Nur keine Aufregung! Ein Blick hinter die Wahlkampf-Strategie von Stadtchef Ludwig

Der Bürgermeister als Aushilfszuckerbäcker: Wohlfühltermine wie diesen gibt es einige. TV-Duelle mit den Kontrahenten sind hingegen nicht geplant.
Helena Lea Manhartsberger

Vom dunkelblauen Anzug ist nichts mehr zu sehen. Nur die rot und hellblau gestreifte Krawatte blitzt noch unter dem schneeweißen Mantel hervor. Auf dem Kopf trägt Michael Ludwig eine weiße Konditormütze. Die ist so hoch, dass er auf dem Weg in die Backstube fast den Türrahmen streift. Im Raum hängt der Duft von Ostergebäck, aus dem Radio schmettern die Backstreet Boys gerade “Tell me why”.

Sag mir, warum. Das könnte man sich angesichts der schrägen Situation tatsächlich fragen. Aber es ist eben Wahlkampf. Und der führt dazu, dass sich Wiens Bürgermeister Ludwig Ende März um neun Uhr früh beim Betriebsbesuch der k. u. k. Hofzuckerbäckerei Heiner in Simmering bereitwillig in Weiß kleiden und in die Herstellung des Plundergebäcks namens “Bürgermeister” einschulen lässt.


Ludwig ist interessiert, er schäkert mit den Angestellten, rollt den Bürgermeisterteig zu einer undefinierbaren Form. “Etwas bunkert ist es geworden”, sagt Ludwig. Das ist wienerisch und bedeutet: etwas dick und gedrungen. Als Mitarbeiter Ludwig darauf hinweisen, dass er bei der Beigabe der geriebenen Haselnüsse etwas zu sparsam gewesen sei, lächelt der Stadtchef: “Wollen Sie meine Leistung konterkarieren?”


Ein Heimspiel in Simmering

Schauplatzwechsel. Nur knapp 15 Minuten später steht Ludwig – diesmal nur im dunkelblauen Anzug – in der Hauptwerkstätte der Wiener Linien in Simmering. Für Ludwig ist der Auftritt ein Heimspiel: Vor hunderten Mitarbeiterinnen und Lehrlingen der städtischen Verkehrsbetriebe streicht der Stadtchef die Leistungen des Personals und der Lehrlingsausbildung hervor. An Betriebsräte und Gewerkschafter verteilt er verbale Schulterklopfer: Diese hätten für Gehaltsabschlüsse gekämpft, “die auch für uns nicht einfach zu verdauen waren”, sagt Ludwig. Das klamme Wiener Budget? Bitte nur ein Randthema.


Nach der kurzen Rede bitten Lehrlinge den Bürgermeister um Selfies und sogar um Autogramme auf ihrem Blaumann. Mitarbeiter Kevin Heilmeier zeigt dem Stadtchef ein 13 Jahre altes Foto. Darauf zu sehen: der damals 18-Jährige, ein paar andere Personen – und Ludwig, damals noch Wohnbaustadtrat.

Heimspiel bei den Wiener Linien: Beim Betriebsbesuch der städtischen Verkehrsbetriebe wird Michael Ludwig für zahlreiche Fotos und Selfies umringt.
Helena Lea Manhartsberger

Termine im Stakkato

Ludwig habe ihnen 2012 eine Dankesmedaille überreicht, erzählt Heilmeier stolz. Weil er mitgeholfen habe, nach dem Ausbruch eines Brands in einem Gemeindebau Nachbarn gerade noch rechtzeitig zu warnen. “Und jetzt bin ich hier bei der Betriebsfeuerwehr”, sagt er. Natürlich gibt es ein aktuelles Foto mit Ludwig – diesmal als Bürgermeister. Bevor es zum nächsten Termin geht, isst Ludwig mit den Bediensteten noch eine Leberkässemmel vom selbst organisierten Buffet; auch eine Diskussion mit jungen Mitarbeitern über Schweißnähte ist noch drin.


Seit Wochen absolviert Ludwig neben seinen regulären Meetings als Bürgermeister im Stakkato Wahlkampfauftritte für die SPÖ. Die Arbeitstage sind sehr lang und intensiv, bis zur Wien-Wahl am 27. April geht es in diesem Tempo weiter. Veranstaltungen, wo es zu Reibungen kommen könnte, wich Ludwig, zumindest so gut es in einem Wahlkampf geht, bisher aus.


Geschwänzt hat er etwa die Eröffnung des “Steiermark-Frühlings” Ende März mit dutzenden Gastro-Standln und tausenden Gästen samt Polit-Prominenz auf dem Wiener Rathausplatz – dabei wurde der Bürgermeister von den Organisatoren des Festes im Vorfeld extra angekündigt. Es habe aus terminlichen Gründen nicht geklappt, hieß es aus Ludwigs Büro offiziell.


Hinter vorgehaltener Hand heißt es freilich aus SPÖ-Kreisen: Mit seinem Fernbleiben ging Ludwig vor allem auch Fotos mit dem freiheitlichen steirischen Landeshauptmann Mario Kunasek direkt vor dem Wiener Rathaus aus dem Weg. “Das geht sich im Wahlkampf nicht aus”, sagt einer aus dem SPÖ-Team. Bilder von Ludwig beim Steiermark-Fest gab es nur einen Tag später dann doch noch – da allerdings in Begleitung von Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP). Er lege “großen Wert auf gute partei- und bundesländerübergreifende Zusammenarbeit”, teilte Ludwig via Instagram mit.

Der Schmäh rennt beim Besuch des städtischen Unternehmens Wiener Netze. Michael Ludwig geht im Wahlkampf kein Risiko ein.
Helena Lea Manhartsberger

Keine TV-Duelle im ORF

Diesmal gibt es, anders als im durch die Corona-Pandemie geprägten Wien-Wahlkampf 2020, keine direkten TV-Duelle der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten im ORF. Dominik Nepp, Chef der Wiener FPÖ, machte in den vergangenen Tagen Ludwig dafür verantwortlich.


Ein öffentliches Aufeinandertreffen von Ludwig und Nepp im ORF gibt es erst bei der Elefantenrunde am 24. April, drei Tage vor der Wahl. Nepp hätte eine Konfrontation mit Ludwig auf offener Bühne durchaus früher haben können: Allerdings verzichtete der FPÖ-Chef auf eine Teilnahme an der Elefantenrunde des Stadtmagazins Falter Ende März.


Aufregung hat die Wiener SPÖ im Wahlkampf bisher bewusst vermieden. Auf den roten Plakaten und den zahlreichen Social-Media-Postings wird Ludwig als ruhiger, bedächtiger Macher inszeniert. Daneben finden sich klassische sozialdemokratische Botschaften: leistbarer Wohnraum, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Bildungschancen, sozialer Zusammenhalt. Ein Social-Media-Slogan lautet: “Es geht um die lebenswerteste Stadt.” Überraschungen? Zukunftsvisionen? Angriffige Kritik an den Vorschlägen der politischen Konkurrenz? Fehlanzeige.


Wahl-Spekulatius

Es hätte auch ganz anders kommen können. Mitte Jänner, als im Bund noch FPÖ und ÖVP über eine Regierungskoalition verhandelten, zog Ludwig kurzfristig den Termin für die Wien-Wahl vom Herbst auf Ende April vor. Das überraschte selbst einige Mitglieder des SPÖ-Stadtregierungsteams. Die Neos als Regierungspartner trugen die Entscheidung mit. In einem gemeinsamen Video mit dem damaligen Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr sprach Ludwig von einer “Zeitenwende”, die mit einem FPÖ-Kanzler Herbert Kickl drohe. Wien sei ein “Gegenmodell” für das, was gerade auf Bundesebene passiere. Wien versus Bund, SPÖ versus FPÖ: Diese Positionierung hat schon unter Ludwigs Vorgänger Michael Häupl mehrmals gut funktioniert.


Doch dieses Wahlkampfdrehbuch hat sich bekanntlich in Luft aufgelöst. Die Roten sind nun selbst Teil der Bundesregierung, da lässt sich Wien nicht mehr als Gegenpol und letztes Bollwerk inszenieren. Dass sich ÖVP, SPÖ und Neos im Bund doch noch gefunden haben, ist aber auch ein Verdienst von Ludwig: Der hatte sich innerhalb der Sozialdemokraten machtbewusst für eine Neuaufnahme der Verhandlungen starkgemacht und um eine Kooperation der “Parteien der politischen Mitte”, wie es Ludwig nannte, geworben.

Verkostet werden beim Getränkegroßhändler Del Fabro Kolarik in Simmering Weine und nichtalkoholische Getränke. Der Ingwer-Shot hat es dem Stadtchef angetan.
Helena Lea Manhartsberger

FPÖ als Reibebaum

Hat sich Ludwig mit der Vorverlegung des Wahltermins verspekuliert, wie manche meinen? Das lässt sich so nicht sagen. Die Freiheitlichen als politischer Reibebaum sind ihm – wenn auch nicht so stark wie gedacht – geblieben. Eine Koalition mit den Blauen schließt er weiter dezidiert aus. Erst vor wenigen Tagen donnerte Ludwig bei einem Wahlkampfevent, die FPÖ sei eine Partei, die man als rechtspopulistisch, “ich sag sogar rechtsextrem!”, einstufen müsse.


Was Ludwig ebenfalls in die Hände spielt: Noch sind die Auswirkungen des Sparpakets, das der Bund aufgrund der Budgetmisere schnüren muss, auch für Wienerinnen und Wiener nicht so spürbar, wie sie es wohl im Herbst sein werden.


Trotzdem brachte das Thema Budget Ludwig im Wahlkampf zumindest ein wenig in Erklärungsnot: Der Rekordschuldenberg der Stadt könnte Ende des Jahres mit 15,7 Milliarden Euro doppelt so hoch sein wie bei seinem Amtsantritt als Bürgermeister im Jahr 2018. Allein für heuer wird angesichts der schlechten Konjunktur ein Rekorddefizit von 3,8 Milliarden Euro prognostiziert.


Rekordverdächtiger Schuldenberg

Konkrete Ansagen, wo und wie in Wien künftig gespart werden muss, vermied Ludwig bisher tunlichst. Stattdessen verwies er lieber auf notwendige Investitionen und erinnerte an die großen Krisen der letzten Jahre: Corona, russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine, Teuerung, wirtschaftliche Rezession. Wien sei zudem von den Herausforderungen durch Asyl, Flucht und Migration besonders betroffen – Themen, die vor allem der FPÖ nützen.


Aber selbst wenn der Putz ein wenig bröckelt: Die Macht der SPÖ in der einzigen Millionenmetropole Österreichs scheint nicht gefährdet, jedenfalls nicht nach derzeitigem Stand. In aktuellen Umfragen zur Wien-Wahl wird Ludwigs SPÖ weiter stabil auf Platz eins ausgewiesen – mit überschaubaren Verlusten und einem Ergebnis knapp unter 40 Prozent. Ludwig bliebe damit Bürgermeister und könnte sich je nach Wahlausgang einen Juniorpartner aussuchen.


Die besten Chancen haben erneut die Neos, sofern sich ein bequemer Mandatsüberhang ausgeht. Bis zuletzt sprach Ludwig von einer “sehr gut funktionierenden Koalition”. Aber auch die ÖVP und Grüne rechnen sich Chancen aus. Ohnedies nicht als roter Partner infrage kommen die Freiheitlichen, auch wenn sich die FPÖ – von mageren sieben Prozent bei der Wahl 2020 nach dem Ibiza-Desaster ausgehend – mehr als verdreifachen und Zweiter werden dürfte.

Rote Wählermobilisierung

Die SPÖ, die seit 1945 den Stadtchef stellt, sträubt sich freilich vehement gegen die Erzählung, sie stünde als klarer Wahlsieger längst fest. Ludwig betont im Wahlkampf immer wieder, dass alle Regierenden in den Ländern bei den Wahlen in den letzten Jahren zwischen 3,5 und zehn Prozentpunkte verloren hätten. Daher sei das Ziel, an die 41,6 Prozent bei der Wien-Wahl im Corona-Jahr 2020 heranzukommen, überaus optimistisch.


Diese Argumentation soll zur Wählermobilisierung beitragen. Dabei kann Ludwig auf eine geeinte Wiener SPÖ zurückgreifen, die für ihn rennt. Das ist, nach der roten Kampfabstimmung um den Bürgermeistersessel gegen Andreas Schieder Anfang 2018, durchaus eine Leistung. Dennoch droht das historisch schlechteste SPÖ-Wahlergebnis, wenn die 39,15 Prozent Stimmenanteil bei der Wien-Wahl 1996 unterboten werden. Das will Ludwig auf alle Fälle vermeiden.


Deshalb kommt Wahlkampfunterstützung aus dem Bund gerade recht. Verkehrsminister Peter Hanke (SPÖ), vor kurzem noch Finanzstadtrat in Wien, kündigte an, die Grundlagen für eine verkehrsberuhigte Innenstadt mit Einfahrtsbeschränkungen und Kameraüberwachung zu schaffen. Die notwendige StVO-Novelle kann aber wohl erst Anfang kommenden Jahres in Kraft treten. Eine Inbetriebnahme der Kameras ist frühestens 2027 oder 2028 realistisch. Egal: Die Botschaft ist draußen. Und Ludwig darf sich freuen. (David Krutzler, 12.4.2025)


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