Wissenschafterin Wodak: “FPÖ verfolgt rhetorische Strategie der toten Katze”
Die FPÖ bediente sich bereits im Wahlprogramm historisch belasteter Begriffe, aber auch aktueller rechtsextremer Vokabeln wie der Remigration. Ein Gespräch mit der Sprachforscherin Ruth Wodak über Frühwarnsysteme in der Sprache.
STANDARD: Gibt es Wörter, die den Beginn autokratischer Vorherrschaft anzeigen?
Wodak: Nicht nur einzelne Worte, sondern vor allem die rhetorisch-strategische Verpackung rechtsextremer Inhalte. Etwa Begriffe, die aus der NS-Zeit stammen, wie Volkskanzler, von Hitler 1933 verwendet; Fahndungslisten, Systemparteien, Lügenpresse. Diese Begriffe weisen auf eine bestimmte ideologische Positionierung hin, die sich gegen liberal-demokratische Werte wie die Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Unabhängigkeit der Justiz wenden. Man sollte darauf achten, dass solche Begriffe nicht normalisiert, also einfach unhinterfragt Teil der Alltagssprache werden. Würden wir eine solche Sensibilität verlieren, hätten wir die mit den Begriffen verbundenen Inhalte akzeptiert.
STANDARD: Welche Verschärfungen im FPÖ-Vokabular sahen Sie in den letzten Jahren?
Wodak: Verschwörungsnarrative, eine martialische Metaphorik, Kampfbegriffe. “Festung Österreich” etwa signalisiert eine Abwehr gegenüber jeglichem Fremden, wobei fremd oder anders arbiträr definiert werden kann – handelt es sich um Nichtchristen, um unerwünschte, sogenannte illegale Migrantinnen und Migranten, unerwünschte sogenannte Eliten? Wenn man sich an die Erster-Mai-Rede von Herbert Kickl 2023 erinnert und die Politik der Angst, die mit bekannten Verschwörungsnarrativen in Zusammenhang steht, sieht man: War es früher vor allem der Begriff kosmopolitisch, der als Anspielung auf die sogenannte jüdische Weltverschwörung verwendet wurde, so böte sich nun der in einem rezenten FPÖ-Verschwörungsnarrativ verwendete Begriff globalistisch an.
STANDARD: In der Steiermark hat die FPÖ ein Genderverbot im Landesdienst angekündigt. Welche Folgen haben solche Verbote für eine Gesellschaft?
Wodak: Hier handelt es sich um Symbolpolitik, eine von vielen Dimensionen im FPÖ-Kulturkampf. Anstatt dass man sich politisch um die relevanten Probleme wie die Gehaltsschere, steigende Ungleichheit, Gewalt gegen Frauen kümmert, wird als Ablenkung eine symbolische Aktion gesetzt. Rhetorisch wird dies als Strategie der toten Katze bezeichnet – inmitten einer problematischen und unangenehmen Diskussion wirft man ein neues Thema, die tote Katze, ins Gespräch und lenkt damit von echten Herausforderungen wie einer Budgetkrise ab. Dazu dienen Diskussionen über das Kopftuch, über Sternchen oder Doppelpunkt. Im Rahmen der Symbolpolitik sind solche Verbote recht wirksam und weisen auf konservative Werte hin. Denn das Sichtbarmachen von Geschlechtsidentitäten bleibt eine wichtige Dimension von vielen im Kampf um Gleichberechtigung.
STANDARD: Ist es möglich, einer ganzen Generation, die in Schulen und Unis gegendert hat, dies wieder abzugewöhnen, oder bleibt die Gesellschaft hier gespalten?
Wodak: Es kommt darauf an, wie ein solches Verbot implementiert wird und ob bei Verbotsverletzung Strafen erfolgen. In jedem Fall entfacht man eine kontroversielle Diskussion, die eben von anderen relevanten Agenden geschickt ablenkt.
STANDARD: Gab es abseits von Diktaturen und Monarchien je Verbote von Formulierungen – abgesehen von strafrechtlich relevanten Äußerungen?
Wodak: Gesetzliche Verbote gibt es in liberalen Demokratien und auch in der EU nur, wenn damit Verhetzung, Diskriminierung und Verleumdung verbunden sind. In Österreich ist auch das Verbotsgesetz in Bezug auf die Verharmlosung des Holocaust wesentlich. Die Behauptung also, man dürfe etwas nicht sagen oder man müsse doch XY endlich sagen können oder es gebe eine Sprachpolizei, ist einfach falsch.
STANDARD: Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hat kürzlich in einem ORF-Interview gesagt, es sei notwendig, “konkrete Maßnahmen zu setzen für den wirtschaftlichen Aufschwung als auch im Kampf gegen den Islam”. Sie sagte später, sie habe den “politischen Islam” gemeint. Wie beurteilen Sie so eine Aussage einer Politikerin und den Umstand, dass diese im ORF zweimal kommentarlos gesendet wurde?
Wodak: Wir alle wissen aus den Theorien zu Versprechern etwa von Sigmund Freud, dass bei sogenannten Sagern die Meinung der Sprechenden sichtbar wird. Dementis nützen wenig, denn einmal im öffentlichen Diskurs verankert, kann man solche Äußerungen nicht mehr löschen. Mikl-Leitner ruft also zum Kampf gegen den Islam auf, bedient sich damit einer martialischen Rhetorik und des Trugschlusses der vorschnellen Generalisierung, indem sie eine ganze Religion bzw. Religionsgemeinschaft angreift. Damit unterstellt sie, dass der Islam eindeutig definierbar und gefährlich sei – ohne jegliche Differenzierung. Abgesehen davon, dass “der Islam” als Religion in Österreich unter Religionsfreiheit steht. Und was meint sie mit Kampf? Bestimmte Verbote? Welche? Bestimmte Maßnahmen? Welche? Einen Kampf mit Waffen? In diese Abstraktheit kann also jeder und jede eine Bedeutung hineinprojizieren, die einem passt. Mikl-Leitner hingegen kann sich jederzeit davon distanzieren.
STANDARD: Wie können Medien gegen undifferenzierte Sprache angehen?
Wodak: Sie müssen hinterfragen, was denn jeweils gemeint wird, und nicht einfach bestimmte negativ konnotierte Begriffe unhinterfragt, manchmal sogar ohne Anführungszeichen übernehmen. Es ist notwendig, die Argumente, oft Trugschlüsse, zu dekonstruieren und natürlich auch Faktenchecks zu machen. Daher ist große Sorgsamkeit angebracht. Differenzierungen sind wichtig, um die unterschiedlichen Positionen zu verdeutlichen und auch zu bewerten. Historisches Wissen bleibt relevant – oft scheint es, als habe man jegliches Geschichtswissen verloren. Die vielen Verharmlosungen, die wir nun zu hören bekommen – alles sogenannte Einzelfälle –, stimmen sehr bedenklich.
STANDARD: Was antworten Sie jemandem, der meint, die FPÖ wolle mit ihren Aussagen nur provozieren, man solle diese ignorieren?
Wodak: Dies führt häufig zu einer Lose-lose-Situation: Wenn man berichtet, schenkt man ihnen jene Aufmerksamkeit, die mit der Provokation erreicht werden soll. Berichtet man nicht, kommt der Vorwurf “Wer schweigt, stimmt zu”. Aber man kann Provokationen als solche benennen, deren Funktion aufzeigen und sich dann wichtigeren Themen zuwenden. Man sollte sich auf die Metaebene begeben und sich nicht in der von der Provokation intendierten Dynamik des Perpetuum mobile des Rechtspopulismus einfangen lassen. Dieses bewirkt nur ein nicht zu gewinnendes Blame-Game. (Colette M. Schmidt, 22.1.2025)
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