Grüne planen Neuaufstellung für die Opposition

Rollenwechsel

Grünen-Chef Werner Kogler plant die Übergabe an eine Nachfolgerin. Thematisch möchte sich die Partei wieder breiter positionieren und die Rolle einer “konstruktiven Opposition” einnehmen

Noch-Grünen-Chef Werner Kogler und zwei seiner Nachfolgekandidatinnen: die bisherige Justizministerin Alma Zadić (links) und die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (rechts).
REUTERS/Elisabeth Mandl

Um die Grünen ist es ruhig geworden. Sie sind zwar noch Teil der Regierung, allerdings interessiert sich für diese Regierung kaum noch jemand. Seit der Wahl geht es darum, wer das Land künftig politisch anführen wird. Und diesbezüglich haben die Grünen so gut wie keine Chancen. Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer lässt keinen Zweifel daran, dass für seine ÖVP eine neuerliche Zusammenarbeit mit den Grünen nicht infrage kommt – er will Türkis-Rot-Pink. Das soll er auch im Rahmen der Sondierungsgespräche klipp und klar festgehalten haben.


Bei den Grünen ist das angekommen. Es gibt zwar noch manche, die nicht völlig ausschließen wollen, dass sie schlussendlich doch noch zum Zug kommen könnten. Zu ihnen soll Grünen-Chef Werner Kogler selbst zählen. Besonders realistisch ist dieses Szenario aus heutiger Sicht aber nicht, das weiß auch der Noch-Vizekanzler. Und so stellen sich die Grünen gerade neu auf – für die Opposition.

Keine ausgemachte Sache

Kürzlich fand eine Klausur statt, die auch die Positionierung für die kommenden Jahre zum Thema hatte. Darüber hinaus ist bei den Grünen ein Führungswechsel geplant. Kogler wird die Partei vermutlich beim kommenden Bundeskongress im Sommer 2025 übergeben. Für seine Nachfolge ist Klimaschutzministerin Leonore Gewessler die Favoritin. Chancen hat auch Justizministerin Alma Zadić, die laut internen Umfragen angeblich große Vertrauenswerte in der Bevölkerung genießen soll. Größere noch als Gewessler, die allerdings wegen ihrer Haltung zu diversen Straßenbauprojekten in den Bundesländerzeitungen zu einem “Feindbild” avancierte und daher im Nachteil sei, sagt eine grüne Insiderin. Ambitionen werden aber auch der geschäftsführenden Klubobfrau Sigrid Maurer und dem oberösterreichischen Landesrat Stefan Kaineder nachgesagt.


Kaineder soll vor allem bei Kogler hohes Ansehen genießen. Ausgeschlossen wird unter Grünen auch eine Doppelspitze nicht. Gewessler habe zwar die besten Aussichten auf den Job, doch eine ausgemachte Sache sei die Nachfolge Koglers noch nicht.


Stärkerer Fokus auf Migration

Inhaltlich wollen sich die Grünen nun wieder breiter aufstellen. Es gibt auch gewichtige Stimmen in der Partei, die es für einen Fehler halten, dass man sich im Wahlkampf zu sehr auf das Thema Klima fokussiert hat. Da seien die Grünen quasi ein Opfer des eigenen Erfolgs, meint eine Grüne, weil die Notwendigkeit von Umweltschutz mittlerweile Konsens sei. Die Frage, wie schnell und effektiv Maßnahmen gesetzt werden, sei aber etwas, das fast ausschließlich die grüne Kernwählerschaft berühre. Verbreitern könne sich die Partei so nicht.


Kogler hat inzwischen auch in einem Newsletter für Parteimitglieder die Themenpalette der kommenden Zeit skizziert: Umwelt, Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit. Intern wird derzeit auch diskutiert, wie man künftig mit dem Themenkomplex Migration umgehen soll. Einige gewichtige Stimmen in der Partei wollen hier klarer Probleme benennen, die in migrantischen Communitys akut sind – etwa Homophobie und Antisemitismus.


Steinaltes Grundsatzprogramm

Manch andere Grüne versuchen zu kalmieren: Die thematische Neuordnung sei keine große Sache, sondern vielmehr logisch. Das Grundsatzprogramm der Partei stammt aus dem Juli 2001. Unterzeichnet wurde es noch vom einstigen grünen Bundessprecher und heutigen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Und in den vergangenen bald 25 Jahren sei etwa im Bereich der Sicherheitspolitik viel passiert. Angefangen bei neuen Phänomenen im Terrorismus bis hin zum Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sowie der Rolle Wladimir Putins in der Welt, sagt eine grüne Funktionärin. “Da ist klar, dass man inzwischen an einigen Dingen feilen muss.” Das sei aber ein längerer Prozess, der die gesamte Partei betreffe, nicht nur den Ableger im Bund und den Parlamentsklub. “Da muss man die Partei mitnehmen.” Das sei kein Schnellschuss.


Eigentlich sollte das Programm der Partei schon vor einigen Jahren reformiert werden. Da kam den Grünen aber die Koalition mit der ÖVP dazwischen. In der Opposition sei nun mehr Zeit dafür, heißt es intern.


Theoretisch ist die Ausgangslage der Grünen für die kommenden Jahre gar nicht so schlecht: Kommt die Dreierkoalition, ist man die einzige Oppositionspartei abseits der teils rechtsextremen FPÖ. Für die grünen Abgeordneten ist das eine Chance, um ihr Profil zu schärfen – ob in U-Ausschüssen oder mit parlamentarischen Anfragen.


Doch allzu konfrontativ wollen die Grünen auf eine mögliche türkis-rot-pinke Regierung nicht reagieren. “Als Grüne nehmen wir die Rolle der konstruktiven Opposition mit Verantwortungsbewusstsein an”, schreibt Kogler in seinem Newsletter. Das Thema war davor auch in diversen Sitzungen diskutiert worden. Den Grünen ist auch bewusst, dass sie künftig das Zünglein an der Waage sein können, wenn es darum geht, eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit zu finden. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 19.11.2024)


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