Was hinter dem antisemitischen Übergriff in Wien steckt
STANDARD-Watchblog
Der mutmaßliche Täter war gemeinsam mit einer Gruppe von Männern zuvor bei der Pro-FPÖ-Demonstration
Tätliche Angriffe auf Polizisten und Polizistinnen, Waffenfunde, Straßenblockaden und spontane Demonstrationszüge. Die am vergangenen Samstag in der Wiener Innenstadt abgehaltene Kundgebung für “Frieden” und eine FPÖ-Regierung hatte es in sich. Das zeigt auch die Bilanz der Exekutive: 400 Personen bekamen eine Anzeige. Die Demonstration war im Vorfeld von der Polizei untersagt worden, da Auswirkungen auf das Weihnachtsgeschäft befürchtet wurden. Eine Begründung, die für harsche Kritik an der Polizei sorgte – nicht nur die FPÖ sah die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt.
Identitäre führten Zug an
Statt der Demonstration konnte jedoch eine Kundgebung am Heldenplatz abgehalten werden, zu der zwischen 1600 und 2000 Personen kamen. Daraus entstanden spontane Demonstrationszüge, die den Verkehr am Ring zum Erliegen brachten. Am Rande der Kundgebung wurden Polizisten und Polizistinnen attackiert. Es flogen Fäuste und volle Bierdosen.
Bei der Kundgebung war auffällig, dass sich keine bekannten FPÖ-Politiker und -Politikerinnen blicken ließen, dafür viele militante Rechtsextreme. Die Identitären führten zeitweise einen Demonstrationszug an. Dabei zündeten sie Pyrotechnik und trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Bevölkerungsaustausch stoppen, Remigration starten“.
Antisemitischer Übergriff
Im Anschluss an die Kundgebung zog eine Gruppe von Männern in den zweiten Bezirk, wo es zu einem antisemitischen Übergriff kam. Einem 66-jährigen Passanten wurde sein Schtreimel – eine Kopfbedeckung, die verheiratete chassidische Juden zu religiösen Festen und Feierlichkeiten tragen – vom Kopf gerissen. Ein Mann aus der Gruppe lief damit davon, konnte jedoch rasch von der gerufenen Polizei gestellt werden. Zwischenzeitlich hatte ein Zeuge die Kopfbedeckung in der Ablage einer Altkleidersammelbox entdeckt. Er brachte diese dem Besitzer zurück.
Laut Polizei hatte der Übergriff keinen Bezug zur Pro-FPÖ Kundgebung. “Auch im Zuge einer näheren Betrachtung” durch das Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) Wien konnte “bei dem 17-Jährigen kein rechtsextremer Hintergrund festgestellt werden”, heißt es dazu auf STANDARD-Anfrage. Und “dass der Jugendliche zuvor Teilnehmer einer Kundgebung in der Wiener Innenstadt war, ist nicht bekannt”.
Fotos zeigen Gruppe bei Demonstration
Fotos, die dem STANDARD vorliegen, zeigen, wie die Gruppe nach dem Übergriff von der Polizei angehalten wurde. Darauf ist zu sehen, dass es sich bei zwei der Begleiter des mutmaßlichen Täters um bekannte Rechtsextreme handelt. Sie können der “Tanzbrigade” zugerechnet werden, die sich im Dreieck Fußball-Hooligans, Kampfsport und Drogen bewegt.
Auf weiteren Aufnahmen, die dem STANDARD ebenfalls vorliegen, ist die Gruppe auf der Pro-FPÖ-Demonstration bei einer Straßenblockade vor dem Parlament zu sehen. Auf X, vormals Twitter, hat der Verein Democ ein Video veröffentlicht, das ebenfalls zeigt, dass die Gruppe bei der Demonstration war. Democ veröffentliche in seinem Video auch Aufnahmen von der Anhaltung der Gruppe durch die Polizei.
Auf der Demo unterhielten sich einige aus der Gruppe mit Mitgliedern von Defend Austria. Die vermummten Männer und Frauen von Defend Austria wurden nach ihrem Erscheinen auf der Kundgebung von der Polizei in Gewahrsam genommen und kontrolliert. Dabei wurden “mehrere Messer und eine Schreckschusswaffe” gefunden, so die Polizei.
Jung und betont gewaltbereit
Defend Austria tritt seit Juli 2023 öffentlich in Erscheinung und gibt sich dabei betont gewaltbereit. Neben rassistischen Tiraden wird besonders das Feindbild “die Antifa” gepflegt. Defend Austria füllt den Platz rechts von den Identitären aus, die hauptsächlich aus dem studentischen Milieu stammen. Bei Defend Austria sind eher junge Männer und einige Frauen ohne Matura zu finden, teilweise stammen ihre Familien aus Osteuropa. Politisiert wurden sie im Fußball-Hooligan-Milieu, bei Corona-Demonstrationen oder durch rechtsextreme Propaganda im Netz.
Ihr Outfit orientiert sich an Neonazis der 1990er-Jahre, sie tragen Springerstiefel und Bomberjacken. Kaum einer oder eine ist älter als 20 Jahre. Politisch orientieren sie sich an der FPÖ und deren Parteichef Herbert Kickl. Zuletzt sorgte Defend Austria mit der Ankündigung für Schlagzeilen, am Tag der Nationalratswahl in Wien demonstrieren zu wollen. Der Marsch wurde wieder abgeblasen, nachdem Medien darüber berichtet hatten. (Markus Sulzbacher, 9.12.2024)
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