Wie die letzten Roten in einer Waldviertler Gemeinde um ihren Platz kämpfen

Der sozialdemokratische Gemeinderat Herbert Kraus steht mit roter Jacke und roter Mütze vor einer verschneiten Wiese
Herbert Kraus ist nur einer von nur zwei SPÖ-Kandidaten in Arbesbach. Motivationsprobleme habe er dennoch nicht.
Lukas Kapeller

Herbert Kraus zieht sich eine rote Jacke über, setzt eine rote Mütze auf und marschiert los durch den Waldviertler Schnee. Kraus ist Gemeinderat in Arbesbach – der einzige für die SPÖ. “Viele im Bezirk haben Angst, dass ihnen das auf den Schädel fällt, wenn sie für die SPÖ auftreten”, sagt Kraus. Der 64-Jährige hat keine Angst, das muss er gar nicht sagen, das sagen schon seine Jacke und seine Mütze. Auf sein Auto montierte er vor vier Jahren sogar das Wunschkennzeichen “ZT-SPOE1”. Bezeichnenderweise war das im ganzen Bezirk Zwettl noch frei.


Kraus stapft an einem Sonntag im Jänner durch den Schnee. In der Nacht hat es geschneit, und vor manchen leerstehenden Häusern schaufelt niemand den Schnee weg. Eine seiner Forderungen, eine kommunale Schneeräumung für Gehsteige, verhallte bisher ungehört von der ÖVP, die 17 von 19 Gemeinderäten in Arbesbach stellt. Mit Kraus bildet in der 1600-Einwohner-Gemeinde ein FPÖ-Mann die spärliche Opposition.


Das Waldviertel ist schwarzes Kernland. Ein raues Pflaster für Rote.

Eine Ortstafel in Schneelandschaft mit dem durchgestrichenen Gemeindenamen
Hinter der Ortstafel – die Fläche zählt zum Gemeindegebiet von Arbesbach – fordert Kraus einen “richtigen Gehsteig”. Die ÖVP entgegnet, die aktuelle Lösung sei ausreichend und für die Anrainer zufriedenstellend.
Lukas Kapeller

Zwist um Gehsteig

Bei der Ortstafel erklärt Kraus eine seiner zentralen Forderungen für die Gemeinderatswahl: “Einen richtigen Gehsteig, breit genug für einen Kinderwagen und 500 Meter lang.” Denn ab der Ortstafel, die zu einer Katastralgemeinde von Arbesbach führt, verläuft neben der Bundesstraße nur ein schmaler Weg ohne Randstein. Die ÖVP hält das für zweckmäßig, Kraus nicht. Es sind solche Dinge, um die bei Gemeinderatswahlen gekämpft wird.


Am 26. Jänner wählen 568 Kommunen in Niederösterreich einen neuen Gemeinderat, in 538 davon tritt die SPÖ an. Ein kleines Minus zu 2020, als die SPÖ noch in 545 Gemeinden eine Liste zustande brachte. In manchen Kleingemeinden, gerade im Waldviertel und im Weinviertel, sind die Roten zudem in der bitteren Lage, vom Wähler mehr Mandate zu bekommen, als sie Kandidaten finden. Diese Sitze bleiben dann im Gemeinderat leer. Auf dem Land hat die SPÖ oft ein Nachwuchsproblem.

In ihrem Wohnzimmer gibt eine Frau mit kurzen blonden Haaaren ihrem glatzköpfigen Mann per Daumen das Zeichen, dass der Dreh eines Handyvideos beginnt
Daumen rauf, Handykamera läuft: Herbert und Elisabeth Kraus beim Dreh eines Videos, das der SPÖ-Gemeinderat später auf Facebook teilen wird.
Lukas Kapeller

Hoffen auf zwei Mandate

Kraus ist froh, in Arbesbach mit Manfred Grünstäudl, einem 42-jährigen Außendienstler, zumindest einen zweiten SPÖ-Kandidaten gewonnen zu haben. “Ich will den Manfred in der Gemeindepolitik anlernen wie in einem Betrieb. Deshalb wäre ein zweites Mandat für uns so wichtig”, sagt Kraus, der auch Bezirksparteiobmann in Zwettl ist.


Immerhin 40 Wahlplakate haben Kraus und Grünstäudl an Lichtmasten in der Gemeinde angebracht. Vor der Landtagswahl im Jänner 2023 stellte Kraus auch einen Bodenständer mit SPÖ-Werbung in Arbesbach auf – bis ein Schneepflug den Ständer rammte und demolierte. “Vielleicht war’s ein Versehen”, sagt Kraus. Dennoch montierte er seine SPÖ-Plakate heuer lieber weiter oben.


Kraus kommt aus Vösendorf im Süden von Wien, aus einer Gemeinde, die einst tiefrot war und heute einen ÖVP-Bürgermeister hat. Auch in Vösendorf saß er schon im Gemeinderat. Die Beziehung mit einer Waldviertlerin, seiner heutigen Ehefrau, führte den ehemaligen Taxiunternehmer und Amateurgewichtheber vor ein paar Jahren nach Arbesbach. Als Gewichtheber sei ihm das Stoßen der Langhantel lieber gewesen als das Reißen. “Beim Stoßen ist Kraft gefragt, beim Reißen Technik”, sagt Kraus. “Ich war nie ein großer Techniker.”


Wirbel im Gemeinderat

So legt Kraus auch seinen Wahlkampf an – handfest, wenig geübt in politischer Feinmotorik. Im Dezember gab es deshalb einen kleinen Wirbel in Arbesbach – einer Gemeinde, der es mit ihren Gasthäusern, zwei Banken, Nah & Frisch und Polizeistation an kaum etwas fehlt. Kurz vor Weihnachten war Schluss mit dem Frieden: SPÖ-Gemeinderat Kraus kritisierte einen Grundstücksverkauf der Gemeinde an die Familie der ÖVP-Vizebürgermeisterin. Die Familie möchte auf ihrem Grund eine zweite Wohneinheit plus Garage schaffen – und wollte daher ihr Grundstück vergrößern. Der Gemeinderat bewilligte den Kauf, Kraus stimmte dagegen. “Hätten andere Bürger das auch bekommen?”, fragt er.


ÖVP-Bürgermeister Martin Frühwirth weist am Telefon jeden Vorwurf zurück. “Wir bemühen uns immer um Lösungen, egal für wen.” Kraus suggeriere zu Unrecht, “dass wir beim Grundstück etwas Illegales legitimieren würden”. Kraus sagt, er werfe der Gemeinde “nichts Illegales” vor, nur eine schiefe Optik.


ÖVP-Dominanz

Auch bei weniger brisanten Themen sind sich der Schwarze und der Rote nicht grün. Kraus sagt im Wahlkampf, erst auf sein Betreiben sei der Fußballplatz des Heimvereins UFC Arbesbach mit dem nun bewährten LED-Flutlicht ausgestattet worden. Frühwirth erinnert sich anders: Die LED-Idee sei “in der Diskussion entstanden”.


In einem SPÖ-Folder im A3-Format präsentiert Kraus seine Forderungen: einen günstigeren Kindergartenbus, eine Untersuchung des Badeteichs wegen wuchernder Schlingpflanzen oder eben den Gehsteig, der wohl 100.000 Euro kosten würde. Er hat aber auch Ideen für neue Einnahmen, etwa eine Schranke mit Bezahlsystem für den Campingplatz.


Nach der Wahl wünscht sich Kraus einen Platz im Prüfungsausschuss. Selbst wenn die SPÖ dafür wieder zu wenige Mandate gewinnen sollte, könne “die ÖVP das freiwillig ermöglichen”. Bürgermeister Frühwirth: “Das kommt darauf an, wie wir miteinander arbeiten.” SPÖ-Gemeinderat Kraus sagt, er erkenne in dieser Ansage ein Beispiel für das “feudale Herrschaftsverständnis” der ÖVP im Bezirk Zwettl: “Die ÖVP sagt immer: Machen wir es gemeinsam! Gemeinsam heißt bei der ÖVP aber, das zu tun, was sie will. Wer eine andere Meinung hat, gilt als Querulant.”

Ein Mann mit weißem Vollbart unterhält sich mit einem jüngeren Mann mit Kopftattoo bei Tee und Weihnachtskeksen
SPÖ-Veteran Paul Richter bespricht in Kautzen mit seinem einzigen roten Verbündeten, dem Busfahrer Jürgen Jungwirth, die Lage der Sozialdemokratie. Sie hoffen auf zwei bis drei Mandate, auch wenn der dritte Sitz leerbliebe.
Lukas Kapeller

Nachwuchsprobleme

Die Übermacht der ÖVP im nördlichen Niederösterreich führt dazu, dass die Volkspartei in kleinen Gemeinden meistens stark bleibt und die Reserven der SPÖ sich verbrauchen. In seiner Rolle als Zwettler Bezirksparteiobmann fand Kraus in den zwei Gemeinden Altmelon und Schönbach niemanden mehr, der auf einer SPÖ-Liste stehen wollte. Auch in Waldkirchen im Bezirk Waidhofen/Thaya gibt es keine SPÖ mehr. Ruft man in solchen Gemeinden an, erzählen die altgedienten Genossen oft, sie seien nun zu alt und verbrächten ihre Zeit lieber im Pensionistenverband, mit Reisen oder beim Kegeln. Junge kommen kaum nach.


In manchen Kommunen, wo es die SPÖ bei den Gemeinderatswahlen 2020 nicht mehr gab, kämpft die Partei aber auch um ein Comeback. In Gerersdorf bei St. Pölten haben wieder drei Rote zu einer Liste zusammengefunden. Auch in Kautzen im Bezirk Waidhofen/Thaya hat sich ein Duo gefunden, wobei der Listenzweite, der pensionierte Malermeister Paul Richter, schon 84 Jahre alt ist. “Ich finde die Idee der Sozialdemokratie nach wie vor brauchbar”, erklärt Richter, warum er in seinem Alter noch einmal kandidiert.


Kein Rückenwind

Richtigen Rückenwind aus der Bundespolitik bekommen SPÖ-Gemeindepolitiker auch schon lange nicht mehr. Hinzu komme das rote Personalproblem, sagt Herbert Kraus unverblümt: “Bei uns im Waldviertel gibt es nur die Landjugend. Die ist zwar überparteilich, aber dort sucht sich die ÖVP die G’scheitesten raus. Das werden dann ihre Gemeinderäte und Bürgermeister.” Im Süden von Wien habe die SPÖ mit der Sozialistischen Jugend und der Jungen Generation noch Personalpools, im Norden Niederösterreichs kaum.

Die spätbarocke, gelb getünchte Pfarrkirche mit Zwiebelturm im verschneiten Arbesbach
In Arbesbach ist die Welt ziemlich in Ordnung, auch wenn vor kurzem in der Kirche der Beichtstuhl brannte.
Lukas Kapeller

Videos aus dem Wohnzimmer

Trotzdem muss es weitergehen, auch an diesem Sonntag, zwei Wochen vor der Wahl. Im Wohnzimmer spannt Herbert Kraus mit seiner Frau Elisabeth eine Videowand auf. Kraus dreht regelmäßig Videos für Facebook und Youtube. Gemeinsam bauen Herbert und Elisabeth Kraus ein Stativ und eine Rundleuchte auf. Der Gemeinderat streift sein Poloshirt glatt, und die Gattin beginnt zu filmen. Dann rattert er sein Wahlprogramm runter, von der Sozialpolitik bis zum Gehsteig.


Wenn man Kraus fragt, warum er für die SPÖ allein auf weiter Flur läuft, spricht er zunächst von den sozialdemokratischen Werten. Dann von seiner Zeit als junger Gewichtheber, dem nichts zu schwer war. Irgendwann sagt er aber einfach: “Man muss schon ein bissl einen Schuss haben.” (Lukas Kapeller, 25.1.2025)


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