Die Regierung will die Sozialhilfe für Asylwerber kürzen. Ist das zulässig?
Koalitionäre Pläne
Flüchtlinge sollen drei Jahre warten müssen, ehe sie die volle Leistung erhalten. Doch das verstoße gegen EU- und Verfassungsrecht, sagt der Experte Walter Pfeil. Die Arbeiterkammer sieht eine “extreme Verschlechterung” für armutsgefährdete Familien

Die Regierung schreibt um den heißen Brei herum. Technisch klingt jene Passage, die sich um die Sozialhilfe dreht. Ihre Zielgruppe nennen die Autoren des Koalitionspakts nicht beim Namen. Doch wer mit Verhandlern spricht, erfährt: Es geht um Kürzungen speziell für Asylberechtigte.
Das Konzept läuft auf eine “Wartefrist” hinaus, wie sie die ÖVP oft verlangt hat: Arbeitsfähige Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte sollen während einer bis zu drei Jahre dauernden “Integrationsphase” keine Sozialhilfe mehr erhalten, sondern lediglich eine “Integrationsbeihilfe”. Die Höhe der Leistung könnte sich laut Programm nach der Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts richten, die Teilnehmern an Kursen des Arbeitsmarktservice zusteht. Einzelpersonen erhielten somit etwa 950 statt 1209 Euro pro Monat.
Zusätzlich soll ein Förderprogramm für “Arbeit und Deutscherwerb” greifen, um die Betroffenen möglichst vor Ablauf der Dreijahresfrist in Jobs zu bringen. Doch die Details sind noch lange nicht ausverhandelt – und vor den Koalitionären bauen sich rechtliche Hürden auf. Denn der Verfassungsgerichtshof hat in der Vergangenheit bereits verschiedene Versuche von Bund und Ländern ausgehebelt, Asylberechtigte in Form einer Wartefrist oder anderer Benachteiligungen schlechterzustellen.
Selektiver Einschnitt
Walter Pfeil, Sozialrechtsexperte und Mitarchitekt der einstigen Mindestsicherung, hält auch den neuen Versuch für untauglich. Würde die Regierung für sämtliche arbeitsfähigen Betroffenen niedrigere Leistungen vorsehen, um stärker zum Einstieg ins Arbeitsleben zu motivieren, ließe sich das vor den Höchstgerichten wohl sachlich begründen, sagt Pfeil. Doch die selektive Kürzung liefe erst recht wieder auf eine verfassungswidrige Wartefrist hinaus und widerspräche überdies EU-Recht. Dieses sehe vor, dass Asylberechtigte die gleiche Leistung wie österreichische Staatsangehörige erhalten müssten: “Eine Regelung wie im Regierungsprogramm skizziert wird wohl vor dem Europäischen Gerichtshof nicht halten.”
Rechtliche Zweifel hegt Pfeil auch an einem anderen Plan. Im Programm ist im Fall von arbeitsfähigen Personen von einem einheitlichen Zuschlag für Kinder die Schreibe, “analog” zum Zuschlag beim Arbeitslosengeld. Letzterer beträgt 0,97 Euro pro Kind und Tag, also etwa 30 Euro im Monat. Will sich die Regierung wirklich an dieses Niveau halten, würde das für die betroffenen Familien massive Einschnitte bedeuten: Wien zahlt als Zuschlag derzeit 326 Euro pro Kind und Monat aus, auch das schwarz-blaue Oberösterreich gewährt noch 145 Euro pro Monat, um die Beträge dann mit jedem weiteren Kind abschmelzen zu lassen.
Ein solch niedriges Niveau werde vor dem VfGH nicht halten, meint Pfeil und erinnert an ein früheres Erkenntnis aus dem Jahr 2019: Damals hielten die Höchstrichter bereits einen Betrag von etwa 50 Euro pro Kind und Monat für unsachlich. Der tatsächliche Lebensbedarf sei mit einer derart niedrigen Leistung nicht zu decken.
Arme getroffen
Allerdings ist das Programm auch hier unkonkret. Denn eine Zeile später steht, dass ebendiese Familienzuschläge erhöht werden sollten. Wo sich ÖVP, SPÖ und Neos treffen, wird Verhandlungssache sein.
Die Arbeiterkammer, der mit Finanzminister Markus Marterbauer, Sozialministerin Korinna Schumann und Staatssekretärin Michaela Schmidt gleich mehrere Regierungsmitglieder nahestehen, erwartet in ihrer Analyse des Programms eine “extreme Verschlechterung für armutsbetroffene Familien”. Schließlich will die Regierung künftig offenbar generell auch die Familienbeihilfe auf die Sozialhilfe anrechnen; bisher gab es diese Leistung extra noch einmal obendrauf. Ob die Anrechnung voll oder nur teilweise geschehen soll, ist nicht ausgeführt.
Wie das mit dem an anderer Stelle genannten Ziel zusammenpasst, die Kinderarmut zu halbieren? Auf Betreiben der SPÖ findet sich eine aus Sach- und Geldleistungen bestehende Kindergrundsicherung im Programm wieder. Doch wie die Arbeiterkammer feststellt, fällt diese Ankündigung reichlich vage aus: “Es bleibt unklar, inwieweit diese die Sozialhilfekürzungen ausgleichen wird.” (Gerald John, 4.3.2025)
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