EU will schnell riesigen Handelsdeal fixieren
In Montevideo soll am Freitag am Rande des Mercosur-Gipfels eine endgültige Einigung verkündet werden. Neben der EU und Uruguay sind auch Brasilien, Argentinien und Paraguay an den Verhandlungen beteiligt. Von der Leyen forderte ihre Verhandlungspartner dazu auf, zu einem Abschluss zu kommen.
Das Mercosur-Abkommen würde die größte Freihandelszone der Welt mit fast 800 Millionen Menschen schaffen. Laut von der Leyen gehe es um die „größte Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat“.
Verhandlungen seit 25 Jahren
Aus dem Abbau von Zöllen und Handelsschranken sollen beide Seiten Profit schlagen, die Mercosur-Staaten vor allem mit dem Export von Lebensmitteln und Rohstoffen, die EU mit Autos und Industriegütern. Verhandelt wird das Abkommen seit mittlerweile 25 Jahren, der Abschluss scheiterte bisher jedoch.
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Über den Aufbau der Freihandelszone zwischen der EU und dem Mercosur wurde bereits im Sommer 2019 eine politische Grundsatzeinigung erzielt. Der Deal wurde dann allerdings wieder von mehreren EU-Staaten wie Frankreich, Polen und Österreich infrage gestellt, und es gab jahrelange Nachverhandlungen. Donnerstagabend stellte sich auch Italien gegen das Abkommen. Die Voraussetzungen seien nicht gegeben, teilten Mitarbeiter des Büros von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit. Zu einem Vertragsabschluss könne es nur kommen, wenn Schutzmaßnahmen und Entschädigungen vorgesehen seien.
Kritiker befürchten, dass europäische Bauern künftig in einen gnadenlosen Preiskampf gezwungen werden und gleichzeitig die Regenwaldzerstörung in Südamerika befeuert wird. Die EU-Kommission verweist hingegen unter anderem darauf, dass das Abkommen Unternehmen in der EU schätzungsweise jährlich mehrere Milliarden Euro an Zöllen ersparen und die Exporte ankurbeln könnte. Eine Existenzgefährdung für europäische Landwirte sieht die EU nicht.
Stärkster Kritiker derzeit geschwächt
Als lautstärkster Kritiker unter den EU-Staaten galt bisher Frankreich – einst soll eine Textnachricht von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an von der Leyen gereicht haben, um den Deal zu blockieren. Doch seither haben sich die Machtverhältnisse verschoben: Die EU-Kommissionschefin ging gestärkt aus der EU-Wahl hervor – und Frankreich, allen voran Macron, steht vor einem Scherbenhaufen und ohne funktionierende Regierung da. Das Büro des französischen Präsidenten bezeichnete die Einigung umgehend als „inakzeptabel“.
Der nun gestürzte französische Premier Michel Barnier galt ebenso als Mercosur-Kritiker wie die rechtspopulistische Partei Rassemblement National. Sollte sich Brüssel über Paris hinwegsetzen, wird das wohl Kritik an der EU befeuern – und das in einem äußerst prekären Moment, schreibt „Politico“.
Die „Financial Times“ („FT“) zitierte unterdessen hochrangige EU-Beamte, laut denen fix mit einem Abschluss gerechnet werde. Von der Leyen „fliegt nicht nach Montevideo, um dann zurückzukehren, ohne Erfolge vorweisen zu können“, so der anonyme Insider. Nicht zuletzt die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angedrohten weitreichenden Zölle sind wohl ein zusätzlicher Faktor für einen möglichst schnellen Abschluss des Deals.
Zustimmung Frankreichs möglicherweise nicht nötig
Die Zustimmung Frankreichs braucht es aber möglicherweise so oder so nicht. Unklar ist bisher nämlich, ob das Abkommen in einen Handelsteil und in einen politischen Teil geteilt wird. Eine Aufteilung könnte verhindern, dass kritische Staaten das Inkrafttreten des Abkommens am Ende verhindern.
Reine Handelsabkommen können nämlich mit einem Mehrheitsvotum beschlossen werden. Die übrigen Punkte, etwa politische Kooperationen und Investitionen, müssten in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten durchgebracht werden. Nach dem Abschluss der Verhandlungen müssen die Texte für das Abkommen jedenfalls noch juristisch geprüft und in die Sprachen der Vertragsstaaten übersetzt werden, bevor sie unterzeichnet werden können.
Experte: Lula will Erfolg verkünden können
Ignacio Bartesaghi von der Katholischen Universität Uruguay sagte gegenüber der „FT“, dass der brasilianische Präsident Luiz Inacio Lula da Silva darauf drängen könnte, dass von der Leyen den Abschluss der Verhandlungen auf dem Gipfel bekanntgibt, auch wenn die politische Unterstützung fraglich bleibe.
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Lula versuche, die von Argentiniens Präsident Javier Milei ausgelösten Spannungen innerhalb des Mercosur zu entschärfen, und wolle „eine Art Erfolg verkünden“, sagte Bartesaghi. Milei gilt als scharfer Kritiker des Blocks und wird den Gipfel wohl nutzen, um eine Lockerung der Außenhandelsregeln zu fordern, so die „FT“.
NGOs fordern Stopp für Deal
NGOs forderten im Hinblick auf von der Leyens Ankündigung erneut den Stopp des Abkommens. Die globalisierungskritische NGO ATTAC forderte ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher auf, auf EU-Ebene klar Position zu beziehen. „Kochers Schweigen ist zu wenig. Der Wirtschaftsminister ist zum Widerstand gegen das Mercosur-Abkommen verpflichtet. Er darf daher nicht tatenlos zuzusehen, wenn die EU-Kommission versucht, das Abkommen abzuschließen, aufzuspalten und Österreichs Veto so zu umgehen“, so Theresa Kofler von ATTAC Österreich in einer Aussendung.
Greenpeace forderte von den EU-Staaten, das „giftige Abkommen“ klar abzulehnen. „Der EU-Mercosur-Pakt bringt einen Geldregen für große Konzerne, und zwar auf Kosten der Natur und der österreichischen Landwirtschaft“, so Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. Vor dem Abkommen warnten auch die Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ) sowie der ÖVP-Bauernbund. Die Industriellenvereinigung (IV) sprach sich hingegen für einen „zügigen“ Abschluss aus.
Wirtschaftsministerium wartet auf Vertragstext
„Erst wenn eine politische Einigung der Europäischen Kommission mit den Mercosur-Staaten erfolgt ist und den Mitgliedsstaaten ein Vertragstext vorgelegt wurde, kann eine handelspolitische Beurteilung des Abkommensinhalts und aller damit zusammenhängenden rechtlichen Fragen vorgenommen werden“, teilte das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der APA mit.
Kritik von SPÖ, ÖVP verweist auf Parlamentsvorbehalt
Kritik am Vorgehen der EU-Kommission kam am Donnerstag vom SPÖ-EU-Abgeordneten Günther Sidl: „Hier geht es nur noch darum, Mercosur durchzupeitschen – ohne Rücksicht auf Verluste“, so der Sozialdemokrat in einer Aussendung. Der ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, Reinhold Lopatka, sieht in den Mercosur-Staaten einen potenziellen „zusätzlichen Absatzmarkt für österreichische Unternehmen“. Er wies aber auch auf den in Österreich gültigen Parlamentsvorbehalt gegen das Abkommen hin, der für die Regierung verbindlich ist.
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