Vizekanzler Babler: “Auch ich bin für einen Stopp irregulärer Migration”

Vizekanzler Andreas Babler ist künftig auch für ein buntes Bündel an Agenden verantwortlich: Kunst und Kultur, Wohnen, Medien sowie Sport.
Helena Lea Manhartsberger

Gerade noch saß Andreas Babler auf der Regierungsbank im Parlament. Es ist Freitag, jener Tag, an dem die erste Dreierkoalition Österreichs ihre Regierungserklärung abgegeben hat. Babler, der frühere Parteirebell und unerwartete SPÖ-Chef, ist jetzt Vizekanzler. Er läuft aus dem Sitzungssaal direkt in das Gustav-Klimt-Zimmer für ein erstes Interview im neuen Amt. Die Zeit drängt, in 25 Minuten muss er zum nächsten Termin.


STANDARD: Ihre Gegner sagen, jetzt ist ein Marxist zum Vizekanzler aufgestiegen. Empfinden Sie das als Beleidigung oder Kompliment?


Babler: Ich möchte mich gar nicht damit beschäftigen, was da vonseiten der FPÖ an seichten Wortmeldungen kommt. Ich mache Politik, damit sich das Leben von Menschen verbessert. Punkt.


STANDARD: Die Sozialistische Jugend, aus der Sie kommen, lehnt Ihre Koalition mit der ÖVP ab. Was hätte der frühere Parteirebell Babler zum Koalitionsprogramm gesagt?


Babler: Ich wäre früher natürlich auch kritisch gewesen – so wie es jetzt die Sozialistische Jugend ist. Aber als SPÖ haben wir im entsprechenden Gremium mit 98 Prozent Zustimmung den Beschluss gefasst, mit diesem Programm in diese Koalition zu gehen. Da gab es bei uns noch weit mehr Zustimmung als bei den Neos.


STANDARD: Die Neos haben – anders als Sie – allerdings Ihre ganze Basis abstimmen lassen. Aber was hätten Sie vor ein paar Jahren noch an dem neuen Koalitionsprogramm kritisiert?


Babler: Puh, da müsste ich nachdenken. Fakt ist aber, dass es kein hundertprozentiges SPÖ-Programm ist. Es ist ein Kompromiss. Aber wir haben – etwa mit der Bankenabgabe oder dem Mietpreisstopp – auch wichtige sozialdemokratische Maßnahmen im Regierungsprogramm verankert.

“Aktuell ist es mit Regierungschef Viktor Orbán schwierig. Es wird aber auch eine Zeit nach Orbán geben”, sagt der Vizekanzler im STANDARD-Interview.
Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Seit der Angelobung am Montag hat bei Ihren Koalitionspartnern bereits ein Steuervorschlag Ihres Finanzministers für Aufregung gesorgt. Wenn das schon so losgeht: Wie lange geben Sie Schwarz-Rot-Pink?


Babler: Die Aufregung über den Vorschlag des Finanzministers war umsonst. Inzwischen haben wir Konsens gefunden. Ich bin guter Dinge, dass das auch in Zukunft funktioniert.


STANDARD: Sie waren am Donnerstag erstmals als Vizekanzler in Brüssel. 26 EU-Staaten – darunter Österreich – wollen die Ukraine intensiv unterstützen, Ungarn nicht. Ist Ungarn aus Ihrer Sicht ein wichtiger Partner für Österreich oder ein europäischer Paria?


Babler: Die Solidarität mit der Ukraine ist unverhandelbar. Und Ungarn ist da ein Problem. Grundsätzlich hat Österreich aufgrund der gemeinsamen Historie und der geografischen Nähe ja einen guten Zugang zu Ungarn. Aktuell ist es mit Regierungschef Viktor Orbán allerdings schwierig. Es wird aber auch eine Zeit nach Orbán geben, man darf die mittelfristige Perspektive nicht aus den Augen verlieren.


STANDARD: Die Bundesregierung will unterbinden, dass Asylberechtigte ihre Familien nach Österreich holen können. Angeblich ab sofort, aber die Verordnung lässt auf sich warten. Also: ab wann?


Babler: Die Praxis ist doch die, dass jetzt schon keine Anträge auf Familiennachzug bearbeitet werden. Es findet auch gerade schon kein Familiennachzug statt. Da wird sich durch die Verordnung nicht viel ändern.

Sollte es je ein neues Nationalstadion in Österreich geben, werde es jedenfalls nicht in Traiskirchen stehen, scherzt Andreas Babler.
Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Also wird bald etwas gestoppt, das ohnehin nicht stattfindet?


Babler: Na ja, es wird ausgesetzt. Das war der ÖVP ein großes Anliegen. Klar ist aber, dass wir uns zu einem Grundrecht auf Asyl bekennen und Menschenrechte natürlich nicht infrage stellen.


STANDARD: Experten gehen davon aus, dass ein Aussetzen des Familiennachzugs massiv gegen menschrechtliche Standards verstößt. Sie nicht?


Babler: Das werden wir sehen. Wir arbeiten an einer Kontingentlösung, die sich an den Ressourcen im Bildungs- und Sozialsystem orientieren soll.


STANDARD: Schwarz-Rot-Pink möchte außerdem einen Asylstopp per Notfallklausel verhängen, sollten wieder mehr Flüchtlinge kommen. Ab wie vielen Anträgen tritt dieser “Notfall” ein – oder besteht er bereits?


Babler: Es geht darum, dass wir es jetzt schaffen, dass Asylanträge an den europäischen Außengrenzen bearbeitet werden. Es gehören auch andere Länder wie eben zum Beispiel Ungarn endlich in die Pflicht genommen – dadurch wird Österreich entlastet. Auch ich bin für einen Stopp irregulärer Migration und dafür, dass sie in Zukunft auf “null” kommt.

Lediglich für einen kleinen Kaffee hatte der Neo-Vizekanzler Zeit – zwischen Interview und seinem nächsten Termin.
Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Nach dem islamistischen Attentat in Villach kündigte Gerhard Karner “anlasslose Massenkontrollen” von Geflüchteten an. Stehen Sie hinter der Idee des ÖVP-Innenministers?


Babler: Ich will keine einzelnen Ideen bewerten, von denen nichts im Regierungsprogramm steht.


STANDARD: All diesen Vorhaben ist eines gemein: Sie zielen auf Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund ab. Hat Österreich ein Problem mit jungen Männern aus Syrien und Afghanistan?


Babler: Wir setzen diesbezüglich jetzt viele Maßnahmen, die Problemen entgegenwirken. Durch das Integrationsjahr stellen wir verpflichtende Integration sicher – unter der Androhung von Sanktionen. Da geht es um Deutscherwerb, Wertevermittlung und alles, was an Rüstzeug notwendig ist. Auf der anderen Seite sollen Gefährder künftig besser überwacht werden – auch die Chatüberwachung von Terroristen wird kommen.


STANDARD: Sie sind jetzt auch für Kunst und Kultur zuständig. Bekannt ist, dass Sie Falco und Austropop lieben, gerne Menasse lesen. Werden Sie kommendes Jahr auf den Opernball gehen?


Babler: Ja, ich war schon vor meiner Zeit als Vizekanzler und SPÖ-Chef auf Festspieleröffnungen in Bregenz, habe dort meine Opern konsumiert. Ich bin auch in der Populärkultur unterwegs und habe in der Schriftstellerszene Freunde.

Vom Marxismus-Vorwurf möchte sich Babler nicht beirren lassen: “Ich mache Politik, damit sich das Leben von Menschen verbessert. Punkt.”
Helena Lea Manhartsberger

STANDARD: Aber früher haben Sie gegen den Opernball demonstriert?


Babler: Natürlich habe ich das.


STANDARD: Eine schnelle Entscheidungsfrage: Kino oder Burgtheater?


Babler: Beides. Kino gern mit meiner Tochter.


STANDARD: Medienminister sind Sie ebenfalls. Die ÖVP wollte im Herbst noch FM4 und ORF 3 das Geld kürzen, im Regierungsprogramm steht, dass der ORF “schlanker” werden müsse. Werden unter Ihnen alle ORF-Angebote erhalten bleiben?


Babler: Es ist mein Ziel, einen politisch unabhängigen ORF in all seiner Breite zu garantieren, insbesondere was das ORF-Radio und FM4 anbelangt. FM4 war der Kulturschatz meiner Generation. Die österreichischen Bands, die wir heute alle kennen – ob Wanda oder Bilderbuch –, sind allesamt durch FM4 groß geworden.


STANDARD: An Sie als Sportminister: Wird ein neues Nationalstadion gebaut? Und wo?


Babler: Es wird jedenfalls nicht in Traiskirchen gebaut! Scherz beiseite. Ich muss mich da erst einarbeiten, und dieses Projekt steht unter Budgetvorbehalt.

“Es ist mein Ziel, einen politisch unabhängigen ORF in all seiner Breite zu garantieren. FM4 war der Kulturschatz meiner Generation.”

STANDARD: Im Bereich Wohnen konnten Sie eine Mietpreisbremse für gewisse Mieterinnen und Mieter bereits durchsetzen. Wann wird das Vorhaben auf Neubaumieten ausgedehnt?


Babler: Wir arbeiten seit Tag eins an einer Gesetzesvorlage. Zum ersten Mal werden wir in den ungeregelten Bereich – also Neubaumieten – eingreifen und die Teuerung bei Mieten für immer bekämpfen. Ab 1. April profitieren mit dem Mietpreisstopp einmal über eine Million Haushalte in Altbau-, Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. In einem nächsten Schritt wollen wir in wirklich alle Wohnmieten eingreifen. Ich kann dazusagen: Das wird auch für Geschäftsraummieten gelten.


STANDARD: Nachdem wir kaum noch Zeit haben, noch eine schnelle Entscheidungsfrage: Gemeindebau oder Eigentum?


Babler: Es soll beides geben. Wichtig ist mir leistbarer Wohnraum.

STANDARD: Vielleicht legen Sie sich wenigstens bei der letzten Entweder-oder-Frage fest: Christian Stocker oder Hans Peter Doskozil?


Babler: Ich bin jetzt mit Christian Stocker sehr eng abgestimmt. Und ich glaube, ich werde mit ihm in den nächsten Monaten mehr zu tun haben als mit Hans Peter Doskozil. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 7.3.2025)


>read more at © Der Standard

Views: 0