Prozess um SS-Treuelied bei Begräbnis: FPÖ mit Klage gegen STANDARD erfolgreich
Gericht
Das Wiener Landesgericht sah den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt, das Urteil ist nicht rechtskräftig. DER STANDARD geht in Berufung
Wien – “Ich glaube, dass die Aussage, dass das SS-Treuelied gesungen wurde, wahr ist”, erklärt Richter Daniel Potmesil am Ende des von den drei FPÖ-Abgeordneten Martin Graf, Norbert Nemeth und Harald Stefan angestrengten Prozesses gegen den STANDARD. Die medienrechtlichen Anträge wegen Paragraf 6 ff. Mediengesetz richten sich gegen die Berichterstattung über das Begräbnis von Walter Sucher am 27. September auf dem Hernalser Friedhof. Ein dem STANDARD zugespieltes Video dokumentierte, dass die Trauergemeinde, darunter auch aktive Burschenschafter, am offenen Grab ein Lied sang. Das 1819 geschriebene alte Burschenschafterlied Wenn alle untreu werden, sagen Antragstellervertreter Christoph Völk, Nemeth und Stefan. Ein als Treuelied von der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS) vereinnahmtes Lied, das im SS-Liederbuch gleich nach dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied aufgeführt ist, argumentiert STANDARD-Anwalt Michael Pilz.
Richter Potmesil geht in seiner Urteilsbegründung nun davon aus, dass das Lied auch von der SS gesungen worden sei, aber in einer anderen Fassung. Das Interessante: Die FPÖ-Politiker berufen sich als Zeugen auf das Liederbuch der Burschenschaften, in dem es aber als Wenn alle untreu werden bezeichnet wird. “Wie wurde das Lied denn am Grab angekündigt?”, fragt Anwalt Pilz den Abgeordneten Stefan, selbst bis 2017 Mitglied der Burschenschaft Olympia. “Jetzt wird dieses Lied, das uns Max von Schenkendorf geschenkt hat, gesungen.” – “Welches Lied?” – “Das Treuelied, das uns Max von Schenkendorf geschenkt hat.” – “Und wieso wussten dann alle gleich, welches Lied gemeint ist, wenn es im Kommersbuch nie Treuelied genannt wird?”, wundert sich der STANDARD-Anwalt. Beim Namen “von Schenkendorf” sei unter Burschenschaftern klar, welches Gesangsstück gemeint sei, entgegnet der Zeuge.
Für ihn sei es “romantisches Liedgut”, das Verbundenheit, Bundesbrüderschaft und Freundschaft ausdrücke. Das am Ende besungene “heil’ge deutsche Reich” beziehe sich auf das 1806 untergegangene Heilige Römische Reich Deutscher Nation, erklärt er. Dass der verstorbene Sucher, ebenfalls bei der Olympia, einst eine Rede auf einem FPÖ-Parteitag mit “Heil!” beendet hat und die Wiedervereinigung Deutschlands als “kleindeutsche Lösung” bezeichnete, sei ihm nicht mehr erinnerlich, behauptet der Zeuge.
“Romantisches Liedgut” als Zeichen der Verbundenheit
Auch Nemeth, Klubdirektor des freiheitlichen Parlamentsklubs und Mitglied der Burschenschaften Olympia und Vandalia, stellt das so dar. Beziehungsweise will er nicht mehr wissen, ob auf dem Friedhof überhaupt das Wort “Treuelied” gefallen ist: “Es hat stark geregnet, der Wind hat gepfiffen”, erinnert er sich. Wie auch Stefan weist er jede Verherrlichung des Nationalsozialismus oder der SS strikt von sich. “Ich mache mir nicht bei jedem Lied tiefgehende Gedanken über jede einzelne Zeile”, erklärt er und stellt eine rhetorische Frage: “Was soll denn am Dritten Reich heilig gewesen sein?”
Dass beide nicht auf Anfragen des STANDARD gegen 23 Uhr an einem Freitagabend reagiert haben, gestehen beide zu. Ihnen sei der Vorwurf aber damals so ungeheuerlich vorgekommen, dass sie keinen Grund dazu sahen, behaupten sie. Wie auch der Richter klarstellt, ist Wenn alle untreu werden in Österreich nicht verboten, was DER STANDARD auch nie behauptet hat. Die Staatsanwaltschaft Wien hat dennoch ein Verfahren wegen möglicher NS-Wiederbetätigung gegen die Begräbnisteilnehmer eingeleitet.
“Verwerflich, vom Deutschen Reich zu singen!”
Während Völk in der Berichterstattung eine “infame Unterstellung” sieht, ist sein Gegenüber Pilz überzeugt, dass der Wahrheitsbeweis erbracht und die journalistische Sorgfalt gewahrt wurde. “Es ist tatsächlich verwerflich, 2024 noch vom Deutschen Reich zu singen!”, hält er fest.
Der Richter verurteilt den STANDARD nicht rechtskräftig zu 20.250 Euro Entschädigung an die drei Antragssteller, zusätzlich muss das Medium die Prozesskosten übernehmen. Da Pilz sofort volle Berufung einlegt und Völk keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. In seiner Begründung erklärt Potmesil, dass das Entscheidende bei der SS-Version eine weggelassene Strophe und die Verwendung des Wortes “Treue” statt “Reue” sei. Letzteres sei in dem Video nicht klar zu hören, es seien aber alle Strophen gesungen worden, nicht eine just von der SS umgedichtete Fassung. (Michael Möseneder, 16.1.2025)
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