Die Kinder aus dem zehnten Hieb: Der Park als Bühne abseits der Jugendbanden

Wien-Wahl

Brutale Jugendliche dominieren die Schlagzeilen. Das stört viele Kids – weil der Stress auch sie trifft

Magdalena Mangl und Lisa Yaldiz kennen die Kids im Zehnten: “Niemand muss mit uns zu tun haben – aber das Angebot steht.”
Florian Sulzer für Der Standard

An der Wand im Jugendzentrum Sonnwendviertel im zehnten Wiener Bezirk picken selbstgezeichnete Poster der Helden aus der Animeserie Dragonball Z. In dem großen Raum gibt es Wuzel- und Tischtennistische, eine Playstation, dazu ein Café mit Kochmöglichkeiten; im Turnsaal der Schule nebenan können sich die Kids körperlich austoben. In einem schmalen Holzregal liegt ein Haufen bunter Knetbälle. Wenn ihnen das Reden schwerfällt, dann drücken die Jugendlichen darauf herum.


Einen Satz sagen aber die meisten hier sehr bestimmt und klar: “Wir sind nicht alle so wie die.”


“Die”, damit sind die Jugendbanden aus Favoriten gemeint, die seit einigen Monaten die Schlagzeilen mit brutalen Raubüberfällen, Messerattacken oder mutmaßlichen Vergewaltigungen dominieren – auch die des STANDARD. Es sind bedrückende Taten, die viele ratlos zurücklassen.

Es sind diese Fälle, die im Wiener Wahlkampf emotionalisieren. In der Politik werden sie oft mit rigiden Forderungen verknüpft: von einer “Zwangshaltung” der Kids in Jugend-WGs bis zur Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre ist die Rede. Die FPÖ nutzt das Thema Jugendkriminalität zudem massiv, um Abschiebungen zu fordern, weil viele der betroffenen Kids eine Flucht- und Migrationsgeschichte haben. Favoriten wird dabei als Problembezirk schlechthin stilisiert.


Das geht auch an den Jugendlichen im Sonnwendviertel nicht spurlos vorüber. “Das stört sie”, sagt Magdalena Mangl, pädagogische Bereichsleiterin des Vereins Wiener Jugendzentren. Weil sie sich mitgemeint fühlen. Wohl nicht ohne Grund: “Kaum sitzt eine männliche Jugendgruppe im Park und hört etwas zu laut Musik, wird angenommen, dass das gewaltbereite Burschen sind – und schon wird die Polizei gerufen.” Das hänge auch mit der negativen Berichterstattung zusammen, meint Mangl: “Die Leute reagieren viel schneller darauf.”

Oft geht es in Parks und Spielplätzen um kleinere Scharmützel. Etwa darum, wer gerade eher im Fußballkäfig zum Kicken kommt – und wer nicht.
Florian Sulzer für Der Standard

Ein Rundgang mit ihr und der Jugendarbeiterin Lisa Yaldiz führt durch das “neue” Sonnwendviertel. Innerhalb weniger Jahre entstanden hier Wohnungen für 13.000 Menschen. Das Areal ist fast so groß wie Eisenstadt, die Hauptstadt des Burgenlands. Nur Kinder und Jugendliche wurden bei der Planung zu wenig mitgedacht. In den wenigen Parks und im Fußballkäfig wird es deshalb enger. Das führt manchmal zu Scharmützeln, erzählen die beiden Pädagoginnen. Vor allem mit Anrainern, weil es auf dem schmalen Spielplatz zwischen den Wohnhäusern am Wochenende schon einmal lauter wird. Oder im Käfig, weil die Älteren das Fußballfeld besetzen, während den Kleinsten oft nur das Gitter rundherum als provisorisches Tor bleibt.


Ein Kick als Antrieb

An diesem Nachmittag kicken zwei Burschen einen Ball auf dem Asphalt hin und her, die Stimmung ist gut. Einer ruft nach jedem Schuss, nach jedem Trick laut: “Na do schau her!”


Kleinere Konflikte wegen der Lautstärke oder Rivalitäten beim Sport seien der Alltag, nicht die Jugendbanden, sagen Yaldiz und Mangl. Sie seien dann Vermittlerinnen. Das Wichtigste dabei: “Beziehungsarbeit”, meint Yaldiz.

Die passiert auf unterschiedliche Weise. Mit Sportturnieren im Park, Sprayaktionen – oder einem Nachbarschaftsfest. “Der öffentliche Raum ist für Jugendliche viel Bühne”, sagt Mangl. “Wenn du ihnen eine echte Bühne hinstellst und sie ihre ersten Raps performen können, ist das ihr schönster Tag im Leben.” Die Kids seien einfach oft überfordert. In ihrer Pubertät, aber auch damit, was sie jeden Tag auf Tiktok sehen: Gewalt, Krieg, Fake News oder Trends wie die “Tradwives”, die ein antiquiertes Frauenbild propagieren.


Yaldiz und Mangl hören zu, was die Kids bewegt, suchen mit ihnen nach Antworten. Burschen etwa fällt es oft am Kickertisch leichter, über Kränkungen zu reden oder zuzugeben, dass sie geweint haben. Und wenn das Reden doch schwerer fällt, liegen immer noch die Knetbälle im Regal. (Jan Michael Marchart, 13.4.2025)


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