Neos-Kandidatinnen Emmerling und Arapović: “23 Bezirke sind zu viel”

“Wir müssen bei der Bildung an einem Strang ziehen”, sagt Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling. Klubchefin Selma Arapović wirbt für Geduld: “In dem Bereich legt man nicht einen Schalter um und bumm, alles ist anders.”
Foto: Heribert Corn

Die Wände im Büro von Selma Arapović sind kahl. Über der braunen Ledercouch stehen Haken aus der Wand – dort hingen bis vor einem Monat die Bilder von Bettina Emmerling. Doch als die Bundesregierung und mit ihr Christoph Wiederkehr als Bildungsminister angelobt wurden, begann auch im Rathaus das Sesselrücken. Emmerling wechselte ins Stadtratsbüro, Arapović zog in das Zimmer der pinken Klubchefin und rückte auf Platz eins der Neos-Wahlliste.


STANDARD: Frau Arapović, Sie müssen an vorderster Front wahlkämpfen, Vizebürgermeisterin will im Fall von Rot-Pink II Bettina Emmerling werden. Ist das fair?


Arapović: Ja. Wir haben uns das so ausgemacht. Ich bin Klubvorsitzende. Wir wollen die Periode gut zu Ende bringen, wir arbeiten auch bis zum Schluss. Es ist gut, wenn man sich die Aufgabe zu zweit aufteilen kann. Im Wahlkampf ist viel zu tun.


STANDARD: Bleiben Sie Klubchefin?


Arapović: Es ist ein herausfordernder und spannender Job, der sehr politisch ist. Wer nach der Wahl diese Funktion hat, muss der Klub entscheiden.


STANDARD: Landessprecher ist Wiederkehr. Wird eine von Ihnen diesen Job übernehmen?


Emmerling: Er hat nicht angekündigt, dass er sich zurückziehen will. Für zweieinhalb Jahre ist er noch gewählt und auch als Bildungsminister eine wichtige Stütze für uns.


Arapović: Wir beide sind ja auch im Landesteam. Darum sind wir in alle Entscheidungen eingebunden.

STANDARD: Wollen Sie im Fall von Rot-Pink II das Bildungsressort besetzen?


Emmerling: Wir stellen Bildung über alles, stellen nun auch den Bildungsminister. Daher ergibt es Sinn. Wir müssen bei der Bildung alle an einem Strang ziehen. Also ja: Bildung ist unsere erste Wahl.


STANDARD: Dennoch ist die Bilanz Ihres Vorgängers Wiederkehr hier sehr ernüchternd. Es selbst sagte, dass sich die Situation im Bildungsbereich in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert habe. Was lief schief?


Emmerling: In dem Bereich wurden jahrzehntelang Reformen verschlafen. Da schafft man in ein paar Jahren keine komplette Trendumkehr. Die Herausforderungen sind massiv gewachsen – Corona, der Angriffskrieg in der Ukraine, die Familienzusammenführung. Trotzdem ist bei der Bildung so viel gelungen wie nie zuvor. Es gibt jetzt Gratismittagessen für alle Schulkinder in Tagesbetreuung, Unterstützungspersonal, ein Jobticket für Lehrende, Sprachförderkräfte im Kindergarten …

Zusätzlich zum zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr, das von der Bundesregierung angestrebt wird, brauche es weitere Maßnahmen, sagen die beiden Neos-Politikerinnen. Zum Beispiel: gut ausbildete Sprachförderkräfte und mehr Anwesenheitspflicht.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Trotzdem: Fast die Hälfte der Taferlklassler in Wien spricht nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Ein großer Teil dieser Kinder war vorher zwei Jahre im Kindergarten. Reicht das zweite verpflichtende Kindergartenjahr, das Schwarz-Rot-Pink im Bund anstrebt?


Emmerling: Es ist ein Baustein, wird aber nicht reichen. Mein Ziel ist, dass jeder Kindergarten eine Sprachförderkraft hat. In den nächsten Wochen startet in Wien etwa wieder ein Lehrgang, aus dem 50 Kräfte herauskommen werden. Man muss aber auch den Sommer nutzen, damit Kinder die Ferien nicht ohne deutschsprachiges Umfeld erleben. Es braucht verpflichtende Sprachkurse in den Ferien, für die Kinder, die das wirklich nötig haben.


Arapović: Wir wollen auch die Anwesenheitspflicht im Kindergarten auf 30 Stunden pro Woche erhöhen, damit Kinder der Sprache intensiver ausgesetzt sind. Und es ist wichtig, dass die Förderkräfte die Sprache selbst gut beherrschen. Kinder sind lernfähig. Sie brauchen ein Umfeld, das sie unterstützt.


STANDARD: Wann werden alle Kinder in Wien bei Schuleintritt ausreichend Deutsch sprechen?


Emmerling: Ich könnte Ihnen, wie die ÖVP das macht, einen Plan vorlegen, mit dem angeblich jedes Kind bis zur Pubertät Deutsch kann. Es wäre aber ein leeres Versprechen. Man kann das nicht gewährleisten oder garantieren. Die Politik kann aber jedenfalls den Rahmen schaffen für eine bessere Förderung und klarmachen: Es geht um die Chancen der Kinder.


STANDARD: Migration ist auch im Wien-Wahlkampf das große Thema: Wie soll Wien mit dem starken Zuzug umgehen?


Arapović: Wir wollen fördern und fordern. Das heißt: zum einen die Bedingungen schaffen, damit Integration gelingt und es Unterstützung dabei gibt. Und zum anderen gesellschaftliche Teilhabe einfordern; klare Regeln aufsetzen, nach denen wir zusammenleben. Machen wollen wir das mit einem Wiener Integrationsgesetz.


STANDARD: Das auch Sanktionsmöglichkeiten beinhalten soll?


Arapović: Man muss sich überlegen, was da auf Landesebene möglich ist.

STANDARD: Wien übererfüllt als einziges Bundesland die Aufnahmequote für Flüchtlinge. FPÖ und ÖVP kritisieren, dass Wien für diese Menschen wegen der Mindestsicherung hier ein Magnet sei. Braucht es eine Anpassung?


Emmerling: Als Erstes brauchen wir eine Residenzpflicht. Wien kann nicht allein die Integrationslast ganz Österreichs tragen. Die Mindestsicherung mag ein Faktor dafür sein, wohin Leute gehen – aber sie ist einer unter vielen. Die Leute kommen auch nach Wien, weil es hier Möglichkeiten und Unterstützung zur Integration gibt. Die Bundesländer müssen da nachziehen.


STANDARD: Eine Residenzpflicht wäre im Bund zu regeln. Wien könnte auch selbst Änderungen beschließen, etwa die von Ihnen verlangten vermehrten Sachleistungen oder auch Kürzungen. Warum hat sich da bisher nichts getan?


Emmerling: Weil unsere Position ist, dass eine bundeseinheitliche Lösung nötig ist. Die Mindestsicherung ist ein soziales Netz, das jene auffangen soll, die es brauchen. Aber es muss auch Arbeitsanreize geben. Wenn in Mehrkindfamilien mit der Mindestsicherung mehr Einkommen herauskommt als mit einem Erwerbsgehalt, erzeugt das Unverständnis. Da muss man hinschauen.


Arapović: Was würden Kürzungen in Wien ohne bundeseinheitliche Regelung denn bringen? Würde man die Mindestsicherung in Wien herabsetzen, würde sich das auf andere Länder auswirken. Oberösterreich oder Tirol etwa könnten weiter kürzen.

“Wir brauchen keine 23 Bezirksvorsteher plus Stellvertretungen”, finden Selma Arapović und Bettina Emmerling. Dass sich das leicht sagt, wenn man wie die Neos selbst keinen derartigen Posten besetzt, sehen sie als “gewisse Freiheit”.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Grünen, vor Ihnen kleiner Partner der SPÖ, haben sich mit der verkehrsberuhigten Mariahilfer Straße in Wien verewigt. Bei den Neos fehlt ein solch sichtbares Symbol ihrer Politik. Was haben Sie da verpasst?


Arapović: Gar nichts. Das ist unsere Art und Weise, Politik zu machen. Wir haben uns der Bildung verschrieben, da legt man nicht einfach einen Schalter um und bumm, alles ist anders. Eine Mariahilfer Straße ist schön und gut. Wir haben ganz viele Projekte zu Klimaschutz und zur Klimawandelanpassung umgesetzt: 100 Kilometer Radwege wurden auf den Weg gebracht, ein Klimagesetz beschlossen …


Emmerling: Aber ein gutes Marketingprojekt wie die Mariahilfer Straße zählt anscheinend so viel mehr.


STANDARD: Wäre es nicht Ihre Aufgabe, klarer zu machen, was der Anteil der Neos an der Koalition war? Waren Sie gegenüber der SPÖ zu artig?


Arapović: Das will ich gar nicht so sehen.


Emmerling: Wir sind nicht immer laut, aber wirksam. Setzt man sich ehrlich mit den vergangenen fünf Jahren auseinander, sieht man das. Wenn man, wie die Grünen, eine Sache aus zehn Jahren Regierung so aufbläst, als wäre das die Weltveränderung, dann gilt man offenbar als erfolgreicher.

“Wir sind nicht immer laut, aber wirksam.”
Bettina Emmerling, Vizebürgermeisterin (Neos)

STANDARD: Es heißt, die SPÖ habe die Neos erst kurz vor Verkündung des 27. April als vorverlegten Wahltermin über das genaue Datum informiert. Geht man so in einer fairen Koalition auf Augenhöhe miteinander um?


Emmerling: Die Vorverlegung stand schon länger im Raum, wir haben sie jeweils intern diskutiert. Die Tage vor der Regierungsklausur haben wir uns mit der Frage des Datums beschäftigt, der dann festgelegt wurde. Für den früheren Wahltermin waren wir immer: Es sah damals wirklich sehr nach einem Kanzler Kickl aus. In dieser volatilen Situation wollten wir in Wien keinen Wahlkampf bis zum Herbst.


STANDARD: Dieses Narrativ hat auch der Bürgermeister schon oft bemüht. De facto kommt Ihnen der Termin wohl auch jetzt noch einfach zupass. Sparmaßnahmen, die die Neos im Bund mitbeschließen, greifen im April noch nicht voll.


Arapović: Das war nicht einkalkulierbar. Die Wählerinnen und Wähler können erahnen, dass schwierige Zeiten auf uns zukommen. Es ist, wie es ist.

STANDARD: Auch die Stadt muss sparen. Die Schulden der Stadt erhöhen sich, sie könnten bis Jahresende auf 15,7 Milliarden? Euro steigen. Wo muss Wien kürzertreten?


Arapović: In der Politik. Wir brauchen keine 23 Bezirksvorsteher plus Stellvertretungen. 23 Bezirke sind zu viel. Auch bei den nicht amtsführenden Stadträtinnen könnte man sparen. Oder: Die Parteienförderung kann halbiert werden.


STANDARD: Wenn man in keinem Bezirk regiert, geht die Forderung nach einer Zusammenlegung leicht über die Lippen …


Arapović: Ja. Das ist eine gewisse Freiheit, die wir haben.


STANDARD: Wo gibt es noch Sparpotenzial in der Stadt?


Arapović: Man kann sich konkrete Projekte anschauen. Etwa: Muss beim Bau eines Radwegs unbedingt das Niveau baulich angehoben werden, oder kann er auch anders von der Fahrbahn getrennt werden?


STANDARD: Sie wollen am Ring eine Fahrspur in einen Rad-Highway umbauen. Stadträtin Ulli Sima von der SPÖ schafft aber bereits Tatsachen, indem sie die Nebenfahrbahnen umplanen lässt. Bleibt Ihnen wieder nur die Rolle als Beiwagerl?


Arapović: Der Ring-Radweg ist ein Thema für Koalitionsverhandlungen. Planungen müssen schließlich auch von den Ausschüssen und dem Gemeinderat freigegeben werden. Da muss man mit einer klaren Vision hineingehen. Wenn wir etwas mitzureden haben, dann werden wir da auch mitreden. (Oona Kroisleitner, Stefanie Rachbauer, 10.4.2025)


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