Die umstrittenen acht Geschworenen und ihre Urteile

Rechtspolitik

Die Debatte über eine Reform der Geschworenengerichtsbarkeit flammt regelmäßig auf. Vor allem nach umstrittenen Urteilen folgt der Ruf nach Professionalisierung

Panoramaaufnahme des Großen Schwurgerichtssaal vom Zuseherbalkon aus.
Seit nicht ganz 150 Jahren sitzen die Geschworenen bei einem Verfahren im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts auf den beiden Bänken rechts im Bildhintergrund. Und seit damals wird über ihre Entscheidungen mitunter debattiert.
APA / HARALD SCHNEIDER

Wien – Ein drei Monate alter Säugling wird laut Ärzten zu Tode geschüttelt, und niemand wird dafür bestraft? Ein geistig beeinträchtigter Sechsjähriger ertrinkt mitten in der Nacht in der Kitzbüheler Ache, und es gibt keine juristischen Konsequenzen? Ja, sagten in beiden Fällen Laienrichterinnen und -richter in Wien beziehungsweise Innsbruck und sprachen die unter Mordanklage stehenden jeweiligen Väter der Kinder von den Vorwürfen frei. Wegen fehlender Ermittlungsansätze werden die Todesfälle nun wohl für immer unaufgeklärt bleiben, denn aus Sicht der Staatsanwaltschaften gibt es keine anderen Verdächtigen. Doch die acht Geschworenen haben ihr Urteil gesprochen, und das ist praktisch unanfechtbar – was die Frage aufwirft, wie sinnvoll die Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich ist.


Die Mehrzahl der Juristinnen und Juristen haben seit Jahren ein Problem mit dem Konzept, dass zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger selbstständig über Schuld und Unschuld bei den schwersten Verbrechen wie Mord oder Vergewaltigung mit Todesfolge und politischen Delikten wie nationalsozialistischer Wiederbetätigung entscheiden müssen. Befürworterinnen argumentieren dagegen, dass die Einbindung des Volkes ein Korrektiv zur Berufsblindheit des Justizpersonals bildet. DER STANDARD hat die drei wichtigsten Gruppen von Prozessbeteiligten nach ihrer Meinung zur Geschworenengerichtsbarkeit gefragt.

Grundsätzlich werden zwei Argumente für eine Reform aufgeführt: Einerseits halten es die Gegner des derzeitigen Systema für widersinnig, dass Richterinnen und Richter studieren und eine komplexe Ausbildung durchlaufen, nur um dann in den heikelsten Fällen Laien entscheiden lassen zu müssen. Wie es ein Staatsanwalt bildlich ausdrückt: “Bei zwei unterschiedlichen medizinischen Meinungen würde man auch nicht einfach acht Männer und Frauen auf der Straße fragen und die Mehrheit entscheiden lassen, welche Behandlung gewählt wird.”


Der zweite, vor allem für Staatsanwaltschaft und Verteidigung wichtige Punkt ist die Tatsache, dass die Geschworenen für ihr Urteil keine Begründung geben müssen und im schlimmsten Fall nach Sympathie entscheiden können. Ihr Wahrspruch gilt, wie die Tatsachenentscheidung einer Schiedsrichterin im Fußball.


Auf der anderen Seite sehen Befürworterinnen und Befürworter eine grundlegende Bedeutung darin, das Volk in die Justiz miteinzubeziehen. So soll eine Berufsblindheit der Richtersenate verhindert und das Gesamtbild eines Falles aus der Perspektive von Normalsterblichen gewürdigt werden. Aus ihrer Sicht seien auch genügend Schutzmechanismen gegen eklatante Fehlurteile eingebaut, immerhin hätten die drei Berufsrichter und -richterinnen ohnehin die Möglichkeit, das Urteil auszusetzen, wenn sie überzeugt seien, dass die Laien sich geirrt hätten. Das hänge zu sehr von der Person des oder der Vorsitzenden ab, kontern die Reformbefürworter. (Michael Möseneder, 4.11.2024)

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