Österreich begeht mit Kundgebung auf Heldenplatz und Diskussion im Parlament Holocaust-Gedenktag
Am internationalen Holocaust-Gedenktag, dem 27. Jänner, wird vielerorts der Opfer des Nazi-Regimes gedacht. Die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, des größten Komplexes an Gefangenenlagern der Nationalsozialisten, jährt sich heuer zum 80. Mal. Mehr als eine Million Menschen wurden dort ermordet, bevor die Rote Armee am 27. Jänner 1945 das Lager befreite. Das KZ gilt als “Synonym für die industrielle Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden” und “nimmt daher eine herausragende Stellung in der Erinnerung an den Holocaust ein”, wie die Plattform Erinnern:AT festhält.
In der Gedenkstätte bei der polnischen Stadt Oświęcim findet am Montag ein Gedenkakt mit rund 60 Staats- und Regierungschefs sowie EU-Spitzenvertretern statt. Aus Österreich reisen Bundespräsident Alexander Van der Bellen an sowie Susanne Raab, Ministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien, die Interimskanzler und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) vertritt.
Der österreichischen Delegation gehören zudem laut Präsidentschaftskanzlei Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Hannah Lessing (Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus), Barbara Glück (Direktorin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen), Andreas Kranebitter (Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes) sowie Emmerich Gärtner-Horvath (Beiratsvorsitzender der Volksgruppe der Roma) an.
Veranstaltung im Parlament
Auch in Österreich selbst finden an diesem Tag regelmäßig Veranstaltungen statt. Außerdem erinnert Österreich jährlich am 5. Mai mit dem “Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus” an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen am 5. Mai 1945 sowie am 9. November stets an die sogenannten Novemberpogrome.
Zunächst stand hierzulande am Montagnachmittag im Parlament eine Diskussionsveranstaltung mit der Zeitzeugin Erika Freeman auf dem Programm. Nach einer Lesung und einem Gespräch mit Danielle Spera beantwortete die 97-jährige Freeman Fragen von Schülerinnen und Schüler, die eigens eingeladen worden waren. Dass auch Nationalratspräsident Walter Rosenkranz von der FPÖ teilnahm, hatte vorab für Unmut gesorgt.
Rosenkranz werde nicht das Wort ergreifen, hieß es zuvor, er hatte gemeinsam mit dem Zweiten Nationalratspräsidenten Peter Haubner (ÖVP), der Dritten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) und Bundesratspräsidentin Andrea Eder-Gitschthaler (ÖVP) dazu eingeladen. Dennoch hatten die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) und der Verein Gedenkdienst alle Nationalratsabgeordneten dazu aufgerufen, die Veranstaltung zu boykottieren.
Kein Boykott von SPÖ, Grünen und Neos
Die explizit angesprochenen Parteien, nämlich SPÖ, Grüne und Neos, kündigten auf STANDARD-Nachfrage noch vor Beginn der Diskussion im Parlament an, dieser nicht fernbleiben zu wollen. Die SPÖ führte als Grund an, dass die Holocaust-Gedenkveranstaltung “wichtig” sei, außerdem sei diese überparteilich, und es sei vonseiten des gesamten Präsidiums des Nationalrats sowie der Bundesrats-Präsidentin dazu eingeladen worden. Deshalb würden SPÖ-Abgeordnete “wie jedes Jahr daran teilnehmen – auch aus Respekt gegenüber der Holocaust-Überlebenden Erika Freemann und den Schüler:innen, die die diesjährige Veranstaltung gestalten”. Auch bei der abendlichen Gedenkveranstaltung würden SPÖ-Mandatare, darunter die stellvertretende Klubvorsitzende Eva-Maria Holzleitner oder die Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz,”selbstverständlich” dabei sein.
Auch von grüner Seite erklärte man vorab: Die Kritik an Walter Rosenkranz “ist gerechtfertigt”, die Grünen hätten diese selbst auch immer wieder geäußert und den Nationalratspräsidenten als einzige Fraktion geschlossen nicht gewählt. “Aber wir lassen uns von ihm nicht das Parlament als Ort des Gedenkens wegnehmen”, sagte Lukas Hammer, Sprecher der Grünen für Gedenkpolitik.
Die Neos folgten dem Boykottaufruf ebenso wenig. Es sei “erschreckend, mit welcher Leichtigkeit und ignoranten Geschichtsvergessenheit heutzutage bisweilen mit dem Holocaust umgegangen wird: am Stammtisch, im Internet, aber auch auf der politischen Bühne”, erklärte die stellvertretende Klubobfrau der Neos, Stephanie Krisper. Und weiter: Umso wichtiger sei es, jungen Menschen zu vermitteln, “dass der Holocaust nicht erst mit dem Bau des ersten Lagergebäudes in Auschwitz begonnen hat, sondern mit der Verrohung und Ignoranz der Menschen, mit dem Erstarken von Feindbildern und dem Berufen auf einen kollektiven Volkswillen. Darum geht es heute, und um das Gedenken an die Opfer”, so Krisper.
Kundgebung auf Heldenplatz
JöH-Präsident Alon Ishay hatte Rosenkranz zuvor in einer Aussendung als “rechtsextrem” bezeichnet und diesem vorgeworfen, “verurteilten Naziverbrechern” gehuldigt zu haben – mit Rosenkranz könne es kein Gedenken an den Holocaust geben: “Wir werden kein Feigenblatt für die FPÖ sein.” Auch der Verein Gedenkdienst hatte per Aussendung wissen lassen, man sehe “keine Möglichkeit darin, Seite an Seite mit Walter Rosenkranz” der Opfer des Holocaust zu gedenken. “Damals wie heute pflegt die FPÖ eine revisionistische Erinnerungskultur und einen problematischen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.” Beide hatten deshalb an die Politik appelliert, sich stattdessen der für Montagabend anberaumten Kundgebung der Plattform “Jetzt Zeichen setzen” anzuschließen.
“80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus stehen wir möglicherweise vor der ersten rechtsextrem geführten Regierung der Zweiten Republik. Dabei ist klar, dass es nicht nur um jene Partei gehen kann, die die Grenzen des Sagbaren an den rechten Rand getrieben hat. Vielmehr wird es für die Zukunft der österreichischen Demokratie zur Notwendigkeit, die Hintergründe und Ursachen zu erfragen, welche derartige Ideologien des Hasses wieder zu einer breiten Anschlussfähigkeit zurückfinden ließen”, stand in dem Aufruf zur Kundgebung.
Diese fand am Montag ab 18 Uhr auf dem Heldenplatz statt. Dabei wurde einerseits der in der Shoa getöteten Jüdinnen und Juden sowie Roma und Sinti gedacht. Andererseits richtete sie sich gegen eine FPÖ-geführte Regierung. Veranstaltet wurde sie von dem Bündnis “Jetzt Zeichen setzen”. Vor laut Angaben der Veranstalter 1.500 Besuchern meinte die Vizepräsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Claudia Prutscher, dass man die Gefahr zwar gesehen, aber wohl doch unterschätzt habe. Zu sehr habe man den Versprechungen der Parteien geglaubt, Kickl nicht zum Bundeskanzler zu machen.
Geschichte-Schulbuch als Protest übergeben
Nun müsse man einen “mehr als sorgenvollen Blick zum Bundeskanzleramt” werfen, meinte Prutscher: “Unsere Sorgen sind größer als je zuvor.” Auch Lia Guttmann von den Jüdischen österreichischen HochschülerInnen sah wütend in Richtung ÖVP. Wenn Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) einen täglichen Kampf gegen den Antisemitismus ankündige, die Volkspartei aber Kickl zum Kanzler machen wolle, werde auf die nicht-vorhandenen Gräber ihrer Großeltern gespuckt.
JöH und Verein Gedenkdienst übergaben zudem am Montagvormittag als Zeichen des Protests gegen die geplante blau-schwarze Regierung dem ÖVP-Bundesvorstand vor seinem Büro ein Geschichte-Schulbuch, das sich speziell mit der NS-Zeit befasst. Sie werfen der Volkspartei “offensichtliche Erinnerungslücken” vor: “Zur eigenen Geschichtsvergessenheit um Lueger, Dollfuß und Waldheim” komme nunmehr “die gefährliche Unterstützung des ersten rechtsextremen Bundeskanzlers hinzu”, hielten sie in einer gemeinsamen Aussendung fest. Alon Ishay darin: “Alle Lippenbekenntnisse gegen Antisemitismus und jede Mahnung an die Vergangenheit sind wertlos, wenn die offenbar geschichtsvergessene Volkspartei im gleichen Atemzug die historische Gefahr an die Spitze der Republik setzt.”
Van der Bellens Videobotschaft
Die Israelitische Kultusgemeinde hat in den vergangenen Monaten scharf kritisiert, dass mit Rosenkranz ein Freiheitlicher und Burschenschafter an der Spitze des Nationalrats steht. So wurde der Nationalratspräsident etwa von der JöH daran gehindert, mit einer Kranzniederlegung auf dem Judenplatz der Opfer der Novemberpogrome zu gedenken, nachdem er zuvor von der IKG explizit nicht zur Veranstaltung bei der Shoah-Namensmauer eingeladen worden war.
Bundespräsident Van der Bellen erinnerte in einer Montagfrüh veröffentlichten Videobotschaft “an unsere Pflicht, dass diese Verbrechen niemals wieder geschehen”. Antisemitismus und Hass hätten in Österreich “keinen Platz”. Die Bedrohung und Beschimpfung jüdischer Menschen dürfe nicht hingenommen werden. Man müsse aber auch “wachsam bleiben, wenn antidemokratische Kräfte erwachen”: “Erst dann werden wir dem ‘Niemals wieder’ auch gerecht. Wir müssen unsere liberale Demokratie pflegen und stärken”, sagte der Präsident.
Kanzler betont Österreichs Verantwortung
Auch Interims-Bundeskanzler Schallenberg betonte zu diesem Anlass Österreichs Verantwortung für die NS-Verbrechen: “Lange Zeit hat Österreich sich davor gescheut, sich dem dunkelsten Kapitel seiner eigenen Geschichte zu stellen”, erklärte Schallenberg. “Aber heute stellen wir uns dieser Verantwortung”, und: Die Verantwortung beziehe sich nicht bloß auf die Vergangenheit, sondern bedeute “ein aktives Handeln im Jetzt und in der Zukunft”. (giu, APA, 27.1.2025)
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