Schallenberg im Parlament: Auch künftige Regierung wird “nicht im luftleeren Raum agieren”
Die Nationalratswahl ist knapp vier Monate her, im Vollbetrieb ist das Parlament aber bislang nicht. Die Fachausschüsse sind weiterhin nicht gewählt und konstituiert; wer schlussendlich im Plenum sitzen wird, ist angesichts möglicher Wechsel auf die Regierungsbank weiter unklar; und auch die ureigenste Aufgabe des Nationalrats ruht: Weil sich noch keine Koalition gebildet hat, stand am Mittwoch kein einziger Gesetzesantrag auf der Tagesordnung. Nur eines war wie immer: die aufgeheizte Stimmung im Plenum.
Babler ortet “radikale Gruppe” in ÖVP
Da war etwa SPÖ-Klubobmann Andreas Babler, der in der Aktuellen Stunde über das Budget zum Rundumschlag ausholte und Unwahrheiten auf allen Seiten ortete. Vom Finanzminister, der das “Kürzungspaket” einer noch nicht einmal gebildeten Regierung nach Brüssel geschickt habe, um ein EU-Defizitverfahren abzuwenden. Und von den To-be-Koalitionären Volkspartei und Freiheitliche, die ebenfalls verschweigen würden, “wie das Budgetloch saniert werden soll”. In der ÖVP habe eine “radikale Gruppe” übernommen, die dafür sorge, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl Kanzler werde.
Und in dessen Richtung: “Über den Swingerklub der Machtlüsternen haben Sie gewettert, heute swingen Sie schön mit.” Außerdem kritisierte er die von Kickl selbst gewählte Formulierung als baldiger “Volkskanzler”, schon im Duden von 1941 sei nachzulesen gewesen: “‘Bezeichnung für Hitler, als Ausdruck der Verbundenheit zwischen Volk und Führer’ – wer nennt sich so?” Zwischenrufe aus dem FPÖ-Block: “Bruno Kreisky!”
Mayr: Klimabonus hat nichts mit Klima zu tun
Die Vorwürfe Bablers wollte Finanzminister Gunter Mayr nicht auf sich sitzen lassen. “Zum Glück” sei mit dem Maßnahmenpaket in Höhe von 6,39 Milliarden Euro ein EU-Defizitverfahren abgewendet worden: “Ich kenne kein einziges EU-Mitgliedsland, das sich da freiwillig hineinbewegen würde”, sagte der Sektionschef, der aktuell interimistisch das Finanzministerium führt. Die Grundlage für dieses Paket seien außerdem die gescheiterten Regierungsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und Neos gewesen: “Viele der Maßnahmen sollte Babler kennen.”
Oder, wie der SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried später in einem Zwischenruf monierte: “Das heißt im Haus Klubobmann übrigens.” Mayr, zynisch zurück: “Gerne Klubobmann, wenn das der einzige Einwand ist.” Außerdem wiederholte Mayr seine Argumentation, wonach der Klimabonus, der nun gestrichen werden soll, nichts mit dem Klima zu tun habe: “Das ist eine reine Transferzahlung und könnte jeden anderen Namen auch tragen.” Um im nächsten Satz auszuführen, dass es einen kleinen Zusammenhang mit der CO2-Bepreisung gebe. Die grünen Abgeordneten waren dementsprechend verwundert bis empört.
Wer ist schuld am Platzen der Verhandlungen?
Die darauffolgende Debatte im Rahmen der Aktuellen Stunde erinnerte dann an eine Therapiestunde. FPÖ-Budgetsprecher Hubert Fuchs führte hämisch aus, dass 300 Verhandler von ÖVP, SPÖ und Neos in 33 Arbeitsgruppen in drei Monaten nicht gelungen sei, was Freiheitlichen und ÖVP in drei Tagen auf die Beine gestellt hätten: “Nämlich die Abwendung des EU-Defizitverfahrens. Sie haben wertvolle Zeit verspielt. Vielen Dank an die SPÖ.”
Dieselbe Schuldige ortete ÖVP-Klubobmann August Wöginger, zumindest die “Babler-SPÖ”. Die sei “unfähig, Verantwortung für Österreich zu übernehmen”. ÖVP und Neos hätten sich bemüht, die Koalition zustande zu bringen, die SPÖ nicht. “Wenn die Sozialdemokratie eine staatstragende Partei werden will, muss sie die erste Reihe austauschen – sonst wird das nichts mehr werden.” Auch Neos-Abgeordneter Nikolaus Scherak vermutete, dass Babler in “Parallelverhandlungen” saß: “Der August Wöginger und ich haben über Wochen probiert, Kompromissvorschläge zu machen, aber so wird das mit Ehrlichkeit nicht funktionieren.”
Die SPÖ sah das naturgemäß anders, etwa deren Abgeordneter Kai Jan Krainer: “Kein Sozialdemokrat wird einen Weg unterschreiben, in dem zu 90 Prozent die breite Masse und nur zu zehn Prozent die Reichen und Konzerne das Budget sanieren müssen.” Außerdem nahm auch Krainer den Finanzminister ins Visier, dessen Ausführungen unsachlich seien: “Sie haben das Defizitverfahren verschoben, nicht abgewendet. Sie sind mehr Propagandaminister als Finanzminister.”
Oder, wie es Noch-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von den Grünen formulierte: “Ich werde mich nicht an der Aufarbeitung der letzten Verhandlungswochen beteiligen – dafür gibt es bessere Settings als das Nationalratsplenum.” Außerdem diagnostizierte sie der ÖVP einen “Wendehals”. Die Abschaffung des Klimabonus sei ein “gebrochenes Versprechen”, denn: “Wurscht, wen es trifft, wurscht, was es für die Wirtschaft heißt: Wenn Klima draufsteht, dann muss es weg.” Und: “Den Preis für dieses Programm zahlen zukünftige Generationen.”
Eine Rede aus der Usance heraus
Weniger aufgeheizt war die Stimmung im Anschluss bei der Regierungserklärung von Alexander Schallenberg. Premiere im Hohen Haus war das für ihn keine – bereits zum zweiten Mal steht er an der Spitze einer Bundesregierung. Beim ersten Mal tat er das nach dem Abgang von Sebastian Kurz als Kanzler. Diesmal ist er aber nur interimistisch mit der Leitung der einstweiligen Bundesregierung betraut. Und weil es die Usancen dieser Republik, also die Gepflogenheiten, so vorsehen, erklärte sich Schallenberg erneut dem Parlament – auch wenn seine Regierung keine Mehrheit im Nationalrat mehr hinter sich weiß.
Eine weitere Usance: dass die Regierungsmitglieder und die Staatssekretärinnen dabei auch auf der Regierungsbank sitzen. Also verließen die Abgeordneten Karner, Edtstadler, Kogler und Co dafür ihre Sitzplätze im Plenum und flankierten Schallenberg – Claudia Plakolm leicht verspätet, erst nach Beginn der Rede. “Sie können mir eines glauben: Ich hätte niemals erwartet, noch hatte ich angestrebt, ein weiteres Mal hier vor Ihnen als Regierungschef zu stehen”, sagte der Außenminister zu Beginn seiner Rede. Dennoch werde er “dieses Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben”.
Er sehe es nun als seine Aufgabe an, “die Amtsgeschäfte mit ruhiger Hand fortzuführen und einen geordneten Übergang sicherzustellen, sobald eine neue Bundesregierung angelobt wird”. Rosen streute Schallenberg zunächst seinem Amtsvorgänger Nehammer, der sich nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Dreierkoalition als Partei- und Regierungschef zurückgezogen hat. Nehammer habe das Amt “in einer sowohl national als auch geopolitisch enorm herausfordernden Zeit mit unglaublich viel Herzblut, Geradlinigkeit und Rechtschaffenheit ausgefüllt”.
Große inhaltliche Ansagen sparte der scheidende Außenminister, der bereits angekündigt hat, unter einem Kanzler Kickl nicht dienen zu wollen, in seiner Erklärung aus. Die künftige Koalition erinnerte er daran, dass diese, “genauso wie alle anderen davor, nicht im luftleeren Raum agieren”, sondern “in einem starken und tragfähigen Netz an Regeln und Verpflichtungen, sowohl nationaler als auch internationaler Natur”, eingebettet sein werde. Dazu würden etwa völkerrechtliche Verträge, die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und die Bundesverfassung gehören.
Schallenberg diktiert Voraussetzungen für nächste Koalition
Die Grundvoraussetzungen für eine handlungsfähige nächste Bundesregierung sind aus Sicht Schallenbergs daher klar: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und “das klare Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft” – all diese Dinge seien “nicht verhandelbar”. Und er betonte: “In einer Zeit, wo der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, in der unser Lebensmodell, das auf Demokratie und Pluralismus beruht, unter Druck gerät, kann und darf es keinen Zweifel geben, wo dieses Land steht.” Die Republik sei nämlich “keine Insel der Seligen” und nicht “vor Krisen, Konflikt und Krieg gefeit”.
Seine Amtszeit habe er deshalb “ganz bewusst mit einer Reise nach Brüssel begonnen”, um eine klare Botschaft zu vermitteln: Österreich “ist und bleibt selbstverständlich ein verlässlicher und stabiler Partner in Europa und in der Welt” und “eine lebendige, funktionierende, gefestigte Demokratie”. Zum Abschluss betonte Schallenberg, dass er “die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht kleinreden” wolle und die künftige Regierung “wahrlich alle Hände voll zu tun haben” werde. Er sei aber “davon überzeugt, dass wir zur Bewältigung dieser Probleme in Wirklichkeit gut gerüstet sind”.
Und was ebenfalls dazugehört: ein handlungsfähiges Parlament, das dann auch die Gesetze zur Bewältigung der Probleme beschließt. (Sandra Schieder, Maximilian Werner, 22.1.2025)
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