Kogler: “Die ÖVP lädt historische Schuld auf sich”
Im Bürotrakt von Noch-Minister Werner Kogler wurden die Bilder bereits abgehängt. Die schwarz-grüne Ära geht zu Ende – und die Grünen rüsten sich für die Opposition. Kogler nimmt in einem Besprechungsraum Platz. Wie lange er sein Büro in der Wiener Radetzkystraße noch behalten werde, sei unklar, sagt der Vizekanzler außer Dienst. Noch habe er mit seinen Agenden genug zu tun. Die Zukunft des Landes bereite ihm Sorge.
STANDARD: Was geschieht da gerade in Österreich?
Kogler: Es ist extrem unverantwortlich von der ÖVP, einem extremen Rechten die Tür zum Kanzleramt aufzustoßen. Grundsätzlich sehe ich auch bei den Neos und der SPÖ, die ursprünglich eine Koalition bilden wollten, eine Mitverantwortung. Die Abfolge der Ereignisse ist ungeheuerlich. Ich will nicht den Richter spielen, aber so hätte es nicht kommen müssen. Alle sind mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, dass Herbert Kickl nicht Kanzler werden soll.
STANDARD: Seitens der ÖVP heißt es, es gebe keine Alternative.
Kogler: Natürlich gibt es die. Es sollten sich jetzt alle zusammenreißen, damit es doch noch anders geht. Die ÖVP lädt gerade historische Schuld auf sich. Die FPÖ will die EU attackieren, blockieren und dann verlassen. Mit Viktor Orbán, Robert Fico und Herbert Kickl, unserem gestandenen Rechtsextremen, kann da etwas ins Kippen kommen.
STANDARD: Sie sehen überall Verantwortliche – außer bei sich. Auch Sie sind damit angetreten, die FPÖ zu verhindern. Was haben die Grünen falsch gemacht, dass sie keine Option für eine Koalition mehr waren und es jetzt so kommt?
Kogler: Insgesamt wäre es natürlich besser gewesen, wir hätten ein besseres Wahlergebnis eingefahren, damit andere Mehrheitskonstellationen möglich sind. Eine Mehrheit links der Mitte – beziehungsweise eine linksliberale Mehrheit – ist so weit weg, dass wir uns diese Frage stellen müssen. Das stimmt.
STANDARD: Grüne Errungenschaften wie das Klimaticket, der Klimabonus oder Förderungen für Erneuerbare dürften bald wieder zurückgerollt werden. Hat die grüne Regierungsbeteiligung überhaupt etwas gebracht?
Kogler: Für die Phase der Regierungsbeteiligung jedenfalls. Die schädlichen Emissionen sinken in einem Ausmaß, wie wir es selbst nicht erwartet hätten. Jetzt sind in vielen Betrieben die Arbeitsplätze gefährdet, wenn alles zurückgenommen wird. Da sind vom Installateur bis ins Baunebengewerbe alle betroffen.
STANDARD: Müssen Sie sich nicht angesichts des Wahlergebnisses den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie die Menschen zu wenig mitgenommen haben bei Ihren Initiativen?
Kogler: Selbst viele Wählerinnen und Wähler der FPÖ haben für Natur- und Bodenschutz viel übrig. Auch bei ÖVP-Wählern gibt es viele, die sich für eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft interessieren. Aber ja, andere Anliegen wurden im Wahlkampf und davor als wichtiger bewertet. Unser Kampf wird sein, Klimaschutz wieder unter die Topthemen zu bringen.
STANDARD: Sie haben in den vergangenen Jahren Einblick in die Tiefe der Republik bekommen. Was könnte sich unter Blau-Schwarz an der Verfasstheit Österreichs ändern?
Kogler: Als erste Auswirkung sehe ich eine Schlechterstellung Österreichs in der Europäischen Union. Da droht ein Megaschaden. Ein Kanzler kann in Brüssel entscheiden, wie er will. Der Nationalrat könnte eine Bindung aussprechen, dafür bräuchte man aber eine Mehrheit. Es müsste also die ÖVP mitstimmen.
STANDARD: Wiens FPÖ-Chef wünscht sich öffentlich, dass es mit dem STANDARD bald “vorbei” sei. Auch den ORF greift die FPÖ bereits an. Welche Möglichkeiten haben Regierungsmitglieder, kritische Medien zu schwächen?
Kogler: Die FPÖ will kritische Medien wie den STANDARD zerstören, daran besteht kein Zweifel mehr. Regierungen können die Medienförderung auch tatsächlich so steuern, dass man weiß, was dann am anderen Ende übrig bleibt. Für Änderungen beim ORF oder bei bestimmten Medienförderungen ist eine Gesetzesänderung notwendig. Aber die Entscheidung, wo ein Ministerium ein Inserat schaltet oder eben nicht, können einzelne Minister treffen – und sich dabei gegen Kritiker absprechen. Wir haben das klarerweise nicht getan.
STANDARD: Würden Sie sagen, dass man in Österreich als Regierungsmitglied die Macht hat, Medien abzudrehen?
Kogler: Die Möglichkeiten dazu sind da. Wir Grüne haben versucht, das systematisch zu ändern – Qualitätskriterien einzuführen, die Digitalisierung voranzutreiben und das Inseratenvolumen zu senken, um kriterienbasiert zu fördern. Aber das lässt sich zurückfahren.
STANDARD: Man muss sich also Sorgen machen um die freie Presse?
Kogler: Mit Sicherheit.
STANDARD: Teil einer Regierung wäre allerdings auch die ÖVP, die Sie als Regierungspartner nur zu gut kennen. Was passiert da gerade bei Ihrem Noch-Koalitionspartner?
Kogler: Die ÖVP ist jetzt endgültig wieder die Alte wie aus der Zeit, bevor Sebastian Kurz Rot-Schwarz gesprengt hat – nur noch schwächer. In Italien konnte man über Jahrzehnte beobachten, wie eine riesige christdemokratische Partei zerbröckelt ist. Das sehe ich auch als Möglichkeit und Gefahr für Österreich. In Bezug auf die Frage, ob mit Kickl koaliert werden soll, ist die ÖVP tief gespalten. Eine klare innerparteiliche Mehrheit gibt es da meiner Ansicht nach nicht. Die ÖVP droht zwischen verschiedenen internen Lobbygruppen und Fraktionen endgültig zu einer völlig erratischen Partei zu werden.
STANDARD: Trauen Sie der ÖVP in ihrer aktuellen Verfasstheit zu, einem Demokratieabbau zuzustimmen oder sich von einem solchen überrumpeln zu lassen?
Kogler: Gerade stolziert die FPÖ herum, als wäre sie doppelt so stark wie die ÖVP. Dabei ist der Unterschied im Wahlergebnis zwischen den beiden gar nicht so groß. Aber die ÖVP wird von der FPÖ immer wieder einmal etwas wollen und etwas anderem im Gegenzug zustimmen müssen. Im Übrigen sehe ich auch die unabhängige Justiz gefährdet.
STANDARD: Also ist Ihrer Ansicht nach Österreich in Gefahr – oder wäre das zu viel gesagt?
Kogler: Das ist gar nicht zu viel gesagt. Österreich ist gefährdet, was eine vernünftige Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik betrifft. Gleiches gilt für die ethische Verfasstheit der Republik und den Wert demokratischer Institutionen.
STANDARD: Kurz zur geopolitischen Lage: In Deutschland warnt die Innenministerin vor der brutalen hybriden Kriegsführung durch Russland in der EU, sie will neue Schutzbunker bauen. Sie haben als Regierungsmitglied Zugang zu sämtlichen Sicherheitsinformationen. Wie schätzen Sie die Sicherheitslage in Österreich ein?
Kogler: Die Bedrohung durch Russland ist auch hier gegeben. Wir wissen von unseren Nachrichtendiensten, dass es zu einer massiven Beeinflussung aus Russland über die sozialen Medien kommt – durch Fake-Accounts aus Trollfabriken. Und dann kommt auch hier wieder die FPÖ ins Spiel: Österreich ist Standort massiver russischer Spionage. Und bei der Kickl-Truppe können die Russenspione aus und ein spazieren.
STANDARD: Halten Sie es denn für denkbar, dass Russland bald einen EU-Staat angreift?
Kogler: Ausgeschlossen ist es nicht.
STANDARD: Sie wollen dieses Jahr die Partei übergeben. Wenn es nur nach Ihnen ginge, wer soll nachfolgen?
Kogler: Wir haben mehrere gute Kandidatinnen und Kandidaten: Leonore Gewessler, Alma Zadić und Stefan Kaineder. Wir werden jedenfalls weiterhin als Team auftreten.
STANDARD: Zum Abschluss: In Ihrem Ministerium packen die Grünen gerade zusammen. Wie fühlen sie sich an, die letzten Tage an der Macht?
Kogler: Macht ist keine Frage der Funktion allein, sondern eine der Wirkung, die man erzeugt. Macht kann man auch aus der Opposition heraus entwickeln. (Katharina Mittelstaedt, Gerold Riedmann, 15.1.2025)
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