Dicke Luft in Leibnitz vor der Landtagswahl

der Standard

Es ist das erste Kaffeehaus am Hauptplatz von Leibnitz und um acht Uhr schon gut gefüllt. Im hintersten Raum sitzt eine Runde Stammgäste beieinander. Ein älterer, stämmiger Herr teilt gerne seine Meinung mit. Etwa über das Schussattentat mit zwei Toten in Oberösterreich: “Recht hat er, dass er den Bürgermeister erschossen hat. Wenn einer mir so am Nerv gehen würde, tät ich ihn auch erschießen.” Oder über die internationale Politik: “Die EU hat bei uns mehr zu reden als wir selbst.” Über Leibnitz hängt der Bodennebel. “Das war schon einmal schlimmer”, sagt Michael Schumacher, hiesiger Bürgermeister (SPÖ).

Der Hauptplatz von Leibnitz, links und rechts parken Autos, alles ist asphaltiert.
Leibnitz ist eine schnell wachsende Stadt in der Südsteiermark. In manchen Bereichen hinkt die Infrastruktur den Bedürfnissen hinterher. Den Hauptplatz zur Fußgängerzone zu machen trauen sich nicht einmal die Grünen zu fordern.
Guido Gluschitsch

Er meint damit den Nebel in der Gegend – nicht auffällige Stammgäste in Innenstadtlokalen. “Wir hatten eine sehr schlechte Luftqualität und überschritten die Grenzwerte an mehreren Tagen”, erinnert er sich an die 1980er- und 1990er-Jahre. An Schadstoffen in der Luft bildete sich Nebel, und oft einmal hat man kaum auf die andere Straßenseite gesehen. “Jetzt überschreiten wir die Grenzwerte nur noch an einem Tag im Jahr – und das obwohl die Grenzwerte niedriger sind.” Weniger Hausbrand und drei Nahwärmeanbieter helfen mit, die Luft im Raum Leibnitz sauberer zu halten.


Folgen der Strukturreform

Schumacher ist seit 20 Jahren im Gemeinderat. “Damals hatten wir rund 7000 Einwohner.” Durch die Strukturreform in der Steiermark und die Gemeindezusammenlegung kamen 2015 Kaindorf an der Sulm und Seggauberg zu Leibnitz – und damit 4000 weitere Bürgerinnen und Bürger. Die Stadt ist weiter gewachsen und zählt heute mehr als 13.300 Einwohnerinnen und Einwohner.

Schumacher in seinem Büro sitzend und in die Kamera lachend.
Michael Schumacher, Bürgermeister (SPÖ) von Leibnitz, hofft, dass die Menschen in Leibnitz erkennten, wie viel Spitzenkandidat Toni Lang für die Stadt getan habe.
Guido Gluschitsch

Seit 2005 hat Leibnitz einen roten Bürgermeister. Helmut Leitenberger hat damals den schwarzen Hans Kindermann abgelöst, von dem man in der Stadt erzählt, dass er sich zuletzt wie ein Fürst, wenn nicht gar wie ein König gebärdet habe. 2022 übergab Leitenberger das Amt an Schumacher.

Als eine rote Stadt darf man Leibnitz aber nicht bezeichnen. Bei der vergangenen Nationalratswahl lag die FPÖ mit 39,9 Prozent deutlich vor der ÖVP mit 29,9 Prozent und der SPÖ mit 14,8 Prozent. Weniger deutlich, aber ähnlich das Bild bei der vergangenen Europawahl: Die FPÖ erreichte zwar nur 32,8 Prozent der Stimmen, lag aber ebenfalls um zehn Prozentpunkte vor der ÖVP, Platz drei holte sich die SPÖ. Und auch wenn bei der vergangenen Landtagswahl die FPÖ noch auf Platz drei lag und die ÖVP den Sieg mit 34,3 Prozent holte, geht in Leibnitz fast jeder davon aus, dass die FPÖ die Landtagswahl am 24. November hier klar gewinnen wird. So klar, dass man sich darüber, wer auf Platz zwei kommt, nicht lange unterhält.

Bezirksfiliale der FPÖ Leibnitz mit jeder Menge Plakaten in den vier Fenstern.
In Leibnitz rechnen die meisten damit, dass bei der Landtagswahl die FPÖ die Nase klar vorne haben wird. Der Finanzskandal der Partei ist hier kein Thema.
Guido Gluschitsch

“Ich hoffe schon, dass sich der Trend aufhalten lassen wird und dass die Menschen zwischen Bund und Land unterscheiden”, sagt Schumacher. “Die Landesregierung ist fleißig, Toni (Vizelandeshauptmann und Spitzenkandidat Anton Lang, Anm.) uns sehr zugetan. Mit den Bedarfsmitteln, die er für uns aufgetan hat, konnten wir Feuerwehren, Kindergärten und die neue Musikschule bauen, weitere Schulen umbauen.”


Hochwasser und verdichtetes Bauen

Ein Problem der schnell größer werdenden Stadt ist, dass die Infrastruktur nicht im gleichen Tempo mitwachsen konnte. So fehlt es etwa an Kindergartenplätzen, und die Modernisierung der sieben Schulen in der Stadt ist auch eher ein Anpassen an dringende Bedürfnisse als ein Vorausarbeiten.

Ein anderes Problem war das Hochwasser im Sommer 2023. Die Schäden sind beseitigt, doch die Angst vor der nächsten Katastrophe ist geblieben. Zu nahe wurde und wird noch an die Sulm gebaut. Landesgesetze machen das möglich, der Bürgermeister sieht sich ohnmächtig und ließ in einzelnen Fällen, wo es nach Ansicht der Stadt nicht gescheit wäre zu bauen, festschreiben, dass “zukünftige Haftungen der Stadt ausgeschlossen” sind. “Wir wollten das moralisch festhalten, wenn es schon rechtlich nicht möglich ist einzugreifen”, sagt er. Und dass er sich um verdichtetes Bauen im Stadtkern kümmere.

Walter Lesky vor einer Holztäfelung.
Walter Lesky ist für die Grünen Stadtrat in Leibnitz. Mit einem riesigen Erfolg seiner Partei rechnet er aufgrund der aktuellen Themenlage nicht. Auch wenn er darauf hofft.
Guido Gluschitsch

“Es wird wie blöd gebaut”, sagt hingehen Walter Lesky von den Grünen, “die Politik ist der Handlanger der Investoren.” Er gibt zu, dass ein Ziel der Stadt sei, zu verdichten, “aber in Leibnitz geht es gleichzeitig um die Fläche”. Zudem gebe es in der Stadt viele Anlegerwohnungen, erklärt Lesky. Die Leerstände in den Geschäftslokalen in den Seitengassen sind offensichtlich. Wie es auch die knallgelbe Beklebung der Auslage des Vinzimarktes ist – gleich gegenüber hat die Caritas ein Geschäft.


“Wir sind seit 15 Jahren in Leibnitz”, erzählt eine Mitarbeiterin des Sozialmarktes. “Seit März sind wir hier im neuen Geschäft.” Der neue Standort ist größer und eingegliedert in ein Sozialprojekt mit Wohnungen und Kindergarten. Der Markt ist am frühen Nachmittag gut frequentiert, die Regale wirken gut gefüllt. Lebensmittelhändler und Privatpersonen spenden für den Vinzimarkt. “Ich finde keine Eier”, spricht ein Mann eine Mitarbeiterin an. “Da hättest du vor einer Stunde kommen müssen”, antwortet sie.

Genauso lange hat der Vinzimarkt heute schon offen. Die Nachfrage ist groß und nimmt weiter zu. “Der Kundenstock wächst kontinuierlich”, sagt eine freiwillige Helferin. “Weniger werden wir nimmer”, meint eine Mitarbeiterin. Waren es früher Flüchtlinge und Menschen aus der Ukraine, die hier einkauften, sind es immer mehr Menschen aus der Gegend. Alleinerziehende Mütter, frisch geschiedene Männer oder ältere Menschen.

Drei Frauen, an einer Theke stehend und lachend.
Die drei Damen, die den Vinzimarkt betreuen, bemerken, dass der Kundenstamm des Sozialmarktes ständig wächst.
Guido Gluschitsch

“Die dominierenden Themen sind aktuell die Inflation, niedrige Einkommen, Zuwanderung und Migration. Klimaschutz ist dieser Tage nicht das Thema”, findet auch Lesky. Darum erwartet er bei den Landtagswahlen nicht den großen Erfolg der Grünen. Er glaubt an einen Dreikampf zwischen FPÖ, ÖVP und SPÖ. “Wenn die FPÖ auf den Landeshauptmann verzichtet, könnte sich sogar eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ ausgehen”, analysiert Lesky. Stadtpolitiker der ÖVP und FPÖ hat DER STANDARD ebenfalls für ein Gespräch angefragt, allerdings keine Antwort erhalten.


Die Hand in der Kassa

“Die FPÖ wird gewinnen”, sagt eine Taxlerin, “die Leute haben die Nase voll von der Streiterei. Alle wählen den Kickl.” Dass der in der Steiermark nicht zur Wahl stehe, hier vielmehr FPÖ-Politiker mit einem Finanzskandal zu kämpfen hätten, schmettert sie ab. “Alle greifen sie in die Kassa, wenn sie den Schlüssel dazu haben”, sagt sie. Es ist Nachmittag. Der Bodennebel in Leibnitz hat sich inzwischen verzogen. Aber der Hochnebel hängt noch über der Stadt. (Guido Gluschitsch, 5.11.2024)

Auch die andere Seite des Hauptplatzes ist gut gepflastert und zugeparkt.
Guido Gluschitsch

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