Gewessler will Grünen-Chefin werden: “Wir sparen uns die Zukunft weg”

Leonore Gewessler will die Grünen anführen. Um sich besser verständlich zu machen, brauche es eine klarere Sprache. “Wir haben zu wenig darauf gehört, was sich die Menschen von uns erwarten”, sagt sie.
Foto: Heribert Corn

Leonore Gewessler, ehemals Klimaschutzministerin, will grüne Parteichefin werden. Das gab sie diese Woche bekannt. Sie wird für die Funktion der grünen Bundessprecherin beim Bundeskongress im Juni kandidieren. Im Gespräch mit dem STANDARD umreißt sie, was unter ihrer Führung anders werden wird.


STANDARD: Grüne Themen haben aktuell nicht unbedingt Konjunktur, alles ist überschattet von Krieg und Zöllen. Wie kann es Ihnen denn gelingen, den Umweltschutz wieder in den Vordergrund zu rücken?


Gewessler: Die Grünen sind eine Klima- und Umweltschutzpartei, das haben wir in unserer DNA. Und wir sind die Einzigen, die sich darum kümmern, wenn man sich anschaut, was diese Regierung alles zusammenkürzt. Aber in diesen Zeiten erwarten sich die Menschen neue Antworten in vielen anderen Bereichen, zum Beispiel Sicherheit: Wir haben Krieg in Europa und einen amerikanischen Präsidenten, der offenbar mit Verachtung auf diesen Kontinent schaut.


STANDARD: Das heißt, der Klimaschutz rückt für die Grünen in den Hintergrund?


Gewessler: Die Menschen können sich beim Klimaschutz auf uns und mich verlassen. Aber ich möchte eine grüne Partei haben, zu der die Menschen kommen, weil sie wissen, dass sie sich auch auf uns verlassen können, wenn sie auf dem Land einen Kindergartenplatz brauchen oder Angst um ihren Arbeitsplatz haben.

Video: Gewessler will als Grünen-Chefin “neue Antworten auf neue Probleme” geben
APA/kha, Thumbnail: Reuters/Leonhard Foeger

STANDARD: Im Themenbereich Asyl und Migration hat man aber den Eindruck, dass die Grünen nur sehr defensiv kommunizieren.


Gewessler: Ich nehme mich nicht aus, wenn ich sage, dass wir Grüne in den letzten Jahren im Strudel des Regierens auch Fehler gemacht haben. Wir haben zu wenig darauf gehört, was sich die Menschen von uns erwarten. Und sie dürfen sich eine deutliche und klare Sprache erwarten, wenn es darum geht, dass man sich auf unseren Straßen sicher fühlen muss oder dass islamistische Hassprediger hier keinen Platz haben.


STANDARD: Das heißt, dass Sie zum Beispiel der Messenger-Überwachung zustimmen?


Gewessler: Wir werden uns diesen Vorschlag der Bundesregierung gut anschauen. Natürlich ist es wichtig, terroristische Aktivitäten zeitgemäß zu überwachen, Massenüberwachung hingegen macht keinen Sinn. Einen akuten Handlungsbedarf haben wir bei den großen Plattformen wie Tiktok, wo die Radikalisierung bis ins Kinderzimmer geht.


STANDARD: Sollen diese Plattformen verboten werden?


Gewessler: Nein, aber sie sollen ernsthaft kontrolliert und bei Verstößen auch bestraft werden. Wenn die Hasspredigten, die dort publiziert werden, im Morgenradio laufen würden, wäre Feuer am Dach, und die Polizei würde sofort vor der Tür stehen. Wir haben mit dem Digital Services Act auf europäischer Ebene ein Instrument, um Strafen zu verhängen, die wehtun – das muss aber auch umgesetzt werden.

Leonore Gewessler bleibt dabei, dass der Lobautunnel verkehrspolitisch die schlechteste aller Alternativen wäre. Es könne durchaus sein, dass sie auch auf der Baustelle demonstrieren würde.
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STANDARD: Legen die Grünen jetzt in Migrationsfragen einen schärferen Kurs ein?


Gewessler: Wir werden zuhören, was sich die Menschen von uns erwarten. Grüne Grundprinzipien sind Ordnung und Menschlichkeit. Das wird sich mit mir nicht ändern. Aber wir werden eine deutlichere Sprache finden.


STANDARD: Was die anderen Parteien im Wiener Wahlkampf plakatieren, die Grünen nicht: Sollen Kinder Deutsch sprechen können müssen, wenn sie die Schule besuchen?


Gewessler: Ja, die Sprache zu können ist eine Grundvoraussetzung für gute Integration und die Basis, um überhaupt zu lernen. Wenn man in Österreich eine Schule besucht, muss man Deutsch sprechen können. Die Kinder und Lehrerinnen brauchen Unterstützung, damit das funktioniert.


STANDARD: Wäre das Nein zum Lobautunnel Koalitionsbedingung für eine Wiener Stadtregierung?


Gewessler: Dieses Projekt ist vollkommen aus der Zeit gefallen und wirklich die verkehrspolitisch schlechteste aller Alternativen – und da wissen wir viele Wienerinnen und Wiener an unserer Seite.


STANDARD: Ihr Nachfolger Peter Hanke möchte das Projekt nun prüfen. Sie kommen aus einer aktivistischen Umweltorganisation, würden Sie Baustellen besetzen oder sich dort anketten, wenn die Bagger anfahren?


Gewessler: Ich habe nicht verstanden, was Minister Hanke prüfen will, es liegen hunderte Seiten Berichte vor: Es gibt günstigere, gescheitere und umweltfreundlichere Alternativen. Dass Sie mich einmal protestieren sehen, ist nicht ausgeschlossen.


STANDARD: Aber ignorieren Sie damit nicht die Lebensrealitäten von Menschen, die mobil sein wollen, auch mit dem Auto?


Gewessler: Es ist völlig klar, die Menschen müssen mobil sein können und in die Arbeit, die Schule oder in den Urlaub kommen. Das wollen wir gut und gescheit gewährleisten. Eine weitere Straße allein hat noch nie irgendein Problem gelöst – das hat nur dazu geführt, dass man auf einer weiteren Straße im Stau gestanden ist.

Für das enorme Budgetdefizit hätte Leonore Gewessler gerne noch eine Erklärung vom damaligen Finanzminister Magnus Brunner.
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STANDARD: Der Klimabonus aus Ihrer Regierungszeit wird jetzt abgeschafft – ist das angesichts dessen, dass es eine Gießkannenförderung war und nicht gerade sozial treffsicher, nicht legitim?


Gewessler: Der Familie im Waldviertel, die aufs Auto angewiesen ist, hat jetzt einen Tausender im Jahr weniger, aber die italienischen Frächter subventionieren wir weiter. Was daran sozial treffsicher sein soll, muss die Bundesregierung einmal erklären. Ja, man kann beim Klimabonus schauen, wie man ihn weiterentwickelt. Aber ihn ganz zu streichen heißt einfach, dass wir auf Kosten derjenigen kürzen, die keine Alternative haben, weil die niederösterreichische Verkehrspolitik eben lieber Straßen baut, als sinnvolle Öffi-Projekte zu unterstützen.


STANDARD: Wir stehen vor einem riesigen Budgetloch. Haben die Grünen daran angesichts Förderungen für Heizungstäusche oder Mehrwertsteuersenkungen für PV-Anlagen eine Mitschuld?


Gewessler: Der Finanzminister war von der ÖVP, er hieß Magnus Brunner. Und mit dem hatten wir ein Maastricht-konformes Budget beschlossen.


STANDARD: Aber es ist dann aus dem Ruder gelaufen.

“Der Klimaschutz wird von der Regierung als Ausrede für das Defizit benutzt.”

Gewessler: Ja, und da hätte ich auch gerne eine Erklärung vom ehemaligen Finanzminister. Ich stehe dazu, dass wir Menschen dabei unterstützt haben, auf günstigere heimische Energie umzusteigen, um ihnen das Leben einfacher zu machen. Der Klima- und Umweltschutz wird von der Regierung als Ausrede für das Defizit benutzt. Aber wir sparen uns so die Zukunft weg.


STANDARD: Woran wird man merken, dass Sie an der grünen Spitze sind und nicht mehr Werner Kogler?


Gewessler: Zuerst einmal: Ich kandidiere erst beim Bundeskongress.


STANDARD: Es könnte sein, dass Sie gewählt werden.


Gewessler: Ja, aber das entscheiden die Delegierten. Ich habe wirklich großen Respekt und Hochachtung vor Werner Kogler. Für mich kann ich sagen: Ich habe nicht gut genug zugehört, wenn Leute mir gesagt haben: “Mir wird das gerade zu viel.”


STANDARD: Die Grünen sind stark in den Städten und schwach auf dem Land. Was können Sie machen, um die Bevölkerung auf dem Land besser abzuholen?


Gewessler: Gute Politik funktioniert nicht nur im Hörsaal, sondern auch im Wirtshaus oder am Spielplatz. Da geht es zum Beispiel um Frauenpolitik. Wenn eine junge Mutter zu mir kommt und mir erzählt, sie würde gerne mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, aber das Gefühl hat, dass sie sich dafür bei mir rechtfertigen muss, weil das nicht meinem Bild einer modernen Frau entspricht – dann läuft etwas falsch. Es läuft aber auch etwas falsch, wenn die Frau auf dem Land eigentlich gerne arbeiten würde, aber es dort immer noch Kindergartenöffnungszeiten wie in den 70ern gibt und erwartet wird, dass die Frau zum Mittagessenkochen daheim ist.

STANDARD: In Ihrer Pressekonferenz haben Sie gesagt, Sie würden nicht primär “Debatten über Pronomen oder Identität” führen wollen. Haben das die Grünen zu viel gemacht?


Gewessler: Die Grünen werden immer eine Partei von Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Feminismus sein, das wird sich nicht ändern, aber ich würde mich gerne auf wesentliche Fragen konzentrieren.


STANDARD: Also nicht auf Bäume und Bäuminnen?


Gewessler: Nein, darum ging es nie. Uns geht um die wesentlichen Fragen, die wir soeben besprochen haben. Zum Beispiel: Wie organisieren wir ein Arbeits- und Familienleben. (Michael Völker, Maximilian Werner, 11.4.2025)


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