Wo wohnen schön und leistbar ist – und was die neue Regierung daraus lernen kann
Wenn ihr fad ist, klopft die achtjährige Emilia einfach nebenan an. “Kommt spielen”, sagt sie zu den Nachbarskindern. Dann treffen sie sich im Gang vor den Wohnungen, wo es neben Kinderfahrrädern und Wäscheständern Platz zum Radschlagen und Puppenspielen gibt. Insgesamt wohnen hier, am breiten Hausgang aufgefädelt, fünf alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern. Drei solche sogenannten Clusterwohnungen gibt es im neuen Stadtviertel Wolfganggasse in Wien-Meidling. Das bedeutet: Mehrere kleine Wohnungen teilen sich einen gemeinsamen, durch eine Wohnungstür abgesicherten Bereich, in dem die Kinder gefahrlos spielen und die Mütter sich austauschen können.
Es ist ein sicherer Ort für Frauen und ihre Kinder, die viel durchgemacht haben. Anna, die Mutter der kleinen Emilia (beide Namen geändert), zog mit ihrer Tochter vor fünf Jahren in ein Frauenhaus, nachdem eine fremde Frau in einem Wiener Park der verzweifelten Anna von der Einrichtung erzählt hatte: “Ich wusste damals nicht, wohin”, sagt sie heute. Später lebten sie in einem Mutter-Kind-Heim. Und seit Jänner, endlich, in einer eigenen Wohnung. Begleitet werden sie auf ihrem Weg von der St.-Elisabeth-Stiftung, die die Clusterwohnungen angemietet hat und auf fünf Jahre an Alleinerziehende weitergibt.
Die Frauen, die nach und nach in den letzten Monaten mit ihren Kindern eingezogen sind, hätten am regulären Wohnungsmarkt keine Chance. Denn die Wohnkosten sind in den letzten Jahren stark gestiegen. Das werde mittlerweile zunehmend auch für die Mittelschicht zum Problem, wie etwa die Volkshilfe kürzlich berichtete. Die Wohnkrise spitze sich zu, hieß es bei dem Pressegespräch, dem werde politisch viel zu wenig entgegengesetzt. So kämpft auch der soziale Wohnbau mit hohen Grundstücks- und Baukosten und zuletzt auch hohen Zinsen und stellt daher weit weniger Wohnungen fertig, als benötigt würden.
Und weil zuletzt auch im freifinanzierten Segment weniger gebaut wurde, ist der Run auf Mietwohnungen derzeit groß – und Vermieterinnen und Vermieter können sich unter vielen Interessierten aussuchen, wen sie in ihrer Wohnung haben wollen.
Es gibt Ausnahmen
Aber nicht nur die Leistbarkeit macht es vielen Menschen am Wohnungsmarkt schwer: Viele Mietverträge werden nur noch auf wenige Jahre befristet vergeben, laut Arbeiterkammer ist das aktuell bei sieben von zehn Mietverträgen außerhalb des geförderten Wohnbaus der Fall.
Doch es gibt sie: die Ausnahmen, gute Ideen und innovative Projekte für das Wohnen. Wie eben die Clusterwohnungen in der Wolfganggasse, wo die Wohnungen zwar kompakt sind, dafür aber ein gemeinsamer Bereich außerhalb der Wohnung zur Verfügung steht.
Oder den ganz klassischen geförderten Wohnbau. In so einem wohnt Eva mit ihrer Tochter: Sie arbeitet im Sozialbereich und ist vor wenigen Monaten in eine geförderte und unbefristete Mietwohnung im Nordbahnviertel gezogen. Auf die Gemeinschaftsbereiche will sie nicht mehr verzichten. Hier kann man Kindergeburtstage feiern, in der Früh im Pyjama einen Kaffee trinken, auch einmal auf die Nachbarskinder aufpassen – oder hinaus auf die Freifläche “zum Durchatmen”, wie sie sagt. All das hatte sie in ihrer alten Einzimmerwohnung nicht, in der sie bis Mai mit ihrer jetzt vierjährigen Tochter gelebt hat.
Im Grätzel bleiben
Eigentlich hatte sich Eva keine Chancen ausgerechnet, überhaupt im selben Viertel eine größere Wohnung mit eigenem Kinderzimmer für ihre Tochter zu finden. Ihr Netzwerk wollte sie nicht verlassen, den Kindergarten nicht wechseln: “Das wäre total aufwendig gewesen und hätte unser Leben durcheinandergebracht.”
So wie Eva geht es vielen Menschen. Große Wohnungen sind am Wohnungsmarkt Mangelware, obwohl gerade Familien sie dringend brauchen würden. Außerdem fällt es vielen Menschen schwer, in derselben Gegend eine neue, leistbare Wohnung zu finden.
Hier könnten Wohnungstauschplattformen eine Option sein, wie es sie etwa beim gemeinnützigen Bauträger Sozialbau schon gibt. Denn während vielen Menschen ihre Wohnung zu klein wird, wünschen andere sich weniger Platz, den sie putzen müssen.
Wohnpolitik für Frauen
Eva hat ihre Wohnung über den Verein Juno gefunden, der Alleinerzieherinnen bei der Wohnungssuche unterstützt. Für 75 Quadratmeter mit Loggia bezahlt sie jetzt rund 600 Euro pro Monat. Für sie ein “Lotto-Jackpot”, wie sie sagt, und gleichzeitig wünscht sie sich von der Politik, dass es mehr Projekte wie dieses geben müsste, in denen alle schön leben können, nicht nur die, die es sich leisten können. Und sie hofft, dass in der Zukunft mehr auf Frauen eingegangen wird, “sie übernehmen immer noch vermehrt die Kinderbetreuung und haben andere Bedürfnisse beim Wohnen”.
Der soziale Zusammenhalt wird auch in Baugruppenprojekten zumeist großgeschrieben. Eine Baugruppe, das ist der Zusammenschluss mehrerer Menschen, die gemeinsam ein Wohnhaus planen und bauen wollen und damit der Spekulation mit Wohnraum entziehen.
Einige Dutzend solcher Projekte wurden in ganz Österreich bereits realisiert. Erst vor wenigen Tagen wurden 20 Wohneinheiten mit Größen zwischen 33 und 105 Quadratmetern beim Projekt “Biberland” in Wien-Donaustadt übergeben. Die Einheiten teilen sich auf fünf Baukörper auf, es gibt eine Gemeinschaftsküche, Nachbarschaftshöfe als Treffpunkte für die Bewohnerinnen und Bewohner, eine Werkstatt und einen gemeinsamen Gemüsegarten. Jede Wohnung hat eine private Terrasse, Hausreinigung und Gartenpflege werden selbst organisiert. Von der Stadt Wien wurde das Projekt als “Wohnheim” gefördert.
“Baugruppen fördern”
Constance Weiser, Sprecherin der Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen, wünscht sich, dass sich in Österreichs Städten und Gemeinden in Sachen Förderung von Baugruppenprojekten mehr tut. Initiieren sollten dies die Länder.
Für Niederösterreich hat die Initiative kürzlich ein Positionspapier erstellt. “Baugruppen sind offen für unterschiedliche Lebensformen und Kulturen”, heißt es darin. “Mit ihrem sozialen Netz kompensieren sie den Verlust von familiären Netzwerken.” Ältere Menschen würden so beispielsweise Familien bei der Kinderbetreuung unterstützen. Und durch Gemeinschaftsräume, die alle benutzen können, ist es möglich, die individuellen Wohnungen platzsparender zu konzipieren – und damit leistbarer.
In Wien, wo sich ohnehin schon in den vergangenen 15 Jahren am meisten in puncto Baugruppen getan hat, läuft gerade eine Novellierung des Wohnbaufördergesetzes, dabei ist nun auch erstmals eine eigene Förderschiene für Baugruppen vorgesehen. Sie soll das bisher meistens von Baugruppen angewandte Wohnheim-Modell ablösen.
Begleitung am Anfang
Dass die Obergrenze für Baugruppen dabei mit 60 Haushalten festgelegt wird, sorgt in der Initiative für Kritik. Ausdrücklich begrüßt wird, dass künftig nicht mehr ein Drittel der Wohneinheiten über die Stadt Wien vergeben werden müssen. “Es ist erfahrungsgemäß schwierig, wenn ein Drittel der Leute von irgendwo herkommt und nichts mit der Intention des jeweiligen Projekts anfangen kann”, sagt Weiser.
Baugruppen sollten überall Zugang zur Wohnbauförderung erhalten, außerdem sollte auch die Begleitung der Anfangsphase einer Baugruppe gefördert werden, wünscht sich Weiser. Und natürlich die vermehrte Bereitstellung von Grundstücken oder zumindest Optionen darauf. “Baugruppen brauchen nämlich mehr Zeit für Entscheidungen als Bauträger”, sagt sie. Werden Grundstücke nicht für sie reserviert, werden sie ihnen vor der Nase weggeschnappt.
Neue Förderpolitik
Und was der Initiative noch wichtig wäre: dass in der Wohnbauförderung auch die Förderung des gemeinschaftlichen Eigentums ermöglicht wird. “In den Bundesländern hapert es meistens daran, dass nur Individualeigentum gefördert wird.” Doch nur mit gemeinschaftlichem Eigentum – also dass etwa ein Verein das Gebäude besitzt, die Baugruppenmitglieder mieten ihre Einheiten – könne man das Modell auch über Jahrzehnte und Generationen so wie ursprünglich gedacht am Laufen halten. “Nur so ist sichergestellt, dass es immer ein gemeinschaftliches Projekt bleibt.”
Worum es bei all den unterschiedlichen Wohnformen letztendlich geht: ein dauerhaftes Zuhause zu finden. So wie auch die eingangs erwähnte Anna und ihre Tochter Emilia. Die Möbel hat sie sich erst nach und nach leisten können, ein Kasten für den Abstellschrank fehlt jetzt noch. Doch mittlerweile sind die beiden in der Wolfganggasse angekommen: Emilia geht im Grätzel zur Schule, eine Verwandte lebt ums Eck, und das Unternehmen, in dem Anna einen Job gefunden hat, ist gut zu erreichen.
Sie wünscht sich, dass es mehr Wohnungen wie in der Wolfganggasse gibt, wo die Frauen mit Unterstützung wieder Boden unter den Füßen finden können. So wie sie selbst: “Ich glaube, ich bin auf dem richtigen Weg.” (Martin Putschögl, Bernadette Redl, Franziska Zoidl, 21.9.2024)
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