Social-Media-Nutzer im Zwiespalt
Ein Leben fernab von Social Media ist wohl für die wenigsten Menschen noch vorstellbar. Für viele heimische „Digital Natives“ begann die Reise in den späten 90ern bzw. 2000ern auf Websites wie Szene1 oder SMS.at und lässt manche heute noch nostalgisch werden. Kaum jemand machte sich Sorgen, was einmal Gepostetes für die Zukunft bedeuten könnte – die Neugierde, die zur Vernetzung der Welt beitrug, dominierte. Tratsch und Klatsch wurde nicht mehr nur auf Zettelchen unter den Schulbänken ausgetauscht.
Bevor Mark Zuckerbergs Facebook sich hierzulande durchsetzen konnte, gab es von Medienunternehmen mehr oder weniger durchdachte Bestrebungen, Menschen zu vernetzen. Das vor allem deutschsprachige studiVZ etwa erleichterte – nicht nur – Studierenden das Lernen, Fortgehen und Flirten. So wurden Gemeinsamkeiten in mal ernsten („Politikwissenschaften, Uni Wien 2005“), mal spaßigen Gruppen („Ich glühe härter vor, als du Party machst“) gefunden, Status und Fotos gepostet.
Es war einmal: StudiVZ, MySpace, ICQ
Da studiVZ 2005 tatsächlich nach Facebook (2004) gegründet und möglicherweise abgekupfert wurde, verklagte Facebook studiVZ (später VZ-Netzwerke) im Jahr 2009. Es kam zu einem außergerichtlichen Vergleich. Das Wachstum von Facebook, Instagram und Co. zwang die VZ-Netzwerke schließlich in die Knie. StudiVZ wurde 2022 endgültig abgedreht.
Eine noch größere Abwanderung ereilte das soziale Netzwerk Myspace, das sich zumindest in den Anfängen 2003 auf Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber konzentrierte. Myspace ermöglichte Geheimdiensten weltweit erstmals die Erstellung größerer Datensätze über die Bevölkerung, deren Interessen und Beziehungsnetzwerke. Zwar gibt es Myspace heute noch, jedoch hat es neben den Meta-Plattformen, YouTube und TikTok kaum noch Bedeutung.
Auch der israelische Instant-Messenger ICQ, dessen bekanntes Nachrichtensignal („Oh-oh“) wohl dem einen oder der anderen noch im Ohr liegt, musste sich geschlagen geben. Da es 1996, als ICQ erstmals online ging, noch keine Smartphones gab, war der Dienst ein schlichter Onlinechat, der sehr wenig mit der heutigen ständigen Erreichbarkeit zu tun hatte. Was vielleicht überrascht: Erst dieses Jahr wurde ICQ vom Netz genommen.
Zwischen Fake News und Zeitgeschichte
Beispiele wie diese gibt es unzählige. Seither hat sich auf dem Social-Media-Markt vieles getan: Plattformen wurden neu gegründet, übernommen, von Großkonzernen für Werbekampagnen gekapert, von Politikerinnen und Politikern genutzt – und nicht zuletzt von radikalen Gruppen und Fake-News-Bots entdeckt.
Die Nachrichtenplattform Twitter verschrieb sich einst der Wahrheit und dem Vorgehen gegen Falschnachrichten und Hass im Netz. Entsprechende Konten konnten gemeldet werden und wurden gegebenenfalls gesperrt. Aus diesen Gründen wurde sogar der Account des damaligen US-Präsidenten Donald Trump 2021 gesperrt.
Ein paar Monate nach der Übernahme und Umbenennung von Twitter in X durch Multimilliardär Musk durfte Trump allerdings wieder posten – alles unter dem Deckmantel der Redefreiheit und ungeachtet der Unwahrheiten, die er auf seinem Profil mit Millionen Followern und Followerinnen seither wieder verbreitet.
Userinnen und User stellt das vor große Herausforderungen. Denn neben Fake News haben auch wahre Begebenheiten ihren Ursprung auf X. Während der ägyptischen Revolution 2011 nutzten Demonstrierende Twitter, um Proteste zu koordinieren, die schließlich zum Sturz von Präsident Hosni Mubarak führten. Viele weitere Protestbewegungen folgten. Ab 2017 verbreitete sich der Hashtag „#MeToo“ über die Plattform, als Menschen ihre Erfahrungen zu sexueller Belästigung und Gewalt teilten.
Befürchtung: Fusionierung mit Truth Social
Doch wuchs bei vielen X-Userinnen und -Usern nach der Übernahme durch Musk der Unmut über den Zuwachs von Falschmeldungen, unnützer Werbung und politischen Spins, deren Ursprung möglicherweise in China oder Russland lag. Einige erwogen daher schon vor einem Jahr, zu Alternativen wie Bluesky, Mastodon und Threads zu wechseln. Durchgesetzt hatte sich damals keine dieser Plattformen.
Mit Musks neuer Rolle in der US-Politik aber – der reichste Mann der Welt soll für den designierten Präsidenten Trump eine neue Effizienzabteilung leiten – und seinen zum Teil radikalen Aussagen ist für viele auch heimische X-Userinnen und -User Schluss mit lustig. Medien wie „Newsweek“ und der „Independent“ fürchteten gar schon eine Zusammenlegung von X mit Trumps eigenem sozialen Netzwerk Truth Social.
Dauerbrenner WhatsApp
Dazu, dass die Massen einem marktführenden Internetdienst dauerhaft den Rücken zukehren, braucht es jedoch womöglich mehr als nur ein angekratztes Image. Ersichtlich wurde das etwa bei WhatsApp, das vor zehn Jahren von Facebook gekauft wurde. Seither mehrten sich dort Spamnachrichten und Hinweise auf Datenschutzverstöße trotz Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Nachrichten.
Obwohl Expertinnen und Experten dazu aufriefen, statt WhatsApp den spendenfinanzierten Messenger-Dienst Signal zu nutzen, der von ehemaligen Facebook-Mitarbeitern und Verschlüsselungsexperten ins Leben gerufen wurde, hielt sich WhatsApp zumindest im europäischen Raum dauerhaft. Und selbst TikTok, das im Verdacht steht, durch die Volksrepublik China beeinflusst zu werden, boomt wie kein weiterer Videodienst – trotz des Vorkommens von Fake News, antisemitischer und rechtsradikaler Inhalte sowie Datenschutzbedenken für Nutzerinnen und Nutzer.
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