Endlich zum Zeugen gekrönt: Wie Thomas Schmid Kronzeuge wurde

Korruptionsermittlungen

Seit Donnerstag spricht viel dafür, dass der in mehrfachen Causen beschuldigte Thomas Schmid straffrei geht. Er wird Kronzeuge und muss 260.000 Euro bezahlen.

Es war fast eine Geheimoperation. Ohne das Wissen seines damaligen Anwalts erschien Thomas Schmid ab März 2022 bei einer Außenstelle der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Graz, um auszupacken. Für die Ermittler war das ein Coup: Jener Mann, der im Zentrum der meisten Vorwürfe in den vielen Korruptionsermittlungen stand, bot sich als sogenannter Kronzeuge an. Davor waren die Reihen der ÖVP-Politiker und ihrer Vertrauten geschlossen gewesen; alle beteuerten und beteuern bis heute ihre Unschuld.

Die heimliche Lebensbeichte

Bis auf Schmid. 454 Seiten hatte seine “Lebensbeichte”, die er in dutzenden Sitzungen vor der WKStA ablegte. Als die Staatsanwälte im Herbst 2022 dann Schmids Kooperation verkündeten, rückten parallel Ermittler aus, um Büros der von René Benkos gegründeten Signa zu durchsuchen. Denn Schmid hatte nicht nur Informationen zu bereits laufenden Ermittlungen geliefert, sondern auch neue Vorwürfe an die WKStA herangetragen. Etwa, dass Benko ihn mit einem Jobangebot bestechen habe wollen, um Einfluss auf ein Steuerverfahren ausüben zu können. Oder, dass der Unternehmer Ronny Pecik Schmid mit Autoleihgaben und der Vermittlung seines Schneiders bei Laune gehalten habe, um über Schmid Einfluss auf den Finanzminister ausüben zu können. Pecik und Benko bestreiten das, es gilt die Unschuldsvermutung.

Kier und Schmid
Thomas Schmid und Anwalt Roland Kier (links) beim Prozess gegen Exkanzler Kurz
EPA/CHRISTIAN BRUNA

Für Schmid war es notwendig, Neuigkeiten zu liefern. Ansonsten wäre der Kronzeugenstatus nicht möglich gewesen. So muss ein potenzieller Kronzeuge “sein Wissen über Tatsachen offenbaren, die noch nicht Gegenstand eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens sind”. Außerdem müsse die Offenlegung “freiwillig” und rechtzeitig erfolgen.


Die erste Kronzeugin

Aus Sicht vieler Strafverteidiger waren diese Voraussetzungen viel zu eng. Jahrelang gab es im Strafrecht kaum Kronzeugen. Ausgerechnet in der großen Causa Inserate, die auch Schmid betraf, sollte ein Paradigmenwechsel erfolgen. So erhielt die Meinungsforscherin Sabine Beinschab recht rasch den Kronzeugenstatus, obwohl sie zuvor bereits festgenommen worden war.


Beinschab spielt eine zentrale Rolle in den Ermittlungen der WKStA: Sie soll ein Bindeglied zwischen dem Finanzministerium, in dem Schmid damals tätig war, und der Mediengruppe Österreich gewesen sein. Beinschab habe Umfragen für Österreich mittels Scheinaufträgen an das Finanzministerium verrechnet, hieß es. Im Grunde stimmte Beinschab dieser These gegenüber Ermittlern zu, legte außerdem neue Informationen über ihre frühere Mentorin, die Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, offen. Im Herbst 2021 war damit recht deutlich, dass Beinschab den Kronzeugenstatus anstrebt.

Beinschab vor Gericht
Sabine Beinschab war die erste Beschuldigte in der Causa Casinos, die Kronzeugin wurde
APA/ROLAND SCHLAGER

Damit stieg der Druck auf Schmid, der zuvor im Finanzministerium viel mit Beinschab zu tun gehabt hatte. Dabei war die Situation für den Ex-Beamten ohnehin schon prekär. Spätestens, seit bei einer Hausdurchsuchung im Herbst 2019 brisante Chats zwischen Schmid und hochrangigen Politikern wie dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) entdeckt worden waren.


Schmid schwieg dazu eisern. Er sah sich am Höhepunkt seiner Karriere, war im April 2019 zum Chef der Staatsholding Öbag geworden, die er zuvor als Spitzenbeamter im Finanzministerium selbst mitentworfen hatte. Bis Juni 2021 trotzte Schmid Rücktrittsaufforderungen; nach dem Auftauchen despektierlicher Chats über Öbag-Aufsichtsratsmitglieder wurde es der Staatsholding aber zu viel. Schmid musste gehen. Vier Monate später folgte die Enthüllung der Inseraten-und-Umfrage-Causa, samt Beinschabs Geständnis.


Der Rat der Mutter

Ab da dürfte in Schmid der Entschluss gereift sein, Kronzeuge werden zu wollen. “Wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu und das mit allen Konsequenzen”, soll ihm seine Mutter geraten haben.


Doch bis zum grünen Licht für seinen Kronzeugenstatus sollte noch viel Zeit vergehen. Vor allem Sebastian Kurz und sein Team an Beratern und Verteidigern verwendeten viel Energie darauf, Schmids Glaubwürdigkeit zu unterlaufen. Kurz präsentierte ein heimlich mitgeschnittenes Telefonat mit Schmid, die seine Unschuld beweisen würden. In Kurz’ Prozess rund um Falschaussage im U-Ausschuss sollten ominöse russische Geschäftsleute Schmid belasten. Ohne Erfolg.

Kurz
Hält Schmid für unglaubwürdig: Exkanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
Heribert Corn

Dennoch sollte es noch einmal neun Monate dauern, bis Schmid tatsächlich den Kronzeugenstatus erhielt. Erst im März 2024 gab es eine positive Prüfung durch die WKStA; im Juli musste sie dem Justizministerium ergänzende Informationen liefern.


Am Donnerstag wurde klar: WKStA, Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien sowie das Justizministerium samt Weisungsrat gaben schlussendlich grünes Licht.


“Der Rechtsstaat meint es also ernst mit der Korruptionsbekämpfung”, hieß es aus der Kanzlei von Anwalt Roland Kier, der Schmid seit dessen Geständnis vertritt.


Ganz aus dem Schneider ist Schmid allerdings noch nicht: Er muss sich mit 60.000 Euro an den Verfahrenskosten beteiligen und eine Teilwiedergutmachung in Höhe von 200.000 Euro leisten. Zudem behält sich die WKStA die Verfolgung weiterer Straftaten vor, sollte Schmid die Unwahrheit oder nicht die ganze Wahrheit erzählt haben. Zurzeit spricht aber viel dafür, dass der zentrale Beschuldigte in den größten Korruptionsskandalen der vergangenen Jahre ohne Schuldspruch davonkommen wird – und dass somit der Kronzeugenregelung viel neues Leben eingehaucht wurde. (Fabian Schmid, Renate Graber, 28.11.2024)


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