“Zweiklassenjustiz”, Femizide und Medienpolitik drücken Demokratieindex

57 Prozent

Die Bewertung der “demokratischen Infrastruktur” Österreichs bleibt stabil, die beteiligten NGOs sehen aber noch viel Luft nach oben

Wien – Rund einen Monat nach der Nationalratswahl gibt es eine gute Nachricht mit einem großen Aber. “Es ist nicht grundsätzlich schlecht bestellt um unsere Demokratie”, sagt Mathias Zojer vom Presseclub Concordia bei der Präsentation des Demokratieindex 2024. Der Index ist eine umfassende Bewertung der “demokratischen Infrastruktur”, erstellt von sieben NGOs. So wie schon im Vorjahr zeigt die Punktezahl, dass es beim Ausbau dieser Infrastruktur Luft nach oben gibt: 57 von 100 möglichen Punkten wurden vergeben. Wobei der Gradmesser, wie Zojer erläutert, “die Fantasie einer perfekten Demokratie” sei.

Messlatte seien andere Demokratien auf dem Kontinent. “Der Maßstab muss das europäische Konzert sein”, sagt Martin Kreutner, Mitinitiator des Antikorruptionsvolksbegehrens. Da könnten sich Teile der österreichischen Justiz durchaus sehen lassen: Etwa seien die Verfahrensdauern im internationalen Vergleich kurz. Dennoch hat sich die Bewertung der Gerichtsbarkeit im Index um vier Punkte verschlechtert. Als Gründe führt Kreutner etwa ins Treffen, dass die Neuregelung der Handysicherstellung auf der Kippe steht.


Clamorose Fälle “grundrechtlich bedenklich”

Vor allem aber habe sich die “Zweiklassenjustiz” auf die Bewertung (57 Prozent) ausgewirkt, die Kreutner schon als Vorsitzender der “Pilnacek-Kommission” kritisiert hat. Diese sei schon im Gesetz angelegt, wenn in der staatsanwaltschaftlichen Behandlung zwischen clamorosen und nicht-clamorosen Fällen unterschieden wird. “Das kann natürlich einen Promibonus oder einen Promimalus mit sich bringen, es ist aber jedenfalls grundrechtlich bedenklich.”

Statue der Pallas Athene in Wien
Das Parlament in Wien ist das Zentrum der österreichischen Demokratie – wie es darum und um die restliche Infrastruktur bestellt ist, misst der Demokratieindex.
APA/ROLAND SCHLAGER

In der Exekutive sieht Zojer etwa Aufholbedarf, was die unabhängige Verwaltung betrifft. Postenbesetzungen müssten entpolitisiert und objektiviert werden. Für Parlamentsabgeordnete sei ein modernes Unvereinbarkeits- und Transparenzgesetz nötig, und das Abstimmungsverhalten müsse transparent gemacht werden.


Folterprävention unzureichend

Auch medienpolitisch gebe es einiges zu tun, der Index liegt hier bei 59 Prozent. Die Journalismusförderung müsse “auf Basis von klaren Qualitätskriterien” verteilt werden, die Anerkennung des Presserats nennt Zojer als Muss. Eine Gremienreform für die Unabhängigkeit des ORF stehe ebenfalls auf der Tagesordnung, in einem ersten Schritt müssten aber Management- und Gremienbesetzungen transparent begründet werden.

Marianne Schulze von der österreichischen Demokratie-Stiftung sieht darüber hinaus Grundrechte als “zentralen Bestandteil des Inventars einer Demokratie”. Die moralischen Ansprüche seien hier groß, aber “die tatsächliche Verbriefung von Menschenrechten hinkt im internationalen Vergleich hinterher”. So sei etwa die Folterprävention in Österreich nur unzureichend geregelt. Menschen seien nicht ausreichend davor geschützt, in Länder abgeschoben zu werden, in denen ihnen Folter droht. Im Strafvollzug führe die Überbelegung der Gefängnisse zu Problemen, und die medizinische Versorgung sei mangelhaft.


Femizide zu selten verhindert

Österreich tue auch nicht genug, um das Menschenrecht auf Leben von Frauen zu schützen, sagt Schulze. Nach wie vor gebe es eine viel zu große Zahl an ermordeten Frauen. “Die Maßnahmen sind nicht ausreichend, um weitere Taten zu verhindern”, internationale Best-Practice-Beispiele würden nicht ausreichend zum Vorbild genommen. Und es gebe auch ein Medienproblem bei Frauengewalt: Viel zu oft würde über Femizide noch als Einzelfälle berichtet. “Die darunterliegenden strukturellen und gesellschaftlichen Faktoren haben viel zu wenig Platz”, kritisiert Schulze.


In zahlreichen Punkten sei die auslaufende Bundesregierung Reformen schuldig geblieben, sind sich die drei Expertinnen und Experten einig. Teils seien wichtige Projekte zwar paktiert, aber nie umgesetzt worden – etwa die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft. Positiv ausgewirkt habe sich allerdings der Beschluss des Informationsfreiheitsgesetzes, auch wenn dieses erst im September 2025 in Kraft tritt und die NGOs einige Punkte darin kritisch sehen.


Auftrag an die neue Regierung

Umso mehr verstehen die beteiligten Organisationen ihre Kritik auch als Anregung für jene Parteien, die die nächste Bundesregierung bilden – also voraussichtlich ÖVP und SPÖ mit Neos oder Grünen. Sie sollen, sagt Kreutner, die aus dem Demokratieindex erwachsenden Forderungen ernst nehmen und auch umsetzen, nicht nur paktieren. Die Stärkung dieser “Infrastruktur” sei auch für künftige politische Entwicklungen zentral, sagt Schulze: “Die Demokratie und der Rechtsstaat sind in ihrer Grundnatur fragil.” Beim Demokratieindex gehe es darum, “einmal im Jahr bewusst zu machen, dass es hier immer etwas zu tun gibt”. (Sebastian Fellner, 23.10.2024)

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