Linke und rechte Hand: Kann es zwischen Marterbauer und Hattmansdorfer klappen?

Noch vor ein paar Wochen schienen die Positionen in gegnerischen Lagern einzementiert. Der eine pries die eben fixierten Budgetpläne von FPÖ und ÖVP als Beweis finanzpolitischer Stärke und Handlungsfähigkeit, der andere holte per Video auf X zum argumentativen Gegenschlag aus: Das Sparpaket koste Arbeitsplätze, belaste die Falschen. Kurzum: Für die Zukunft sei Schlimmes zu befürchten.
Jetzt, da die Dreierkoalition ihre Chance doch noch genutzt hat, stehen die beiden plötzlich auf derselben Seite – und das an entscheidender Stelle. Ob Österreich gut aus Budgetminus und Wirtschaftsflaute herauskommt, wird maßgeblich an Wolfgang Hattmannsdorfer und Markus Marterbauer liegen.
Zwei Newcomer
Die zwei Newcomer führen jene Ressorts, für die das Etikett “Schlüsselministerien” keine Übertreibung ist. Das Finanzministerium unter Marterbauer ist für die Sanierung des tief ins Minus gerutschten Budgets verantwortlich. Ohne Gesetzesvorlagen von seiner Seite wird es kein Sparpaket, keine der für später geplanten Steuerentlastungen und Abgabenreformen geben. Außerdem wachen die Hüter des Staatshaushaltes über die Ausgabendisziplin der anderen Ressorts, jede größere Investition bedarf einer Genehmigung. Auch wenn Streitfragen letztlich auf dem Verhandlungstisch der Koalitionäre landen: Indem er Anliegen großzügig oder knausrig behandelt, stellt der Finanzminister Weichen.
Hattmannsdorfer verliert im Wirtschaftsressort zwar die Zuständigkeit für den Arbeitsmarkt, die sich die sozialdemokratischen Gewerkschafter für die Ausstattung des Sozialministeriums, ihrer zurückeroberten Erbpacht, nicht nehmen lassen wollten. Doch die Entschädigung fiel üppig aus. Als “Standortminister” zog Hattmannsdorfer die Energieagenden aus dem bisherigen grünen Klimaministerium an sich. Dazu kam die Kompetenz für Staatsholding Öbag – etwa OMV, Post, Verbund und Telekom.
Die Vorzeichen für ein Zusammenspiel der beiden Politiker scheinen auf den ersten Blick nicht günstig, zu ungleich wirkt das Paar. Der Wirtschaftsminister gilt in der ÖVP als kommender Mann, in der SPÖ aber auch als einer jener, die mit ihrer Halsstarrigkeit beim ersten Verhandlungsanlauf einem blau-schwarzen Experiment den Weg geebnet hätten. Der Finanzminister wieder ist eine Art Traumbesetzung linker Sozialdemokraten – und wurde darob in einigen Leitartikeln zur personifizierten Provokation für ÖVP und Neos erklärt.
Kann das in der Regierung gutgehen?
Wer Gemeinsamkeiten sucht, landet rasch bei den Biografien. Sowohl Hattmannsdorfer als auch Marterbauer stammen aus Oberösterreich, wobei Letzterer einen Umweg über den hohen Norden nahm. Geboren ist Marterbauer in Uppsala in Schweden, wohin es die Eltern – der Vater Schlosser, die Mutter Schneiderin – auf der Suche nach höheren Löhnen verschlagen hatte.
Obergrenze für Vermögen
Obwohl der heute 60-Jährige dort nur die erste Lebenszeit verbrachte und zum Schuleinstieg bereits wieder ins heimatliche Laakirchen zurückgekehrt war, blieb der skandinavische Wohlfahrtsstaat bis heute eine – um es im Jargon des Volkswirtschaftlers auszudrücken – “wichtige Referenzfolie”.
Den “neoliberalen Anti-Etatismus” kritisiert der auf der Wirtschaftsuniversität, im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und zuletzt in der Arbeiterkammer (AK) geformte Neo-Politiker konsequent – und ruft stattdessen nach einem Ausbau öffentlicher Leistungen, von der Pflege über die Schulen bis zum Wohnbau. Das Geld dafür möchte er bei den Wohlhabenden holen, wobei es mit Steuern nicht getan sein soll. Im Buch Angst und Angstmacherei plädiert Marterbauer gemeinsam mit Koautor Martin Schürz, Vermögensforscher an der Nationalbank, für eine Obergrenze für Vermögen. Andernfalls – so die These – drohe die wachsende Konzentration von Reichtum und damit Einfluss in wenigen Händen die Demokratie auszuhebeln.
Politik als Managementaufgabe
Wie Marterbauer begann auch Hattmannsdorfer in der Schule, sich für Politik zu interessieren. Doch statt beim Verband sozialistischer Studentinnen und Studenten dockte er während seiner Jahre an der Uni bei der Jungen ÖVP an. Bei Wahlkämpfen jobbte der gebürtige Linzer als Fahrer für die Partei. Der Job wurde zum Sprungbrett, als er im Wahlkampf 1999 den Dienstwagen Michael Strugls, damals Wahlkampfmanager des späteren Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel, fuhr.
Strugl, der heute den Energiekonzern Verbund führt, förderte Hattmannsdorfer in der oberösterreichischen Volkspartei. Dieser wurde erst Gemeinderat in Linz, dann Landesrat für Arbeit und Integration unter schwarz-blauen Vorzeichen. Die Kür zum Generalsekretär der Wirtschaftskammer im heurigen Jänner wurde zum letzten Markstein auf Hattmannsdorfers Weg ins Wirtschaftsministerium.
Während Marterbauer keine Scheu zeigt, sich selbst als Linken zu bezeichnen, lässt sich Hattmannsdorfer ungern weltanschaulich einordnen. Lieber definiert er sich als “Pragmatiker”, der Politik als Managementaufgabe versteht. Theorien, so klug sie auch sein mögen, überlebten oftmals nicht den Zusammenprall mit der Realität, lautet sein Credo.
Die SPÖ, konstatiert er, beschäftige sich zu viel damit, wie man Geld ausgeben könne. Erst einmal müsse es in einem Land darum gehen, wie es verdient werden könne. Die “Vollkasko-Mentalität” in Österreich müsse zurückgedrängt werden, es brauche mehr Eigenverantwortung. Dass das mitunter auch der eigenen Klientel wehtut: geschenkt.

Absehbare Konflikte
Heruntergebrochen auf die gemeinsame Regierungsarbeit ist da mancher Konflikt angelegt. Der ÖVP-Wirtschaftsminister drängt etwa auf eine Senkung der Lohnnebenkosten, weil eine solche Entlastung die heimischen Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger mache. Die aktuelle Krise der Industrie habe ganz andere Gründe als die heimischen Arbeitskosten, hält ihm sein rotes Gegenüber entgegen – und stellt die Frage: Wer finanziert den Sozialstaat, wenn die Beiträge der Arbeitgeber massiv sinken sollen?
Stoff für Kontroversen bergen auch Überlegungen, die Sozialhilfe zu kürzen. Als Landesrat hat sich Hattmannsdorfer, der sich selbst als “Vertreter der Leistungsbereiten und Fleißigen” sieht, auf diesem Feld bereits profiliert. Einschnitte seien nötig, um mehr Anreiz für die Arbeitssuche und – auf Asylberechtigte gemünzt – fürs Deutschlernen zu schaffen, meinte er. Die ÖVP und er seien nicht “die harten Hunde”, die so etwas allein “aus Jux und Tollerei” täten.
Marterbauer kann mit derlei nichts anfangen. Nicht die ohnehin unter der Armutsgefährdungsschwelle liegenden Sozialleistungen seien das Problem, sondern die zu niedrigen Löhne: In manchen Berufen verdienten Beschäftigte weniger, als in anderen Branchen bereits Lehrlinge bekämen.
Hoffnung auf Kooperation
Doch trotz dieser Widersprüche: Es gibt in der Koalition durchaus Akteure, die an eine funktionierende Achse glauben. Das Paar könnte sich gut verstehen, sagt ein Sozialdemokrat, der beide kennt. Gemeinsamer Nenner sei das prinzipielle Verständnis, dass das Wohl der Industrie zentrale Bedeutung habe.
Für Hattmannsdorfer umfasst dies vor allem das Ziel, Energie zu verbilligen. Statt auf “Aktionismus” zu setzen, wie das die Grünen in der Regierung getan hätten, müsse Österreich die eigene Energieversorgung stärker diversifizieren. Ein kategorisches Nein zu Importen von russischem Gas, das derzeit ja nur deshalb nicht durch die Pipelines fließt, weil die Ukraine nichts mehr durchleitet, hört man von Hattmannsdorfer nicht.
Wie sich Marterbauer und die SPÖ als Regierungspartei in dieser Frage konkret positionieren, wird sich zeigen. Die Arbeiterkammer hat sehr wohl auch die Abkehr vom Gas propagiert. Dennoch ist es keine kühne Annahme, dass sich die ÖVP in diesen Fragen mit den roten Partnern, für die sichere Industriejobs und stabile Preise im Vordergrund stehen, leichter tun wird als mit den Grünen.
Näher, als es scheint
Auch in der Budgetpolitik zeichnen sich Schnittmengen ab. Als Anhänger des legendären britischen Ökonomen John Maynard Keynes hält Marterbauer einen harten Sparkurs mitten in einer Krise zwar für fatal, weil dies die Konjunktur nur weiter ersticken würde. Doch das Ziel der Budgetkonsolidierung teilt er sehr wohl. Denn sonst würden die steigenden Zinsen auf Schulden den Handlungsspielraum des Staates wegfressen.
Umgekehrt ist Hattmannsdorfer, studierter Betriebswirt, kein Gegner von Keynes: Der Idee einer kontrazyklischen Politik, die in der Krise mehr ausgibt, um die Wirtschaft nicht sterben zu lassen, kann er etwas abgewinnen – wenn auch mit der Anmerkung, dass die Voraussetzung dafür, nämlich Sparsamkeit in guten Zeiten, in Österreich nie erfüllt worden sei.
Es wäre generell falsch, Hattmannsdorfer zum neoliberalen Hardliner zu erklären, der den Staat radikal zusammenkürzen will. Zur DNA der ÖVP gehört nun einmal auch, über die von ihr kontrollierten Ministerien die Interessen der für sie wichtigen Gruppen zu vertreten. Das sind Unternehmer, die Industrie, Selbstständige und natürlich die Bauern. In vielen Fällen heißt das: Geld verteilen. Da hat der Kampf gegen die angebliche “Volkasko-Mentalität” seine Grenzen.
Silvia Angelo glaubt ebenfalls, dass das Paar gut funktionieren könnte. Den neuen ÖVP-Minister kennt die ÖBB-Managerin, die selbst als Finanzministerin gehandelt wurde, zwar nur aus den Medien, Marterbauer dafür umso besser aus gemeinsamen AK-Zeiten. Was sie nun über ihn in manchen Zeitungen gelesen habe, sei ihr so vorgekommen, “als wäre von einem ganz anderen Menschen die Rede”.
Marterbauer als “faktenorientierter Mensch”
Man müsse nicht mit ihm einer Meinung sein, um festzustellen: Marterbauer sei gerade kein verbohrter Ideologe, sondern “ein faktenorientierter Mensch”, der keine Diskussion verweigere, sagt Angelo: “Er frisst niemanden, er fährt über niemanden drüber. Und ich kenne kaum jemanden, der so uneitel ist.”
“Er tritt auf, wie es sich für einen Linken gehört”, sagt Ferdinand Lacina, der nicht zuletzt wegen seiner unprätentiösen Art das erklärte Vorbild Marterbauers ist. Der nunmehr 82-jährige Lacina war nicht nur selbst lange Zeit Finanzminister, sondern davor ebenfalls Chefökonom der Arbeiterkammer. In dieser sozialpartnerschaftlichen Schule, sagt er, habe auch Marterbauer die Argumente der Gegenseite verstehen gelernt.
Man könnte dies als Lobhudelei von Gesinnungsgenossen abtun – wenn nicht manche Einschätzung von schwarzer Seite ähnlich ausfiele. Er habe Marterbauer als jemanden kennengelernt, der zuhören könne, sagt ein hoher, ÖVP-affiner Ministeriumsbeamte, der wirtschaftspolitisch einen ganz anderen Standpunkt einnimmt: “Er ist pragmatisch und akzeptiert Fakten auch dann, wenn sie von der Gegenseite kommen.” Da sich die Belegschaft des Ressorts ebenfalls in erster Linie der Sache verpflichtet fühle, dürfe der neue Minister Wohlwollen erwarten. Die parteipolitische Instrumentalisierung, wie sie in der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz passierte, sei vielen ein Graus gewesen.
Es warten große Schwierigkeiten
Auch Hattmannsdorfer gilt als jemand, der mit vielen gut kann. Er macht zwar kein Geheimnis daraus, dass er so wie im heimatlichen Oberösterreich gern mit der FPÖ regiert hätte, hatte als Landesrat aber auch einen Draht zu AK und zur Gewerkschaft. Seine Politik fiel durchaus ambivalent aus. Neben den Kürzungen der Sozialhilfe etwa stieß er auch innovative Integrationsprojekte wie ein Förderprogramm an, um Syrer bereits als Asylwerber am Arbeitsmarkt Fuß fassen zu lassen.
Hilfreich ist vermutlich auch: Hattmannsdorfer sah sich nie als Türkiser im Sog der Kurz-Truppe, sondern immer als Schwarzer.
An Herausforderungen für das Duo mangelt es nicht: Die Industrie schwächelt, heimischen Betrieben machen hohe Energie- und Lohnkosten zu schaffen. Die Konsumenten haben wenig Vertrauen, sodass sie ihr Geld lieber wegsparen. Eine Industriestrategie soll erst ausgearbeitet werden, doch für große Projekte fehlt das Geld. Auch die von der SPÖ widerwillig akzeptierte Senkung der Lohnnebenkosten ab 2027 wird nur dann erfolgen, wenn sich die Budgetlage bessert.
Erste Probe
Verdüstern sich die Wachstumsaussichten weiter, wird sich die Politik fragen müssen, ob sie nicht ein aktiveres, aber auch teureres Programm fahren sollte – so wie das Deutschland mit einem großen Investitionspaket versuchen will. Das müssten sich SPÖ und ÖVP mit Hattmannsdorfer und Marterbauer an vorderster Front aber erst ausstreiten.
Die erste Probe aufs Exempel gab es bereits. Aus Marterbauers Haus war der Vorschlag für eine neue Energiesteuer gekommen. Bei Vertretern der Energiewirtschaft kam die Idee ebenso wenig an wie bei ÖVP und Neos. Damit war die Steuer auch schon wieder passé. Das Geld wird nun auf andere Weise lukriert.
Manche Beobachter werten dies als ersten Konflikt in der Koalition. Doch man kann derlei auch als gewöhnlichen Vorgang sehen: Es gab unterschiedliche Ansichten – letztlich aber einen der oft geforderten Kompromisse. (Gerald John, András Szigetvari, 8.3.2025)
>read more at © Der Standard
Views: 1