Was die heimische Politik mit einer Parkbank zu tun hat
Setzen Sie sich!
Wie kann die österreichische Politik so wunderlich, die Hauptstadt aber die bestregierte der Welt sein? Über eine Theorie mit Parkbänken

Es gibt schöne Parks in meiner Heimatstadt Hamburg, und viele davon. Es ist eine grüne Stadt am Wasser. Wenn Sie einmal dort sind, was ich sehr empfehle, dann gehen Sie unbedingt in einen der Parks. Vom Eingang aus werden Sie irgendwo am Horizont eine Bank sehen. Die Entfernung muss danach gewählt sein, dass die Bank als lebensrettende Maßnahme für ältere Mitbürger dienen kann, die drohen, an einem Herzinfarkt zu sterben, wenn sie sich nicht endlich setzen können. Ansonsten sitzt man in Hamburg nicht.
Das war der erste Hinweis für mich, dass ich wirklich in einer anderen Welt bin, als ich zum ersten Mal nach Wien kam: In den Parks sind die Wege mit Bänken gesäumt. GESÄUMT! Es gibt nicht einfach doppelt, dreimal oder zehnmal so viel Sitzmöglichkeiten wie in meiner Heimatstadt. Es gibt tausendfach mehr Sitzplätze. Es fühlt sich an – und bitte kommen Sie näher, ich traue mich eigentlich nicht, das laut zu sagen -, es fühlt sich an, als ob es in Ordnung wäre, sich zu setzen.
In Hamburg machen wir das nicht. Wir sitzen nur, wenn es gar nicht anders geht, oder als eine Art Protest: In meinem Stadtteil St. Pauli “cornern” die jungen Menschen, das heißt, sie sitzen auf dem Randstein. Wo auch sonst, es gibt ja keine Bänke. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie ein Hamburger in einem Wiener Kaffeehaus sitzt und nicht fassen kann, dass er weder alle zehn Minuten etwas bestellen oder sofort wieder gehen muss, sondern dass er sitzen darf. Einfach so, ohne weiteren Grund. Sehen Sie es bildhaft vor sich? Ja, das bin ich. Seit ein paar Tagen lebe ich hier. In der Welthauptstadt des Sitzens.
#WienLiebe
Seit fast acht Jahren liebe ich eine Wienerin, was auch bedeutet, dass ich seit fast acht Jahren zumindest am Rande meiner Wahrnehmung mitbekomme, was in Wien und dem Rest von Österreich passiert. Und ich sage es offen: Vieles fand ich merkwürdig.
Da musste eine Präsidentenwahl wiederholt werden, weil die Briefumschläge nicht klebten. Ein aberwitzig junger, auf dem Papier wertkonservativer Kanzler hatte offenbar interne Machtkämpfe mit gekauften Gefälligkeitsumfragen in Zeitungen für sich entschieden. Die Grünen spalteten sich über sexuelles Fehlverhalten. Die Sozialdemokraten schafften es, einen falschen Vorsitzenden zu präsentieren, weil sie bei der Wahl in einer Excel-Tabelle verrutscht waren. Spitzenvertreter der heute stärksten Partei haben noch vor wenigen Jahren in einer bemerkenswert würdelosen Aktion vermeintlichen russischen Oligarchen gefühlt das halbe Land zum Kauf angeboten – und werden trotzdem wieder gewählt.
Ich kann das nicht erklären. Ich muss das auch nicht erklären, aber Sie können sich vorstellen, wie niedrig meine Erwartungen daran waren, wie es wohl in Wien zugeht. Ich dachte, die Menschen hier sitzen im Kaffeehaus, reden über Opern, und um sie herum bricht die Welt zusammen.
Und dann das. Die Straßen sind sauber. Die Bim fährt, pünktlich und oft und für einen Euro am Tag. Die Mieten sind bezahlbar (ich weiß, das fühlt sich für viele Wiener nicht so an, aber glauben Sie mir: Ich habe schon in Berlin, München und in Zürich gelebt, und selbst im Vergleich zum gerade noch erträglichen Hamburger Wohnungsmarkt ist Wien ein Mieterparadies).

Ich habe von den Freak-Verbrechen gegen Frauen gelesen, und ich möchte das nicht in irgendein Verhältnis setzen, aber ich habe auf der ganzen Welt eigentlich keine Stadt erlebt, die sich Tag und Nacht so sicher anfühlt wie Wien. Ich sitze hier – und hier darf man ja sitzen! – und frage mich: Wie kann es sein, dass in einem Land gleichzeitig Spitzenpolitiker Korruption als Betriebssystem verstehen und Wahlen vom Briefumschlag bis zur Auszählung offensichtliche Kompetenzgrenzen aufzeigen, und dann ist das Zentrum des Landes die bestregierte Stadt der Welt? Und das nicht erst seit neuestem, sondern – Stichwort Gemeindebau – seit mehr als hundert Jahren?
Um Menschen herum gebaut
Ja, ich höre es dauernd: Wien ist nicht Österreich, aber das halte ich mit meinem Blick von außen nicht für ganz richtig, denn ein gutes Drittel der Landesbevölkerung lebt im Großraum Wien. Natürlich ist Wien Österreich. Aber ich habe eine Theorie, was es unterscheidet vom Rest der Welt. Es sind die Bänke.
Ich komme aus einer Kaufmannsstadt. In Hamburg sitzt man nicht herum, weil man Geschäfte zu machen hat. Unser Weltkulturerbe, die Speicherstadt, ist das größte zusammenhängende Ensemble von Lagerhäusern der Welt. Lagerhäuser. Die Stadt wurde um Waren herum gebaut.
Wunderschön, erfolgreich, auch gut regiert. Aber Wien, die Weltstadt, dieses politische Weltzentrum, war immer zuerst Treffpunkt. Sie wurde um Menschen herum gebaut, und das hat ausgestrahlt auf alles und jeden hier. Schauen Sie sich um auf der Welt, es ist ein recht seltenes Konzept. Eine Stadt für Menschen. Ich glaube, das ist meine Stadt. (Michalis Pantelouris, 13.4.2025)
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