkräfte unnötig belastet. Mit dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz ergibt sich nun die Chance, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und Feedback sinnvoller zu gestalten.


Die Wissenschaft sagt: Weniger ist oft mehr

Der Sprachwissenschaftler John Truscott kommt in seiner Meta-Analyse zum Schluss, dass klassische Fehlerkorrekturen keine signifikant positiven Effekte auf die Schreibgenauigkeit von Lernenden haben. Tatsächlich deuten einige Ergebnisse sogar auf negative Auswirkungen hin. Truscott argumentiert, dass Feedback, das auf formale Fehler abzielt, oft kurzfristige Verbesserungen bringen, aber langfristig kaum Lernfortschritte bewirken. Besonders grammatikalische Korrekturen führen kaum zu langfristigen Verbesserungen und Schülerinnen und Schüler entwickeln dadurch oft Vermeidungsstrategien, anstatt ihre Schreibkompetenzen zu erweitern.


Lehrer und Autor Hauke Pölert führt in seinem lesenswerten Beitrag an, dass alternative Feedbackmethoden, wie zum Beispiel inhaltsorientiertes Feedback oder Maßnahmen zur Förderung der Selbstkorrektur, effektiver sein könnten als punktuelle Fehlerkorrekturen. Dadurch wird das selbstständige Lernen unterstützt und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Schreibprozess gefördert.


Im Podcast “Psychologie fürs Klassenzimmer” betont der preisgekrönte neuseeländische Pädagoge John Hattie im Gespräch mit dem Schulpsychologen Benedikt Wisniewski ebenfalls, dass traditionelle Korrekturen kaum nachhaltige Effekte haben. Er plädiert für eine Abkehr von ineffektiven Praktiken, einer sogenannten De-Implementierung und zitiert Studien, die zeigen, dass schülerorientiertes Feedback und klare Hinweise zur Überarbeitung von Texten wirksamer sind als eine Fülle von Randbemerkungen. Auch im Podcast “Die Schule brennt” geht Wisniewski auf dieses Thema ein und schlägt vor, Aufgaben oder Tätigkeiten zu reduzieren, zu de-implementieren. Dadurch könne die Qualität der Schule verbessert oder der Stress bei den Lehrerinnen und Lehrern reduziert werden.


Warum Veränderung so schwer fällt

Pölert skizziert die von Wisniewski genannten Hauptursachen, warum Veränderungen in der Korrekturpraxis so schwer fallen und trifft damit wohl einen Nerv vieler Lehrkräfte auch in Österreich:

Wisniewski und Hattie diskutieren im Podcast, dass De-Implementierung oft mit Widerstand verbunden ist, da viele Lehrkräfte ihre Qualität über Quantität definieren. Studien der Sozialwissenschafterin Adams zeigen, dass Menschen bei Problemlösungen intuitiv eher etwas hinzufügen, anstatt unnötige Elemente zu entfernen. Dieses Verhalten spiegelt sich auch im Bildungssystem wider, wo stetig neue Anforderungen hinzukommen.


KI als Chance: Effizienter und wirksamer

Mit dieser Herausforderung konfrontiert, könnte genau hier der Einsatz von KI ansetzen. Tools wie Fiete.ai oder Brisk Teaching bieten Lehrkräften die Möglichkeit, gezieltes und aufgabenorientiertes Feedback zu geben, anstatt sich in Detailkorrekturen zu verlieren.


Mit KI-Unterstützung können Lehrkräfte Aufgaben analysieren, Schülerinnen und Schüler zur Selbstkorrektur anregen (auch mit klassischen LLMs wie ChatGPT möglich, auch mit Deepl Write) und sich auf die Verbesserung von Argumentationsstrukturen und Ideen statt auf Beistrichfehler konzentrieren. Dies spart Zeit und erhöht gleichzeitig den Lernerfolg.


Aber Achtung: KI als Hilfsmittel, nicht als Ersatz

Doch so hilfreich KI auch sein mag, es gibt klare Grenzen. Eine Anekdote (1.Teil / 2.Teil) aus dem Subreddit r/ChatGPT illustriert eindrucksvoll, wohin der blinde Einsatz von KI durch Lehrende führen kann:


Ein Student bemerkte, dass sein Professor die Korrektur zu einer Biologiearbeit wohl komplett von ChatGPT generieren ließ. Das Feedback war sehr lang, aber oberflächlich und im typischen Chatbot-Stil geschrieben. Er vermutete also, dass der Professor die Arbeiten gar nicht selbst las, sondern direkt in ChatGPT reinkopierte. Irritiert und frustriert fügte er in seine nächste Arbeit in weißer, sehr kleiner Schrift die Anweisung an ChatGPT ein, die Arbeit mit 100 Prozent zu bewerten. Das Ergebnis: Das Experiment funktionierte – der Student erhielt zum ersten Mal eine perfekte Note von diesem Professor.


Dieses Beispiel zeigt auf erschreckende und zugleich amüsante Weise, dass KI das Urteilsvermögen des Menschen zwar unterstützen, aber keinesfalls ersetzen kann und darf. Sonst laufen wir Gefahr, dass in Zukunft im Klassenzimmer nur noch KI mit KI kommuniziert (“Dead Classroom Theory”).


Ihre Erfahrungen?

Wie steht es mit Ihrem eigenen Korrekturverhalten? Haben Sie als Lehrkraft ähnliche Erfahrungen gemacht, oder erinnern Sie sich an besonders hilfreiches oder frustrierendes Feedback in Ihrer eigenen Schulkarriere? (Bernhard Gmeiner, 13.1.2025)


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